1 ...7 8 9 11 12 13 ...33 Krebsfördernd können alle Stoffe wirken, die die Erbinformation verändern oder auch die Signalwege der Zelle stören, z. B. Entzündungsfaktoren, freie Radikale, Schadstoffe, chronische Infektionen (Viren, Bakterien, Parasiten) oder Strahlung. Auch psychische Aspekte und Stress sind hier von Bedeutung. Im Laufe des Lebens können sich zudem beträchtliche Mengen an exogenen Kanzerogenen in der Prostata ansammeln, die von außen zugeführt wurden. Hierzu zählen klassische Kanzerogene wie z. B. heterozyklische Amine und polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe, die bei der Zubereitung von Fleisch auftreten, Alkohol, Kanzerogene aus Tabakrauch sowie vor allem exogene östrogen wirksame Substanzen ( Endocrine Disrupting Chemicals ) (s. u.). Letztere wirken einerseits direkt kanzerogen, andererseits fördern sie die Zellteilung durch ihre östrogene Wirkung. Auch Metalle wie Kupfer, Nickel und Eisen wirken entzündungsfördernd, prooxidativ und so prokanzerogen.
Entscheidend bei der Tumorentwicklung ist die Tumornische
Durch ihre Fähigkeit der unbegrenzten Selbsterneuerung und Apoptoseresistenz, wodurch sie praktisch unsterblich sind, kommt Krebsstammzellen bei der Tumorentwicklung eine zentrale Rolle zu. Die Nische („ microenvironment“ ), d. h. das umliegende Milieu und der Zellverband (Matrix), beschreibt die „Lebensbedingungen“ für Stammzellen in unserem Körper und nimmt daher entscheidenden Einfluss auf die Krebsentwicklung.
Die „ Seed and Soil- “ (Saatgut-und-Boden-)Hypothese zur Krebsentstehung ist schon sehr alt. Die Hypothese besagt, dass Tumorzellen nur dann wachsen können, wenn sie von einem geeigneten „Tumormilieu“ umgeben sind (Paget, 1889). Demnach können einzelne Krebszellen sich nur dort vermehren und abgesiedelte Tumorzellen nur dort Metastasen bilden, wo ihnen das Milieu eines Gewebes ideale Wachstumsbedingungen bietet. Auch heute noch ist diese Hypothese weitgehend gültig, vor allem für Knochenmetastasen, die bei Prostatakrebs eine besonders große Rolle spielen.
In Studien entwickelten sich Tumorstammzellen in einer gesunden Nische nicht zu einem Tumor. Jedoch kann aus gesunden Zellen in einer stark kanzerogenen Nische ein Tumor hervorgehen. Das Tumormilieu ist daher entscheidender als die Erbinformation der Zelle. Je nach Beschaffenheit kann es sowohl stark krebsfördernd als auch krebshemmend wirken.
Abb. 4: Einflussfaktoren auf die Entstehung eines für die Tumorentwicklung günstigen Milieus
Mit einfachen Worten ausgedrückt: Die Tumorsaat entsteht immer und in jedem Körper, weil Zellen unter dem Einfluss körpereigener (endogener) und von außen einwirkender (exogener) Karzinogene permanent entarten. Entscheidend für die Entstehung eines tödlichen Tumors ist daher der Nährboden, in dem sich die Tumorsaat entwickelt. Hierbei spielt die Ernährung eine zentrale Rolle, weil sie nicht nur wesentlichen Einfluss auf unseren Hormonhaushalt (Geschlechtshormone, Stoffwechselhormone wie Insulin und Wachstumsfaktoren), unser Körpergewicht und unser Körpermilieu nimmt, sondern auch spezifische Schutz- und Schadstoffe mit sich bringt.
Insbesondere das metabolische Syndrom, in dessen Kern vermehrtes Bauch- und Leberfett mit Insulinresistenz steht, schafft einen wachstumsfördernden Nährboden. Dieser fördert zunächst eine gutartige Prostatavergrößerung (BPH) und ein damit einhergehendes chronisches Entzündungsgeschehen mit erhöhtem oxidativem und nitrosativem Stress. Unter diesem proentzündlichen, prooxidativen Einfluss, durch hormonelle Veränderungen im Alter und durch Kanzerogene entstehen meist deutlich verzögert bösartige Entartungen, deren Aggressivität wiederum von den Milieubedingungen der Tumornische abhängt und daher stark variiert.
Das Gleichgewicht aus Hormonen und Rezeptoren
Die Prostata ist aus verschiedenen Zelltypen aufgebaut, die für die Funktion der Prostata notwendig sind. Für die Differenzierungsvorgänge zu diesen verschiedenen Zelltypen ist ein hormonelles Gleichgewicht zwischen Androgenen und Östrogenen und deren Rezeptoren entscheidend.
Prostatakrebs ist in den meisten Fällen hormonabhängig, im Speziellen androgenabhängig. Doch auch die Östrogene haben einen starken Einfluss auf die Krebsentstehung. Er tritt vor allem im Alter auf, wenn sich das Gleichgewicht von Androgenen und Östrogenen in Richtung Östrogene verschoben hat.
Dihydrotestosteron (DHT) ist auf genetischer Ebene das am stärksten wirksame Testosteron und wirkt potentiell krebsfördernd. DHT wird durch das Enzym 5-alpha-Reduktase aus Testosteron gebildet, weshalb eine hohe Enzymtätigkeit der 5-alpha-Reduktase das Prostatakrebsrisiko erhöht.
Doch nicht nur die Konzentration bestimmter Hormone beeinflusst das Krebsrisiko: Ebenso wichtig wie die Hormone sind die Hormonrezeptoren. Der Rezeptor empfängt das Hormon und gibt das so empfangene Signal an anderer Stelle weiter.
Um das Gleichgewicht aus Hormon und Rezeptor zu gewährleisten, wird die Expression und Sensitivität der Rezeptoren normalerweise durch die Hormonspiegel im Körper gegenläufig reguliert: Je höher der Hormonspiegel, desto weniger aktive Rezeptoren. Dauerhaft niedrige Androgenspiegel führen hingegen zur Gegenregulierung in Form einer Überexpression des Androgenrezeptors (AR). Die Expression des AR ist abhängig vom Tumorstadium. Zu Beginn hemmt ein medikamentöser Androgenentzug den Prostatakrebs, indem bei den Krebszellen eine Apoptose ausgelöst wird; der Tumor ist hormonsensitiv. Bei dauerhaftem Androgenentzug wird der AR jedoch überexprimiert, hypersensitiv oder mutiert, weshalb auch schon sehr geringe Mengen an Androgenen eine Wirkung auslösen. Der Androgenentzug ist daher nicht mehr wirksam, der Tumor ist hormonrefraktär.
Östrogene potenzieren die kanzerogene Wirkung von Testosteron. Sie werden durch verschiedene Enzyme zu (Semi-)Chinonen umgebaut, die genotoxisch, prooxidativ und somit kanzerogen wirken. Die beteiligten Enzyme werden auf genetischer Ebene gesteuert, können aber auch über die Ernährung beeinflusst werden.
Es existieren zwei Östrogenrezeptoren (ER): ER-alpha und ER-beta. Sie sind in den verschiedenen Organen und Geweben ungleichmäßig verteilt. Die beiden Rezeptoren führen zu unterschiedlichen Auswirkungen: Über die Bindung an den ER-alpha fördern Östrogene die Bildung von Wachstumsfaktoren und somit die Zellteilung und hemmen die Differenzierung. Die Expression des ER-alpha steht im Zusammenhang mit dem Tumorstadium; er vermittelt die tumorfördernde Wirkung der Östrogene. ER-beta hemmt dagegen die Zellteilung und fördert die Zelldifferenzierung. Damit hemmt er den Tumor.
Estradiol, das im Körper, insbesondere im Fettgewebe, gebildet, aber auch über Kuhmilch aufgenommen wird, bindet an beide Rezeptoren in gleichem Maße. Phytoöstrogene, die in Pflanzen wie Soja vorkommen und über die Nahrung aufgenommen werden, binden in der Regel an ER-beta. Über die Ernährung und die Menge des hormonaktiven Körperfetts kann demnach beeinflusst werden, welcher der beiden Rezeptoren stärker stimuliert wird.
Mit höherem Alter verschiebt sich das Androgen/Östrogen-Verhältnis bei Männern in Richtung der Östrogene. Die Produktion von Testosteron nimmt ab, die Bildung von Östrogenen nimmt zu. Dabei steigt die Konzentration der Östrogene, die ER-alpha aktivieren, wohingegen ER-beta-aktivierende Substanzen weniger werden. Dies erhöht das Prostatakrebsrisiko.
Auch Fremdöstrogene (Xenoöstrogene), d. h. östrogenwirksame Substanzen aus der Umwelt, sind bei der Östrogenwirkung zu berücksichtigen. Dies können z. B. Pestizide, Zusatzstoffe in Kosmetika oder Weichmacher in Plastik wie in PET-Flaschen (Bisphenol A) sein. Viele Metalle wirken auch als Metalloöstrogene. Diese binden an Östrogenrezeptoren und beeinflussen in östrogensensitiven Zellen die Genexpression. Beispiele für Metalloöstrogene sind Aluminium (Deos, Alufolie, etc.), Kupfer (z. B. auch aus Kupfer-Wasserleitungen), Arsen, Cadmium, Blei, Quecksilber und Nickel (Darbre, 2006).
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