Bei der Gelegenheit muss aber wirklich einmal was über diese Autonummern gesagt werden. Wunschkennzeichen heißen sie. Weil man sich wünschen darf, was draufsteht. Es dürfen halt nicht mehr als wie fünf Buchstaben sein – und dann noch eine Zahl. Meistens steht eh nur der Name vom Autobesitzer oben. Eben FR – MANDI 1. Die, die Franz oder Fritz heißen, haben es bei uns noch schöner: Da heißt es dann FR – ANZ 1 oder FR – ITZ 1. Weil ja Bezirk Freistadt mit FR abgekürzt wird. Oder es steht ein Kosename oben. Wie zum Beispiel FR – HASI 1. Oder es hängt mit der Firma zusammen. Wie beim Tischler von St. Anton. Bei dem heißt es: FR – HOLZ 1. Oder es hat was mit dem Hobby zu tun. FR – JAGA 1 – das ist natürlich der Otter Sepp. Und dann gibt es auch noch ein paar, die sich mit den Buchstaben eine Gaudi machen. Sagen wir einmal: FR – UST 1. Weil UST ist ja die Abkürzung von Umsatzsteuer. Und bei der hat ein jeder einen Frust – außer er zahlt keine. Weil es schwarz geht. Oder im Pfusch. Aber von dem fang ich jetzt gar nicht an! Das tät zu weit führen. Weil: Was bei uns Steuer hinterzogen wird – da könnte man ja ganze Romane schreiben! Und außerdem wird man sich sowieso schon längst fragen, warum ich das mit den Wunschkennzeichen gar so aufbausche. Warum ich nicht endlich erkläre, was der Prandegger Mandi mit der ganzen Geschichte zu tun hat. Nicht vielleicht wegen dem Geld, das die Leute für so ein Wunschkennzeichen hinausschmeißen! Immerhin 2.000 Schilling. Aber das Geld ist mir völlig wurscht! Geld schmeißen die Leute auch für einen anderen Blödsinn hinaus. Mir geht es um was ganz was anderes: dass nämlich ein jeder die Nummer 1 sein will! Das gibt mir schon ein bisserl zu denken: Wo kommen wir da noch hin, wenn ein jeder nur mehr die Nummer 1 sein will?
Normalerweise ist der Prandegger Mandi auch gern die Nummer 1. Sonst wäre er nicht Bezirksrauchfangkehrermeister, Kommandant der Freiwilligen Feuerwehr St. Anton und Obmann der Jagdhornbläser. Aber eben nur normalerweise. Im Moment ganz und gar nicht. Da wäre er viel lieber eine ganz eine unscheinbare Nummer. Weil er nämlich im Gasthaus Weiß sitzt, dass er seine Ruhe hat – und nicht, dass er sich vom Schipany anstänkern lasst! Drum hat er ja auch gesagt: „Wer nix lernt und auch nix kann, der geht zur Post und auch zur Bahn!“ Damit ist nämlich der Schipany Bertl gemeint. Weil er Briefträger ist. Weil er wirklich nicht recht viel gelernt hat. Genauer gesagt: Ein paar Mal ist er sitzen geblieben in der Volksschule – und dann Hilfsarbeiter – und dann zur Post. Drum fühlt sich der Bertl auch angesprochen. Drum kriegt er auch einen roten Schädel. Drum sagt er auch: „Mit einem Mörder mag ich sowieso nicht an einem Tisch sitzen!“ Und trinkt aus und geht.
Auf das hat aber die Gucki nur gewartet: dass sie endlich allein ist mit dem Mandi! Aber nicht, weil er der Mörder vom Harry ist. Dann tät es ja auch gar nicht gehen. Weil dann hätten sie den Mandi ja gar nicht mehr ausgelassen. Weil festgenommen haben sie ihn eh. Und verhört. Die halbe Nacht! Bis dann das Gutachten gekommen ist. Vom Gerichtsmediziner. Weil da ist dann schwarz auf weiß drinnengestanden, dass der Mandi gar nicht der Mörder sein kann. Weil man eine Leiche nämlich nicht ermorden kann. Weil: Wie ihn die Kugel vom Mandi mitten in die Stirn getroffen hat, da war der Harry nämlich schon mausetot.
Trotzdem ist der Mandi natürlich fertig mit den Nerven. Und heilfroh, dass dieser lästige Schipany endlich weg ist. Dass sie endlich allein sind. Er und das Mädel. Weil: Wie sie ihn jetzt anschaut – so warmherzig und verständnisvoll – da vergisst er doch glatt, dass sie eigentlich auch eine Reporterin ist. Und lässt sich einfach hineinfallen in diese bernsteinfarbenen Augen – ein Braun, so unergründlich und tief wie das Wasser der Aist! Und schon hat er seine Hand auf ihren Oberschenkel gelegt – und schon kommt, was ganz einfach kommen muss. Aber nicht das, was jetzt vielleicht einer denkt! Der Mandi belästigt die Gucki nicht – der Mandi weint. Richtig herausbrechen tut es aus ihm: wie bei einem Wolkenbruch! Dass er jetzt seit 35 Jahren auf die Jagd geht. Dass er noch nie wen angeschossen hat – nicht einmal einen Treiber! Dass er sein Gewehr gar nicht mehr anschauen kann. Geschweige denn angreifen! Dass er das Jagen aufgibt. Dass er überhaupt alles aufgibt: den Kommandanten, den Obmann und den Bezirk! Dass er in Pension geht. Oder soll er sich lieber gleich erschießen?
Gott sei Dank war dem Mandi sein Katzenjammer aber auch genauso schnell wieder vorbei wie ein Wolkenbruch. Die Gucki hat ihm nur ein bisserl gut zureden müssen – dann hat er sich auch schon ordentlich geschnäuzt, der Wirtin geschrien und die Gucki auf ein Bier eingeladen. Und ihr alles feinsäuberlich erzählt. Wie ihn fast der Schlag getroffen hätte: wie da auf einmal keine Wildsau liegt, sondern ein Mensch. Wie er sich noch gewundert hat, dass der Mann mitten im Winter ein Sommergewand anhat. Wie er auf einmal den Harry erkannt hat. Wie er dann das Loch in der Stirn gesehen hat. Wie ihm schlecht geworden ist. Wie dann der Doktor gekommen ist. Und die Gendarmen. Wie der Pointner Hans schließlich gesagt hat: „Herr Prandegger, ich muss Sie leider vorläufig festnehmen!“ Wie ihm da schlagartig klar geworden ist, dass er ein Mörder ist. Weil der Hans Sie gesagt hat. Obwohl sie normal per Du sind. Weil bei uns sind eigentlich alle per Du. Wie ihm schwarz vor den Augen geworden ist. Und so weiter und so fort. Bis zum gerichtsmedizinischen Gutachten. Fraktur der Wirbelsäule. Was nichts anderes heißt, als dass sich der Harry das Kreuz gebrochen hat. Trotzdem hat sich der Mandi das mit der Fraktur gemerkt. Weil das der Beweis für seine Unschuld war. Zumindest für die Kriminalbeamten. Für die Jäger sicher nicht. Da wird die Geschichte noch ein Nachspiel haben. Von wegen Fahrlässigkeit. Das Mindeste, aber auch schon das Allermindeste, was ihm blüht, ist eine strenge Verwarnung. Wenn sie ihm den Jagdschein nicht gleich zupfen. Bevor aber der Mandi noch so richtig ins Sudern kommen kann, ist die Gucki auch schon weg. Weil sie jetzt auf einmal ganz dringend zum Doktor muss. Ist ihr am Ende schlecht geworden beim Mandi seiner Geschichte? Wunder wär es ja keines: zwei Bier, ein Kaffee, wieder ein Bier, Zigaretten auch eine nach der anderen – und noch dazu filterlose – und das alles auf nüchternen Magen! Und am Vortag um drei in der Früh ins Bett. Aber kein bisserl nüchtern!
Mit ihrem Magen ist aber anscheinend alles in Ordnung. Sonst tät ihr der Doktor Munz jetzt nicht die Lunge abhorchen. Wird ihm eh lieber sein. Weil ja die Gucki unter dem Rollkragenpullover keinen BH anhat und weil ihr Busen wirklich sehenswert ist. Der springt einem ja schon ins Auge, wenn sie was anhat. Weil Beruf hin, Beruf her – auch einem Doktor wird ein schöner Busen besser gefallen als wie ein schiacher. Sonst wär er ja kein Mann. Nur: Anmerken lassen darf er sich halt nichts. Drum tut er gleich auch recht streng und redet der Gucki ins Gewissen. Wegen dem Rauchen. Weil sie eine ordentliche Bronchitis hat. Aber die hat sie eigentlich immer im Winter. Und wegen dem ist sie eigentlich auch gar nicht gekommen. Gekommen ist sie nur, weil der Doktor Munz gestern den Harry untersucht hat. Besser gesagt: dem Harry seine Leiche. Also fragt die Gucki zum Spaß, ob der Harald Baum leicht gar an einer Bronchitis gestorben ist. Ist jetzt der Doktor natürlich in einer Zwickmühle: einerseits ärztliche Schweigepflicht – andererseits ausgesprochen charmante Patientin. Weil die hat es mit dem Rollkragenpullover-Anziehen überhaupt nicht eilig.
Aber ganz umsonst hat so ein Doktor auch nicht studiert. Drum zieht er sich elegant aus der Affäre und sagt zuerst, dass er ihr nichts, aber auch schon absolut gar nichts gesagt hat – und dann sagt er ihr, was sie wissen will. Beziehungsweise: Er sagt ihr, was er weiß. Die Todesursache weiß er nämlich auch nicht. Genauso wenig wie den Zeitpunkt des Todes. Das Einzige, was er mit Sicherheit sagen kann, ist, dass der Harry schon länger tot sein muss. Mindestens zwei, drei Monate. Dass aber die Leiche rein äußerlich trotzdem so gut erhalten ist, wie wenn er erst gestern gestorben wäre. Wie wenn man den Harry konserviert hätte. Jetzt hätte die Gucki nicht fragen dürfen, wie denn der Doktor das so genau sagen kann. Denn kaum hat er ihr erklärt, wie er da dahintergekommen ist, hat sie auch schon ruck-zuck ihren Rollkragenpullover anziehen müssen und rennen. Mit Ach und Krach hat sie es noch geschafft bis zur Haustür. Dann hat sie aber auch schon gespieben, dass es nicht mehr feierlich war. Direkt auf dem Doktor Munz seine Rosensträucher. Das hat er jetzt davon, dass er ihr das auch so anschaulich schildern muss! Dass sich nämlich bei einer Leiche nach einiger Zeit das Hirn zersetzt und dass dem Harry sein Hirn praktisch bei den Ohren herausgeronnen ist.
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