Bei der Gucki ist es sogar herausgespritzt: wie bei einem Odelfassl*! Eh klar – nichts Festes im Magen! Der Doktor Munz hat gerade seine Diagnose auf Gastritis erweitern wollen – da war die Gucki aber auch schon weg. Nicht einmal Hustentropfen hat er ihr verschreiben können. Geschweige denn, dass er sie ins Kino oder Theater einladen hat können. Weil er nämlich eine Frau gebraucht hätte. Aber nicht nur eine fürs Bett. Auch so. Zum Heiraten halt. Weil er keine Frau gehabt hat. Obwohl: Bei einem Doktor sagt man nicht Frau, sondern Gattin. Weil ein Doktor ja was Besseres ist. Da heißt dann auch die Frau Frau Doktor. Auch wenn sie eine Universität noch nie von innen gesehen hat. Müsste man meinen, dass sich die Frauen nur so darum reißen, Frau Doktor zu werden. Warum hat dann der Munz noch immer keine? Weil: So um die fünfundvierzig wird er jetzt sein – und jünger wird er auch nimmer. Ist er leicht so schiach? Nein, überhaupt nicht! Ein bisserl grau an den Schläfen, aber sonst eine stattliche Erscheinung – wie man so sagt. Warum findet dann so einer keine Frau?
* Odelfass, auch Adelfass: bes. bayr. und österr. für Jauchenfass.
Das ist jetzt gar nicht so leicht zum Erklären. Am besten, ich fang damit an, dass St. Anton 50 Kilometer von Linz weg ist. Eine Stunde mit dem Auto. Praktisch lauter Kurven. Ein Traum für jeden Motorradfahrer! Nur: Leider hat die Frau Magister Moll kein Motorradl gehabt. Und ist daher auch nicht so gern nach St. Anton gefahren. Das war die Verlobte vom Doktor Munz. Mit der Betonung auf war. Ist nämlich auch schon wieder zehn Jahre her. Da hat der Munz gerade die Praxis übernommen. Und sich eigentlich recht schnell eingelebt. Die Frau Magister weniger. Die hat nicht so recht gewusst, was sie in St. Anton anfangen soll. Weil Schwammerlsuchen hat sie nicht wollen – und Tarockieren hat sie nicht können. Und sonst schaut es halt bei uns eher schlecht aus, was die sogenannten Freizeitangebote betrifft. Höchstens noch Zeltfeste. Da gibt es genug. Und Hüttenfeste auch. Aber genau so ein Hüttenfest ist dann dem Doktor Munz zum Verhängnis geworden. In Trilling war es, hoch hergegangen ist es – da hat der Fuzzi auf einmal eine saublöde Idee. Schnappt er sich seinen Fotoapparat – das war eigentlich nur ein blöder Zufall, dass er den mitgehabt hat, weil: Wer nimmt denn schon auf ein Hüttenfest einen Fotoapparat mit? Aber der Fuzzi war ausgerechnet an dem Tag auf Betriebsausflug in der Wachau und hat fleißig Weinkeller fotografiert. Schnappt er also seinen Fotoapparat und kriecht unter den Tisch. Und kriecht weiter und kriecht und kriecht, bis dass er in der Schnapsbar landet. Direkt unter dem Rock von der Frau Magister. Und drückt ab. Gleich ein paar Mal! Dass es unter dem Rock nur so blitzt! Angeblich sind die Fotos sogar was geworden. Dafür ist es mit der Hochzeit vom Doktor Munz nichts geworden. Weil nämlich die Frau Magister keinen Spaß verstanden hat. Und nicht nur das Trillinger Hüttenfest auf der Stelle, sondern auch St. Anton für immer verlassen hat. Seither geht der Fuzzi vorsichtshalber zum Blumenfelder Doktor, wenn ihm was fehlt.
Jetzt könnte man sagen: Das mit den Fotos gehört eigentlich gar nicht hierher. Weil das ja eine ganz eine andere Geschichte ist. Will ich auch gar nicht abstreiten. Aber: Was soll ich denn machen? Ich kann ja auch nichts dafür, dass dem Doktor Munz die Geschichte mit den Fotos gerade jetzt wieder eingefallen ist. Aber nicht, weil die Gucki der Frau Magister Moll so ähnlich schaut: Weil sie so ganz anders ist! Und dass er für das Hobby Rosenzüchten eigentlich noch zu jung ist, denkt er sich auch. Und weil er gar so viel denkt, denkt er überhaupt nicht dran, was sich die Leute denken werden, wenn ihr Doktor mit einem dünnen Manterl und mit Schlapfen im Schneesturm vor dem Haus herumsteht. Man sieht ihn aber eh fast nicht. Praktisch getarnt: weißes Manterl, weißes Hemd, weißes Hoserl, weiße Schlapfen und sogar weiße Socken. Die Haare werden auch schön langsam weiß. Und kalt ist ihm sowieso kein bisserl. Weil ihm vor lauter An-die-Gucki-Denken ganz warm ist.
* entrisch: gruselig, unheimlich
Der Gucki ist dafür saukalt. Richtig reißen tut es sie, wie sie jetzt durch den Schnee stapft. Warum muss sie aber auch blöd in der Gegend herumrennen, anstatt endlich ihren Aufmacher zu schreiben? Wird schon ihre Gründe haben. Erstens muss der Turrini sowieso schon längst Gassi, wobei Gassi natürlich der falsche Ausdruck ist, weil es bei uns ja keine Gassen gibt. Zweitens muss sich die Gucki den Tatort anschauen. Und auch bei Tatort bin ich mir nicht so sicher. Weil: Wer sagt denn, dass der Fundort der Leiche gleichzeitig der Tatort ist? Eigentlich kann er es gar nicht sein. Hundertpro! Weil gestern ist der Harry nicht umgebracht worden – und vorgestern hätte die Gucki die Leiche gefunden. Also: die Gucki wahrscheinlich nicht. Wegen dem vielen Schnee. Der Turrini aber bestimmt. Für was ist er denn sonst ein Hund? Die Gucki und der Turrini sind nämlich vor zwei Tagen am Fundort vorbeigekommen. Weil sie da praktisch jeden Tag vorbeikommen. Beim Gassigehen, das – wie gesagt – kein Gassi-, sondern ein Feldwegigehen ist. Weil der Fundort ja ganz in der Nähe von der Gucki ihrem Haus ist. In Steining. Das ist ein Dorf, das aber kein richtiges Dorf ist, sondern lauter alleinstehende Häuser. Ein paar Bauernhäuser und der Gucki ihr Wochenendhaus, das jetzt kein Wochenendhaus mehr ist. Eher umgekehrt – ein Wochentagshaus. Weil die Gucki am Wochenende öfter nach Wien fährt.
Gestern war sie aber nicht in Wien. Da war sie mit dem Turrini beim Fundort. Und ist sogar stehen geblieben. Und hat sogar noch ein Foto gemacht. Weil es so ein entrisches* Bild war. Ist da auf einmal so eine Art Galgen aufgestellt. Einfach zwei Latten im rechten Winkel zusammengenagelt, und dann noch eine dritte in einem Winkel von 45 Grad. Damit es auch hält. Und an dem Galgen baumelt eine tote Krähe. Mit dem Kopf nach unten. Trotzdem schaut es aus wie eine öffentliche Hinrichtung. Sozusagen abschreckendes Beispiel. Nur: warum? Ich mein: Für was braucht man im Winter eine Vogelscheuche? Gibt ja nichts, was die Krähen fressen könnten. Nur Schnee. Die Siloballen, die für die Gucki normalerweise ein vertrauter Anblick sind, weil sie schon seit dem Sommer dort liegen, sind so verschneit und so verweht, dass sie auf einmal wie ein Lindwurm ausschauen. Den hat die Gucki auch fotografiert. Gleich ein paar Mal. Die Siloballen hat die Gucki sowieso schon öfter fotografiert. Auch schon im Sommer. Weil sie so was Unwirkliches haben. Praktisch Fremdkörper in der Landschaft. Die Form ist es aber nicht, dass sie nicht herpassen. Weil da gibt es Steine auch, die so ausschauen: so ein Zylinder, bei dem die Kanten abgerundet sind. Eher das Material: das Plastik, das da herumgewickelt ist. Weil es ausschaut, wie wenn es so spannen tät, wie wenn es den Siloballen jeden Moment zerreißen tät. Und dann natürlich die Farbe: So ein komisches Grün, dass man es gar nicht beschreiben kann. Am ehesten noch: gespieben. So blassgrün wie einer im Gesicht ist, der kurz vor dem Speiben steht. Irgendwie eine Leichenfarbe. Ich mein: Ich will ja nichts sagen gegen die Siloballen, weil sie ja schon recht was Praktisches sind. Nur: Jetzt gibt es sie schon seit mehr als zehn Jahren – und ich kann mich noch immer nicht an die Silobinkel gewöhnen! Weil bei uns heißt es Silobinkel. Weil natürlich kein Mensch Ballen sagt. Binkel klingt ja auch irgendwie freundlicher. Trotzdem kann ich mich nicht damit anfreunden.
Der Turrini anscheinend auch nicht. Der bellt wie ein Wilder und ackert im Schnee herum, als wären die Silobinkel wirklich ein Lindwurm – und er der Heilige Ritter Georg, der die Gucki vor diesem Monster beschützen muss. Muss die Gucki natürlich lachen. Weil sie manchmal wirklich ein bisserl von einem Ritter träumt. Halt von einem, der sie aus ihrem ganzen Schlamassel herausreißt: dass sie für diese depperten Mühlviertler Nachrichten schreiben muss, dass sie sich ununterbrochen von dieser depperten Chefin sekkieren lassen muss, dass sie mit dieser depperten Diplomarbeit über den Turrini nicht fertig wird, dass sie nicht weiß, wie sie diesen depperten Altbausanierungskredit zurückzahlen soll, dass dieser depperte Hund nicht folgt, dass überhaupt alles aussichtslos ist. Da ist es dann wirklich kein Wunder, dass sie hie und da ein bisserl ins Träumen kommt. So – von wegen eine starke Schulter, an die man sich anlehnen kann. Nur war halt weit und breit kein Ritter in Sicht. Weil ins Gasthaus Otter verirrt sich keiner – und auf ein Zeltfest oder Hüttenfest auch nicht. Und in die Meierhansl-Hütte, in der sie jeden Sonntag und jeden Dienstag tarockiert, schon gar nicht. Dort gab es zwar Männer zum Saufüttern – und alle nicht verheiratet – und alle auf der Suche nach einer Frau – nur: Was die suchen, ist keine lustige Journalistin, die Kartenspielen kann, sondern eine tüchtige Bäuerin, die einen Nebenerwerbshof bewirtschaften kann. Und außerdem: Bei der Gucki traut sich sowieso keiner so recht. Weil die Gucki halt doch anders ist. Nicht nur, weil sie eine Studierte ist. Auch weil es einem das Beuschel herausreißt, wenn man einmal bei der Gauloises filterlos anzieht, die die Gucki immer raucht. Da muss einer schon recht einen Rausch haben, dass er zudringlich wird. So wie gestern der Joe. Hat ihr ein bisserl auf den Busen gegriffen. Ist aber dann eh gleich eingeschlafen. Im Sitzen. Die Watschen, die ihm die Gucki vorher noch gegeben hat, hat er wahrscheinlich nicht einmal recht gespürt. Obwohl: Die Gucki kann ordentlich zuhauen! Weil geklescht hat es ärger, wie wenn der Fuzzi „Schuss!“ sagt. Und der drischt dabei so auf den Tisch, dass die Gläser wackeln. Aber das hab ich eh schon erzählt.
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