
Abbildung 2.5
Regionen des Präfrontalkortex (Cozolino 2006; Nachdruck mit ausdrücklicher Genehmigung des Autors).
Beachten Sie, wie die mittlere Präfrontalregion den Körper, das Stammhirn sowie die limbischen, kortikalen und sozialen Prozesse zu einem funktionalen Ganzen verbindet. Wenn Sie Ihre Finger heben und wieder senken, dann nehmen Sie vielleicht wahr, dass die mittleren Präfrontalbereiche (repräsentiert durch die Enden der beiden Mittelfinger) in anatomischer Hinsicht tatsächlich alles im Gehirn berühren. Genau das kennzeichnet die neuronale Integration: über den gesamten Körper verteilte synaptische Verbindungen, über die wir sogar mit anderen Menschen verbunden sind.
Ein interpersoneller neurobiologischer Ansatz dazu, wie unser soziales Leben uns hilft, unser Wohlbefinden zu fördern, sieht die neuronale Integration als Resultat eingestimmter Beziehungen an. Die neuronale Integration, die Koordination und Balance des Gehirns sind als getrennte Bereiche miteinander verbunden, um ein funktionales Ganzes zu bilden, und dies scheint durch den Einklang, der in sicheren Bindungen besteht, gefördert zu werden. Ich schlage vor, hier einige vorläufige Daten zu sammeln, um die Hypothese zu verifizieren, dass achtsames Gewahrsein eine solche neuronale Integration fördern könnte, und zwar durch eine Form der intrapersonalen Einstimmung.

Abbildung 2.6
Strukturen des sozialen Gehirns. Die hier gezeigten Strukturen sind unter der Oberfläche des Gehirns verborgen (Cozolino 2006; Nachdruck mit ausdrücklicher Genehmigung des Autors).
Das Gewahrsein der eigenen Erfahrung von Moment zu Moment schafft die Möglichkeit, die eigenen psychischen Erfahrungen unmittelbar zu spüren und anzunehmen. Dieser Bewusstseinszustand könnte sich verschiedener Gehirnregionen bedienen, unter anderem der wichtigen stirnseitigen Bereiche des Kortex, der subkortikalen limbischen Bereiche und des Stammhirns, um einen integrierten, kohärenten Zustand herzustellen. Die neuronale Integration, die teilweise durch diese Frontalregionen herbeigeführt wird, könnte wesentlich dafür sein, ein selbstregulierendes Gleichgewicht herzustellen. Wir sollten die genannten Präfrontalbereiche im Auge behalten, wenn wir erforschen, auf welche Weise diese integrativen Bahnen eine entscheidende Rolle auf dem Weg zum Wohlbefinden spielen.
Neuronale Integration, Achtsamkeit und Selbstregulation
Das Konzept der neuronalen Integration ist eine sehr weit gefasste systemische Sichtweise der verschiedenen Funktionsweisen des Gehirns. In der Neurowissenschaft ist es möglich, sich stärker auf die Mikroanalyse zu konzentrieren und etwa die Membranen von Neuronen zu untersuchen, Neurotransmitter und ihre Rezeptoren zu studieren oder Neuronencluster und die unmittelbar mit ihnen verbundenen Nachbarzellen unter die Lupe zu nehmen. Diese tief gehende und fein abgestimmte Forschungsarbeit ist bedeutsam und faszinierend. Über diese äußerst wichtige mikroskopische Sichtweise hinaus können wir uns jedoch auch stärker nach außen orientieren und das Gehirn als Gesamtsystem untersuchen. Diese Makroansicht ermöglicht es uns nicht nur, das gesamte Gehirn und den Körper als ein funktionales Ganzes zu sehen, sondern darüber hinaus zu untersuchen, wie Signale eines Gehirn-Körpers mit anderen in Beziehungen, Familien und Gesellschaften interagieren. Das ist der Fokus unserer Arbeit im Center for Culture, Brain, and Development an der UCLA (siehe Anhang I).
Bei dem Versuch, sowohl auf der Mikro- als auch auf der Makroanalyseebene zu sprechen, wird man unweigerlich mit der Frage der Übersetzung konfrontiert. In unserem Zentrum müssen wir die Realität dieses Wissensspektrums einbeziehen, um die Puzzleteile zusammenzubringen, die nur dann zusammengesetzt werden können, wenn man in aller Bescheidenheit und mit allem Respekt den Wert dieser voneinander abweichenden Standpunkte anerkennt. Mein Empfinden angesichts der systemischen Sicht, wie sich der Geist zweier Menschen durch gegenseitige Einstimmung verbinden kann, ist, dass diese Verbindungsfähigkeit des Gesamtsystems (die neuronale Integration) einen ganz wesentlichen Stellenwert für das Wohlbefinden in Beziehungen hat. Wenn wir uns diese neuronale Perspektive der gegenseitigen Einstimmung zu Eigen machen und die Achtsamkeit als intrapersonale Form derselben ansehen, dann ist es nur natürlich, das Gefühl zu haben, dass die neuronale Integration eine entscheidende Rolle bei Achtsamkeitszuständen spielen könnte. Die neuronale Integration ist das Verbindungsglied zwischen Neuralregionen, die in anatomischer oder funktionaler Hinsicht unterschiedlich sind, und sie bewirkt eine Zusammenschaltung von weit verzweigten Bereichen des Gehirns und des Körpers. Diese Zusammenschaltungen nehmen in struktureller Hinsicht die Form von synaptischen Verbindungen an und erzeugen in funktioneller Hinsicht eine Form von Koordination und Ausgeglichenheit.
Die neuronale Integration bewirkt über diese Koordination und Ausgeglichenheit der Nervenaktivierung wahrscheinlich ein optimales Funktionieren. Koordination bedeutet, dass wir das Feuerverhalten voneinander getrennter Regionen überwachen und dann so beeinflussen, dass es zu einem gut funktionierenden Ganzen wird. Ausgeglichenheit impliziert die Aktivierung, Deaktivierung und Reaktivierung von miteinander gekoppelten Bereichen.
Ein anschauliches Beispiel dafür wäre die Ausgeglichenheit solcher Funktionen wie des bremsenden und des beschleunigenden Zweiges des vegetativen Nervensystems. Hier sehen wir, dass die mittleren Präfrontalregionen die Aktivität dieser beiden Inputs – diejenige des Sympathikus einerseits und die des Parasympathikus andererseits – überwachen und dann in der Lage sein müssen, sie zu verändern (sie herunterzufahren oder sie hochzufahren).
Das ist der Mechanismus der „Körperregulation“, der ersten unserer neun Funktionen des mittleren Präfrontals. Erinnern Sie sich daran, dass diese Liste zum einen die Ergebnisse einer sicheren, eingestimmten Bindung aufzählt (die ersten sieben) und zum anderen eine Liste für die Resultate und den Prozess des achtsamen Gewahrseins ist, das wir als eine Form der inneren Abstimmung bezeichnet haben. Ich habe diese Liste generiert, während ich mich um eine Familie kümmerte, in der die Mutter bei einem Autounfall eine Verletzung an dem Teil des Gehirns erlitten hatte, der sich hinter der Stirn befindet. Die Familie quälte sich mit den tief greifenden Veränderungen in ihrer Persönlichkeit ab, und ich hoffte, den anderen Familienmitgliedern helfen zu können, diese Erfahrung irgendwie zu verstehen und sich an ihr neues Leben zu gewöhnen. Ich las einige grundlegende Werke zu diesem Themenkomplex und fragte mich: Welche Funktionen entsprechen der Aktivität der mittleren Bereiche des Präfrontalkortex? (Siehe Anhang III, Die Funktionen des mittleren Präfrontals.)
1. Wie oben beschrieben, erfolgt die Körperregulation dadurch, dass Brems- und Beschleunigungsfunktionen koordiniert und ausgeglichen werden.
2. Abgestimmte Kommunikation beinhaltet die Koordination des eigenen geistigen Inputs mit dem eines anderen Menschen. Dieser Resonanzprozess findet unter Einbeziehung der mittleren Präfrontalbereiche statt.
3. Emotionale Ausgeglichenheit impliziert, dass die affekterzeugenden limbischen Bereiche genügend Aktivierung erfahren, um dem Leben Vitalität und Sinn zu verleihen, diese aber nicht so stark ist, dass das Leben chaotisch wird. Die mittleren Präfrontalregionen haben die Fähigkeit, das limbische Feuerverhalten durch den starken bidirektionalen Fluss zwischen der subkortikalen limbischen Region und der mittleren Präfrontalregion zu überwachen und zu hemmen.
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