Wie wäre es, wenn Sie, statt zu belehren, die Warum-Was-Wie-Fragen stellen würden?
1. Warum hat mein Kind sich so verhalten? Noch einmal, die Ansätze wechseln, je nachdem, wer Ihr Kind ist und was für eine Persönlichkeit es hat. Vielleicht sind die Hausaufgaben für Ihre Tochter ein Kampf und sie ist frustriert, weil sie das Gefühl hat, diesen Kampf nie gewinnen zu können. Vielleicht haben die Aufgaben etwas an sich, das sie als zu schwer oder als Überforderung empfindet und das bewirkt, dass sie mit sich selbst unzufrieden ist. Vielleicht braucht sie aber auch nur mehr körperliche Betätigung. Die hauptsächlichen Gefühle könnten in diesem Fall Frustration und Hilflosigkeit sein.
Oder vielleicht fällt ihr die Schule normalerweise gar nicht so schwer und sie ist nur deshalb ausgerastet, weil sie heute müde ist und sich überfordert fühlt. Sie ist früh aufgestanden, war sechs Stunden in der Schule und hatte dann ein Pfadfindertreffen, das genau bis zum Abendessen dauerte. Jetzt, da sie gegessen hat, soll sie am Küchentisch sitzen und eine Dreiviertelstunde mit Brüchen arbeiten? Kein Wunder, dass sie ausflippt. Da wird einer Neunjährigen viel abverlangt (selbst für einen Erwachsenen wäre es viel!). Das bedeutet nicht, dass sie ihre Hausaufgaben nicht mehr erledigen müsste, doch kann sich Ihre Perspektive – und Ihre Reaktion – ändern, wenn Sie erkennen, woher ihr Verhalten rührt.
2. Welche Lehre will ich in diesem Moment vermitteln? Möglicherweise wollen Sie Ihrer Tochter etwas über effektives Zeitmanagement und über Verantwortung beibringen. Oder darüber, wie man sich entscheidet, an welchen Aktivitäten man teilnimmt. Oder darüber, wie man mit Frustration flexibler umgeht.
3. Wie kann ich diese Lehre am besten vermitteln? Egal, wie Sie Frage 2 beantworten, Ihrer Tochter einen Vortrag zu halten, wenn sie bereits aufgewühlt ist, ist definitiv nicht die beste Herangehensweise. Dies ist kein Moment, in dem sie zum Lernen bereit ist, weil die emotionalen, reaktiven Teile ihres Gehirns gerade am Wüten sind und die ruhigeren, rationalen, denkenden und empfänglichen Teile überwältigen. Stattdessen könnten Sie Ihrer Tochter bei ihren Brüchen helfen und dabei, diese bestimmte Krise einfach durchzustehen: „Ich weiß, das ist viel heute Abend und du bist müde. Aber du kannst das. Ich setz mich zu dir und wir machen das mal eben.“ Wenn sie sich dann beruhigt hat und Sie gemeinsam eine Schale Eiscreme essen – oder vielleicht auch erst am nächsten Tag –, können Sie darüber sprechen, ob sie mit Aktivitäten überlastet ist, ins Kalkül ziehen, dass sie wirklich Mühe hat, ein Konzept zu verstehen, oder die Möglichkeit untersuchen, dass sie sich während des Unterrichts mit Freundinnen unterhält und nicht fertiggestellte Arbeit aus der Schule mit nach Hause bringt, wodurch sie letztendlich noch mehr Hausaufgaben zu erledigen hat. Stellen Sie ihr Fragen und arbeiten Sie mit ihr zusammen an dem Problem, um herauszufinden, was los ist. Fragen Sie, was ihrem Erledigen der Hausaufgaben in die Quere kommt, was sie glaubt, warum es nicht gut funktioniert, und welche Vorschläge sie hat. Sehen Sie die Situation als Gelegenheit an, gemeinsam an der Verbesserung der Hausaufgabenerfahrung zu arbeiten. Möglicherweise braucht Ihre Tochter Hilfe beim Aufbau von Kompetenzen, die es ihr ermöglichen, sich Lösungen einfallen zu lassen; beziehen Sie sie aber so weit wie möglich in den Prozess mit ein.
Denken Sie daran, sich einen Zeitpunkt auszusuchen, an dem Sie beide in einer guten, empfänglichen Geistesverfassung sind, und beginnen Sie das Gespräch dann, indem Sie so etwas sagen wie: „Mit den Hausaufgaben läuft es nicht besonders gut, stimmt’s? Ich bin mir sicher, wir können eine bessere Lösung finden. Was, meinst du, würde funktionieren?“ (Übrigens machen wir Ihnen in Kapitel 6, in dem wir Umlenkungsstrategien besprechen, viele spezielle, praktische Vorschläge, die Ihnen bei dieser Art von Gespräch helfen.)
Unterschiedliche Kinder erfordern unterschiedliche Antworten auf die Warum-Was-Wie-Fragen. Wir sagen deshalb nicht, dass irgendwelche dieser speziellen Antworten unbedingt zu einem bestimmten Zeitpunkt auf Ihre Kinder zutreffen müssen. Es geht darum, Disziplin auf eine neue Art zu sehen, sie zu überdenken. Dann können Sie sich beim Interagieren mit Ihren Kindern durch eine Gesamtphilosophie leiten lassen, statt einfach so zu reagieren, wie es gerade aus Ihnen herausbricht, wenn Ihre Kinder etwas tun, was Ihnen nicht gefällt. Die Warum-Was-Wie-Fragen bieten uns einen neuen Weg, um von reaktiver Erziehung zu Empfänglichkeit und zu bewussten, absichtsvollen, vom integrierten Gehirn ausgehenden Strategien zu wechseln.
Zugegebenermaßen werden Sie nicht immer die Zeit haben, über die drei Fragen nachzudenken. Wenn ein freundlicher Ringkampf im Wohnzimmer zu einem blutigen Käfig-Match entartet oder wenn Sie junge Zwillinge haben, die für den Ballettunterricht schon spät dran sind, ist es nicht so einfach, einen Dreifragenplan durchzugehen. Wir verstehen das. Es mag sich vollkommen unrealistisch anhören, wenn wir sagen, Sie hätten die Zeit, im Eifer des Gefechts so achtsam zu sein.
Wir sagen nicht, dass Sie es jedes Mal perfekt hinbekommen werden oder dass Sie augenblicklich in der Lage sein werden, Ihre Reaktion zu durchdenken, wenn Ihre Kinder aus der Fassung geraten. Je mehr Sie sich aber mit diesem Ansatz befassen und je mehr Sie ihn praktizieren, umso natürlicher und automatischer werden Sie eine schnelle Einschätzung vornehmen und mit einer absichtsvollen Antwort reagieren. Dies kann sogar zu Ihrer Standardreaktion werden, zu derjenigen, auf die Sie immer zurückgreifen, auf die Sie sich immer verlassen können. Mit Übung können diese Fragen Ihnen helfen, angesichts von Interaktionen, die zuvor Reaktivität hervorgerufen haben, absichtsvoll und empfänglich zu bleiben. Das Fragen von Warum, Was und Wie kann selbst bei äußerem Chaos zur Erzeugung eines inneren Gefühls der Klarheit beitragen.
Im Ergebnis werden Sie in den Genuss des Bonus kommen, immer weniger eingreifen zu müssen, weil Sie nicht nur das Gehirn Ihres Kindes so prägen werden, dass Letzteres bessere Entscheidungen trifft und die Verbindung zwischen seinen Gefühlen und seinem Verhalten versteht, sondern weil Sie zudem besser darauf eingestimmt sein werden, was mit ihm los ist – warum es das tut, was es tut –, und es deshalb besser werden leiten können, bevor die Dinge eskalieren. Außerdem wird es Ihnen leichter fallen, die Dinge aus seiner Perspektive zu sehen, wodurch Sie erkennen werden, wann es statt Ihres Zorns Ihre Unterstützung benötigt.
Statt zu belehren …
… stellen Sie die drei Fragen
Kann nicht im Gegensatz zu Will nicht:
Es gibt keine Universallösung
Um es einfach auszudrücken, hilft uns das Stellen der Warum-Was-Wie-Fragen, uns daran zu erinnern, wer unsere Kinder sind und was sie brauchen. Die Fragen fordern uns dazu heraus, uns des Alters und der einzigartigen Bedürfnisse eines jeden Individuums bewusst zu sein. Immerhin kann das, was bei dem einen Kind funktioniert, das genaue Gegenteil dessen sein, was sein Bruder braucht. Und was bei dem einen Kind in der einen Minute funktioniert, kann bei demselben Kind zehn Minuten später schon nicht mehr funktionieren. Stellen Sie sich Disziplin also nicht als eine Methode vor, bei der es eine Universallösung gibt. Denken Sie stattdessen daran, wie wichtig es ist, auf dieses eine Kind in diesem einen Moment einzugehen .
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