Bendix war unschlüssig. Er überlegte noch, ob er sich doch die Thieboudienne aus der Küche holten sollte. Er kratzte sich unterm Kinn, verzog dann aber den Mund zu einer Schnute. »Bitte, nehmen Sie doch Platz«, sagte er und setzte sich selbst auf einen der zwei Sessel vor dem Kamin. Modefine kam sogleich auf seinen Schoß gesprungen, drehte sich ein paarmal und legte sich schnurrend hin.
Kommissar Krug schaute sich erst einmal mit scannendem Blick um, sah den offenen Kamin, in dem bereits einige Kippen lagen, und warf seine dazu. Dann setzte er sich in den anderen Sessel, legte lässig den rechten Knöchel über das linke Knie, fuhr sich mehrmals durch das Haar, reckte den Hals, dass es knackte, streckte die Arme nach hinten, dehnte sich, bis er ganz entspannt war, und sagte schließlich: »Pardon. Ich komme unangemeldet. Aber ich bleibe auch nicht lange.« Er rieb sich die Hände und atmete tief ein. »Ich ermittele im Fall Elisabeth Stauder.«
Bendix wurde hellhörig. Die Müdigkeit und der Hunger, die er gerade noch heftig verspürt hatte, schienen auf einmal wie weggeblasen. »Und?«, fragte er gespannt, »haben Sie bereits eine Spur?«
»Nein«, sagte der Kommissar. Er trommelte mit den Fingern auf die Sessellehnen.
Bendix wartete darauf, dass noch irgendeine weitere Bemerkung kam. Doch der Kommissar schaute ihn nur stumm an. Bendix war zu neugierig, um zu schweigen. »Ich hatte zunächst verstanden, dass es sich bei Madame Stauder um Selbstmord handelte.«
»Natürlich nicht«, erklärte Kommissar Krug und schlug leicht und mehrmals mit den Flächen seiner Hände auf die Armlehnen. Er war sich wohl sehr sicher.
»Und wieso nicht?«
»Es gibt viele Gründe«, erklärte der Kommissar. Er griff in sein Jackett und fischte sich eine Zigarette aus einem silbernen Etui. »Die Stauder war nicht der Typ dazu. Außerdem bringen sich die wenigsten an einem Wochenende um. Viele wählen den Wochenanfang, also Montag, am liebsten aber den Mittwoch.« Dann zwinkerte er ihm zu.
Bendix waren Erwachsene, die sich zuzwinkern, immer suspekt. Erwachsene zwinkerten Kindern zu. Oder sie zwinkerten, wenn sie nervöse Zuckungen hatten. Aber sich als Erwachsene zuzuzwinkern hatte etwas Lächerliches, ja etwas Peinliches. Zwinkern konnte ihn kirre machen.
»Am liebsten Mittwoch also«, wiederholte er. Er lachte und kraulte Modefine intensiv unter dem Kinn. »Pardon, Monsieur le Commissaire, aber nicht mal die Katze ist so blöd, Ihnen das abzukaufen.«
Kommissar Krug zog die rechte Augenbraue hoch, ließ seinen Blick über Bendix schweifen, drehte die Gauloises Rouge einige Male zwischen seinen Fingern, zündete sie an, nahm einen kräftigen Zug, blies den Rauch langsam aus und sagte nüchtern: »Wir gehen von Mord aus.«
Es war merkwürdig, wie eine Ahnung nun doch mehr oder weniger zur Gewissheit wurde. Bendix hatte von Anfang an nicht glauben können, dass Elisabeth Stauder freiwillig in den Tod gegangen oder durch einen unglücklichen Sturz umgekommen war. Er hatte bei ihr das gleiche Gefühl, das ihn stets überkam, wenn er über den Tod seines Bruders nachdachte – ein Gefühl der Gewissheit, dass etwas nicht stimmte.
»Sie können gerne rauchen«, sagte er, »aber benutzen Sie doch den Kamin dafür.« Er zeigte auf den Boden des offenen Kamins, wo die ausgedrückten Zigarettenstummel auf der Steinplatte lagen.
Kommissar Krug rappelte sich umständlich auf, drehte sich mit dem Rücken zum Kamin, streckte sich rücklings hin, legte den Kopf unter den Schacht, zog genüsslich und blies den Rauch hinauf.
»Was wollen Sie denn jetzt von mir?«, fragte Bendix schließlich.
Der Kommissar schaute ihn schief aus den Augenwinkeln an. »Ihre Trauerrede hat mir gut gefallen.«
Bendix war überrascht. Mit einem Kompliment hatte er nicht gerechnet. Das konnte aber wohl kaum der Grund des Besuches sein. »Was genau meinen Sie?«
Der Kommissar drückte seine Zigarette aus. »Diese systemische Verknüpfung von Vater und Tochter, die Sie erwähnten, scheint mir sinnvoll zu sein. Ich dachte, wir könnten uns mal darüber unterhalten«, sagte er. Dann stand er auf und klopfte sich mit einigen schlaksigen Handbewegungen den Anzug sauber.
Bendix hielt den Umstand, dass Elisabeth Stauder ihre Mutter früh verloren und wohl aus Loyalität zu ihrem Vater nie geheiratet hatte, um ihn nicht allein zu lassen, für nicht ungewöhnlich. Nur im Zusammenhang mit der Tätowierung schien ihm diese Treue etwas Abnormes zu haben. »Die Frage war für mich, warum sie sich kurz vor ihrem Tod das gleiche Tattoo stechen oder besser gesagt einbrennen ließ wie ihr Vater.«
»Ja«, sagte der Kommissar und setzte sich in den Sessel. »Das ist auffällig.« Er legte beide Hände ans Kinn. »Vielleicht hat sie sich aber gar nicht freiwillig tätowieren lassen.«
»Darüber habe ich auch schon nachgedacht«, sagte Bendix. Was war das für ein bestialisches Ritual, dachte er, seinem Opfer wie einem Vieh einen Stempel in die Haut zu brennen, es in die Tiefe zu schmeißen und dann von einem Tintenfisch küssen zu lassen. Es bedeutete sicher mehr als eine perverse Foltermethode. Bendix war sich sicher – Tattoo und Tintenfisch standen für etwas. »Wissen Sie schon, wie dieser Tintenfisch überhaupt in den Swimmingpool kam?«
»Nein. Noch nicht. Aber jemand muss die Aktion gut vorbereitet haben. Denn im Pool war extra Salzwasser eingelassen worden.«
Wie clever, dachte Bendix. Da kannte sich also einer mit Kraken aus. Er überlegte. »Vielleicht musste sie für etwas sterben, für das ihr Vater verantwortlich war.«
»Ja«, erklärte der Kommissar knapp, »so sehe ich das auch.«
»Und was könnte das sein?«
Kommissar Krug schaute ihn mit einem schiefen Lächeln an. »Ich dachte, Sie könnten mir das sagen.«
»Wieso ich?«, rief Bendix. Er richtete sich so ruckartig auf, dass Modefine von seinem Schoß sprang.
»Sie haben sich doch in den vergangenen Tagen auch mit der Familie Armand intensiv beschäftigt, nicht wahr?« Bendix nickte. »Dann wissen Sie doch, dass Henri Armand Anfang der siebziger Jahre einen Prozess gegen Victor Stauder geführt hat.«
Bendix schüttelte den Kopf. »Nein, Monsieur le Commissaire, das ist für mich neu.«
Der Kommissar erklärte ihm, dass Henri Armand in dem Prozess auf die Rückgabe von Weinbergen geklagt hatte, die einst seiner Familie gehörten. Nach dem Tod von Josef-Jacob Armand und noch während der deutschen Besatzung hatte der damals junge Victor Stauder einige Grand-Cru-Lagen der Armands in Chouilly und Verzenay zu einem ziemlich günstigen Preis gekauft. Henri Armand wollte später die Lagen zurückhaben und ging vor Gericht. Zu einem Urteil kam es nie, da Victor Stauder schon vor Prozessbeginn an einem Herzinfarkt starb.
Bendix schwieg. Er dachte an Charline. Sie wusste mit Sicherheit von dem Streit der Familien. Was war in der Zwischenzeit mit den Grand-Cru-Lagen passiert? Und was hatte das mit Elisabeth Stauder zu tun?
»Und jetzt verdächtigen Sie die Familie Armand?«
Kommissar Krug hob beschwichtigend die Hände.
Aber für Bendix war es klar, dass er diesen Verdacht hegte. Es dauerte eine Weile, bis er darauf kam, was der Kommissar überhaupt meinte – er sollte ihn unterstützen.
»Mais bien sûr!«, rief Bendix ziemlich laut. »Ich soll für Sie spionieren!«
Der Kommissar zuckte zusammen und legte reflexartig den rechten Zeigefinger vor die Lippen, um Bendix zu signalisieren, seine Lautstärke einzudämmen. »Sagen wir, es wäre gut, wenn Sie mich gelegentlich auf dem Laufenden hielten.«
Bendix machte ein amüsiertes Gesicht. Auf eine gewisse Weise fühlte er sich geschmeichelt, dass der Kommissar um seine Mithilfe ersuchte. Er nickte zufrieden, denn er sah keinen Grund, dem Kommissar diese Bitte zu verweigern. »D’accord«, sagte er, »und wenn wir schon bei dem Fall sind, darf ich Sie gleich fragen – welche Rolle spielt eigentlich dieser Tintenfisch?«
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