Die beiden Gehirnhälften. Diese Abbildung zeigt auch die Lage der Areale des „mittleren Präfrontalkortex“, zu dem die mittleren und ventralen Regionen des Präfrontalkortex gehören sowie der Orbitofrontalkortex und der Kortex des Cingulum anterior. Der Balken (Corpus callosum) verbindet die beiden Gehirnhälften miteinander.
Das Stammhirn ist Ihre Handfläche, das limbische System sind Ihre Daumen (idealerweise haben Sie einen linken und einen rechten Daumen) und Ihr Kortex wird durch Ihre gekrümmten Finger symbolisiert. Lassen Sie uns die genannten Hirnareale kurz eines nach dem anderen durchgehen.
Das Stammhirn ist für wichtige elementare Prozesse zuständig, wie für die Regulierung des Herzschlags und der Atmung, für Zustände von Wachheit und Schläfrigkeit sowie für gewisse Aspekte von Kampf-, Flucht- und Einfrierreaktionen. Das Stammhirn, das bereits bei der Geburt gut entwickelt ist, ist der in evolutionärer Hinsicht älteste Gehirnanteil und wird manchmal auch als Reptilhirn bezeichnet.
Das limbische System hat sich entwickelt, als die Reptilien sich zu Säugetieren weiterentwickelten. Limbische Regionen sind am Bindungsverhalten (unseren Verbindungen zu unseren engen Bezugspersonen) beteiligt, ebenso am Gedächtnis (insbesondere der Verarbeitung von Ereignissen in faktischer und autobiografischer Form), der Wertschätzung von Sinn und Bedeutung und der Erzeugung von Affekt und unseren inneren Empfindungen von Emotion. Zum limbischen System gehört auch der Hypothalamus, der das Hauptsteuerungsorgan für die Regulierung des Hormonhaushalts ist und somit direkten Einfluss auf den Körper ausübt.
Diese endokrine Verbindung ist zusammen mit dem Einfluss, den das Gehirn über das autonome Nervensystem mit seinen bremsenden und beschleunigenden Elementen (Parasympathikus und Sympathikus) auf unser Immunsystem und unsere körperliche Verfassung hat, der direkte Weg, auf dem Gehirn und Körper eng miteinander verbunden sind. Die limbischen Bereiche, das Stammhirn und die subkortikalen Areale wirken zusammen und beeinflussen unsere Motivation und die Aktivierung unserer Grundbedürfnisse nach Überleben, Zugehörigkeit und Sinn.
Der Kortex ist der äußere Teil des Gehirns, der bei Säugetieren vergrößert ist. Er ermöglicht uns die Steuerung komplexerer Prozesse wie zum Beispiel Wahrnehmung, Planung und Aufmerksamkeit. Da er mehrere Lappen mit unterschiedlichen Funktionen umfasst, gibt es unterschiedliche Möglichkeiten, um die komplexen Fähigkeiten dieser Region zu beschreiben, die bei der Geburt noch kaum entwickelt und daher sehr offen dafür ist, durch Erfahrung geformt zu werden (Abbildung 2.3).

Abbildung 2.3
Die traditionelle Sicht auf das Gehirn – die Kortikallappen (Cozolino 2006; Nachdruck mit ausdrücklicher Genehmigung des Autors).
Der Kortex ist in erster Linie ein aus sechs Schichten bestehender gefalteter Bereich, der aus grauer und weißer Substanz besteht. Die sechs Schichten setzen sich aus vertikal angeordneten Reihen kortikaler Säulen mit verschiedenen Säulen-Clustern zusammen, die in der Regel für die Verarbeitung eines bestimmten Aktivitätsmodus zuständig sind, wie dem Sehen oder dem Hören. Diese vertikalen Säulen sind über horizontal verteilte Schaltneuronen miteinander verbunden, die Wortgefechte ebenso ermöglichen wie die Verknüpfung unterschiedlicher Sinneswahrnehmungen (Hören, Sehen) in einem „kreuzmodalen“ Feuern ganzer Neuronengruppen. Auf diese Verknüpfung getrennter Bereiche ist die wichtige Komplexität zurückzuführen, durch die sich die Glanzleistungen des menschlichen Kortex erklären lassen.
Im Allgemeinen ist die Rückseite des Kortex, der Bereich von den zweiten Fingerknöcheln nach hinten, für die Wahrnehmung der Außenwelt zuständig, mit Ausnahme des Geruchs und des Bewusstseins von der Position der Gliedmaßen. Diese hinteren Regionen ermöglichen es dem Menschen, ein Gespür für die Außenwelt in Form von Wahrnehmungen zu erlangen.
Die Vorderseite des Gehirns führt motorische, aufmerksamkeitsbezogene und auf Gedanken basierende Prozesse aus. Unsere Frontallappen haben sich entwickelt, als wir zu Primaten wurden. Studien zeigen, dass die Ausprägung der frontalen (stirnseitigen) Kortikalarchitektur bei Säugetieren umso stärker ausfällt, je höher ihr Grad an sozialen Lebensweisen ist.
Der Frontalbereich von den zweiten Knöcheln bis zu den letzten ist eine Region, in der die erste Zone motorische Handlungen ausführt und die nächste Zone nach vorn für die motorische Planung zuständig ist. Sie wird als prämotorischer Kortex bezeichnet (Abbildung 2.4). Dieses prämotorische Areal war die erste Region, bei der das Spiegelneuronensystem festzustellen war, das es uns ermöglicht, die Intentionen und Emotionen anderer Menschen aufzunehmen und jene Zustände in uns selbst als Teil eines größeren „Resonanzschaltkreises“ zu generieren (siehe Anhang III, Resonanzschaltkreise). Wir werden die Möglichkeit erforschen, dass diese Resonanzschaltkreise unseres sozialen Gehirns eine wichtige Rolle beim achtsamen Gewahrsein spielen.

Abbildung 2.4
Die traditionelle Sicht auf das Gehirn – bedeutende Regionen (Cozolino 2006; Nachdruck mit ausdrücklicher Genehmigung des Autors).
Unmittelbar vor diesen motorischen und prämotorischen Bereichen befindet sich der Präfrontalkortex. Diese Präfrontalregion, die beim Menschen am höchsten entwickelt ist, ist für viele der Funktionen verantwortlich, die wir als einzigartig für unsere Spezies ansehen. Die Präfrontalregionen können in verschiedener Weise unterteilt werden, je nach ihren unterschiedlichen Funktionen (Abbildung 2.5). Fürs Erste werden wir sie lediglich in zwei Areale einteilen – die seitlichen und die mittleren Präfrontalregionen. Die Areale des Präfrontalkortex arbeiten im Allgemeinen als Team zusammen und ihre Funktionen in dieser Weise als System zu sehen, kann recht nützlich sein.
Der Seitenbereich der Präfrontalregion, der dorsolaterale Präfrontalkortex (DLPFC) ist für das Arbeitsgedächtnis (die „Tafel des Geistes“) verantwortlich, mit Hilfe dessen wir Inhalte kurzzeitig in unserem Gedächtnis aufbewahren können. Dieser seitliche Bereich ist für die Ausführung wichtiger Exekutivfunktionen zuständig, die die Selbstregulation unseres Verhaltens ermöglichen, und er beeinflusst auch den Fluss unserer momentanen Aufmerksamkeit.
Der mittlere Bereich, von Ihren beiden mittleren Fingernägeln zu den Knöcheln hinauf, schließt mehrere miteinander verknüpfte Regionen ein, die für jene neun mittleren Präfrontalregionen zuständig sind, die wir im nächsten Absatz näher besprechen werden. Dabei handelt es sich um den orbitofrontalen Kortex (OFC), den Kortex des anterioren Cingulums (ACC) und den ventrolateralen (vlPFC) sowie den medialen präfrontalen Kortex (mPFC). In Abbildung 2.5 sind der orbitofrontale und der mediale Präfrontalkortex zusammen dargestellt und werden als orbitomedialer Präfrontalkortex bezeichnet. In Abbildung 2.6 wird ihre Nähe zu den vorderen Anteilen des zingulären Cortex deutlich.
Diese ventralen und medialen Mittellinienstrukturen erhalten direkten Input aus dem gesamten Gehirn und dem Körper, insbesondere aus der Inselrinde (Inselkortex = IC). Die Inselrinde ist der Kanal, durch den Signale an und aus dem äußeren Kortex und den inneren limbischen Regionen (Amygdala, Hippocampus und Hypothalamus) und verschiedenen Körperbereichen (durch das Stammhirn und das Rückenmark) geschickt werden. Die mittleren Präfrontalbereiche scheinen die Daten der Inselrinde in Bezug auf unsere Emotionen und unseren primären körperlichen Zustand zu nutzen, um dann Repräsentationen vom Geiste anderer Menschen zu schaffen. Die mittleren Präfrontalbereiche sind sowohl für die soziale Kommunikation als auch für die Selbstbeobachtung unerlässlich. Diese Region ist ein zentraler Knotenpunkt im sozialen Schaltkreis des Gehirns (siehe Anhang III, Die Funktionen des mittleren Präfrontals).
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