1 ...7 8 9 11 12 13 ...17 Wie wir Bilder verwenden oder einsetzen, beeinflusst unseren Körper und unsere Emotionen permanent. Sie müssen mir das aber nicht einfach glauben, sehen Sie selbst: Stellen Sie sich das nächste Mal, wenn Sie Hunger haben, einen Teller mit Ihrem Lieblingsgericht vor. Wie sieht es aus? Wie riecht es? Wie schmeckt es? Richten Sie Ihre Aufmerksamkeit dann auf die Reaktion Ihres Körper – läuft Ihnen das Wasser im Mund zusammen? Als sexuelle Wesen verwenden wir regelmäßig Bilder und Fantasien, um uns zu erregen und „in Stimmung“ zu halten. Die Bilder und Fantasien regen die Hypophyse an, die Hormone auszuschütten, die mit sexueller Erregung verbunden sind.
Hier ein anderes kleines mentales Experiment – viel Spaß dabei. Beginnen Sie bitte damit, dass Sie einige Erinnerungen in sich wachrufen, die mit verschiedenen Stimmungen verbunden sind, und schauen Sie, was passiert (ich empfehle dazu glückliche Erinnerungen). Ich werde dieses Experiment ebenfalls machen, während ich dies schreibe. Als Erstes stelle ich mir vor, wie ich mit meinen Freunden an der Universität ein Footballspiel besucht habe, und ein Lächeln breitet sich auf meinem Gesicht aus. Als Nächstes denke ich daran, wie mein Sohn geboren wurde, und spüre eine Welle von Liebe, wenn ich ihn vor mir sehe, wie er sich an meine Frau kuschelt. Dann sehe ich mich bei der Beerdigung meines Großvaters, und Tränen steigen auf. Und so, wie wir körperlich auf diese schönen und traurigen Erinnerungen reagieren, ist es auch bei Situationen, in denen Aggression oder Ärger im Vordergrund standen. Ich verzichte aber darauf, denn es war ein Ereignis, der mich emotional sehr berührt hat. Wie war es für Sie, als Sie sich jetzt an bestimmte Dinge erinnert haben?
Das Gute ist, dass man lernen kann, die Macht der Imagination und der Fantasien zu nutzen, um innere Zustände von Mitgefühl herzustellen, die dazu führen, dass man sich sicher, zuversichtlich und mit anderen verbunden fühlt – und dass man Emotionen besser handhaben kann. Man kann diese Kräfte nutzen und Fähigkeiten einüben, mit denen man Konflikte auflösen kann, statt an ihnen festzuhalten oder sie zu nähren. In diesem Buch werden Sie lernen, das Potential Ihres Gehirns zu kontrollieren, Gedanken und Bilder zu erzeugen und diese Gedanken und Bilder dann zu nutzen, um innere Zustände zu beeinflussen.
Übung 1.4: Aggression und Bilder
Überlegen Sie, was für Dinge Sie sich vorstellen und was Sie fantasieren, wenn Sie ärgerlich oder wütend sind.
• Was für Fantasien und Bilder haben Sie, wenn Sie wütend sind? Wie sehen sie aus?
• Denken Sie an die Wirkung Ihrer Gedanken, Bilder und Fantasien auf Ihre Stimmung.
• Verstärken sie Ihre Aggression oder beruhigen sie sie? Machen sie es leichter, mit der Situation umzugehen, oder schwieriger?
Zum Handeln getrieben: die Macht der Motivation
Eine der Hauptfunktionen unserer Emotionen – Liebe, Aggression, Angst, Freude, Verlangen, Traurigkeit und Anziehung, um nur einige zu nennen – besteht darin, Verhalten zu motivieren. Besonders Emotionen, die mit einer starken Erregung verbunden sind wie Ärger und Wut, sind von einer Motivation zu handeln begleitet – sich zu paaren, zu fliehen, zu kämpfen, sich die Dinge zu verschaffen, die man haben will oder braucht. Zum Teil definieren diese Motivationen, was es bedeutet, aggressiv zu sein. Im Körper kann Ärger oder Wut ähnlich wie Angst in Erscheinung treten: Herz- und Atemfrequenz sind beschleunigt, der Blutdruck steigt, die Muskulatur spannt sich an. Die Motivationen, die mit Aggression verbunden sind, sind aber andere als bei Angst. Wenn man Angst hat, will man fliehen und sich von der Quelle der Gefahr entfernen. Im Gegensatz dazu will man bei Ärger oder Wut auf diejenigen, die sie ausgelöst haben, zugehen (12). Man ist getrieben, anzugreifen, zu überwältigen und zu dominieren.
Diese Motivation ist nicht nur ein mentales Verlangen wie: „Nachdem ich hierüber nachgedacht habe, bin ich zu der Entscheidung gelangt, dass ich Ihnen wirklich gern eine scheuern möchte.“ Es ist eher wie ein Drang – so wie man sich kratzen möchte, wenn es juckt. Es ist wichtig, diese Empfindung anzuerkennen, wenn man lernt, Mitgefühl anzuwenden, um mit Aggression konstruktiv umzugehen. Es ist auch wichtig, zu verstehen, dass man sich in Wut oft nicht bewusst dafür entscheidet, aggressiv zu handeln. Häufig ist es nur etwas, was man fühlt. Unsere Verantwortung besteht darin, herauszufinden, wie man damit umgehen möchte, und zu vermeiden, anderen und sich selbst zu schaden. Wir haben gesehen, dass unser Körper in Gefahrensituationen auf Handeln eingestellt ist, und im Bewusstsein die Motivation im Vordergrund steht, alles Bedrohliche oder Gefährliche abzuwehren. Wir wollen uns verteidigen und die andere Person vielleicht sogar bestrafen, damit ihr niemals wieder in den Sinn kommt, uns in die Quere zu kommen. Besonders in Beziehungen schafft man sich so natürlich eine Menge Probleme.
Um also effektiv mit Aggression umgehen zu können, müssen wir mit unserer Motivation arbeiten, damit wir unseren Fokus erweitern und uns mit dem Wunsch verbinden können, mit uns selbst und mit anderen konstruktiver umzugehen. Im nächsten Kapitel werden wir genauer sehen, dass unser Gehirn so verschaltet ist, dass es auf Gefahr und Bedrohung reagiert, aber auch auf Anteilnahme von anderen und Fürsorge für sie. Diese Motivationen können uns helfen, Reaktionen des Gehirns mit Mitgefühl zu aktivieren und so mit schwierigen Situationen umzugehen, ohne uns in Wut oder Ärger zu verlieren.
Übung 1.5: Aggression und Motivation
Was ist Ihr Motiv, wenn Sie aggressiv sind? Was wollen Sie tun?
• Was möchte Ihr aggressiver Teil sagen?
• Was möchte Ihr aggressiver Teil tun?
Dinge, die wir tun: Aggression und Verhalten
Zu Beginn dieses Kapitels haben wir über Verhaltensweisen gesprochen, die von Aggression bestimmt sind, wenn unser Bedrohungssystem aktiv wird. Sie reichen von dem Versuch, die Aggression zu verbergen oder zu ignorieren, bis zu offener Gewalt. Wir agieren unsere Aggression auf vielerlei Weisen aus, die für uns typisch sind und von vielen Faktoren bestimmt werden. In Kapitel 3 werden wir sehen, dass unser Temperament, unsere frühen Beziehungen mit Beziehungspersonen (auch unsere Beobachtungen ihres Verhaltens, wenn sie ärgerlich oder wütend waren), soziale Rollen, unsere Ressourcen zur Bewältigung schwieriger Situationen und eine Menge anderer Situationen zu diesen Faktoren gehören, die unser Leben ausmachen.
Unter den vielen Formen, in denen wir Ärger ausdrücken, ist offene Aggression vielleicht die problematischste, besonders wenn sie unsere Beziehungen betrifft. Es gibt Kontexte (zum Beispiel Familie, Partnerschaft oder Arbeit), in denen wir es uns „leisten können“, offen aggressiv zu sein, und es gibt andere, in denen es schlimme Konsequenzen hat. Es kann also sein, dass Menschen, die gelernt haben, ihren Ärger aggressiv auszuagieren, diejenigen, die ihnen am meisten bedeuten, am gröbsten behandeln, einfach, weil sie damit durchkommen. Oft sind es Schwächere, die uns selbst kaum schaden oder verletzen können, wie z. B. Angestellte, Partner oder Kinder. Beim Chef, der uns unfairerweise angeschrien hat oder dem Polizisten, der uns einen Strafzettel verpasst, sieht das natürlich ganz anders aus.
Offene Aggression ist nicht die einzige Verhaltensweise, die Distanz zwischen uns und denen, die wir lieben, schaffen kann. Dazu gehören auch Liebesentzug, also Zuneigung verweigern, oder in Groll schmoren und ständig Signale der Missbilligung aussenden. Kindern Liebe verweigern oder entziehen ist natürlich ebenso verletzend und schädlich, als wenn man sie schlüge – wenn auch auf eine andere Weise. Leise, ständige entwertende Kritik kann das Selbstwertgefühl eines Partners völlig zerstören. Man kann sich die Folgen oft gar nicht vorstellen, wenn das Gefahrenoder Bedrohungssystem unseren Alltag bestimmt.
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