DER GOTT DES EREIGNISSES
Die Rede von Gott in der Krise muss vorsichtiger, tastender und ahnender werden. Sie soll nicht unbestimmt werden, aber so bestimmt, wie sie einmal war, kann sie nicht bleiben. Gibt es einen Ort zwischen unbestimmt und bestimmt, wo wir uns treffen können?
Der Diskurs über überkommene Bilder und Zuschreibungen an Gott, die nicht mehr haltbar sind und möglicherweise ursprünglich gar nicht christlich waren, muss geführt werden. So ist etwa Abba eindeutig ein schwaches Gottesbild und kein mächtiges. Am Kreuz zu sterben als Sohn Gottes kann als Erweis göttlicher Ohnmacht gesehen werden. Die Auferstehung ist der Gewinn des Lebens, aber selbst Gott kommt am vorausgehenden Tod nicht vorbei. So kommt ja auch das Reich Gottes nicht zu Lebzeiten der Zeitgenossen Jesu, sondern wir warten immer noch, wir hoffen immer noch, und langsam wächst der Zweifel, ob das noch klappt. John D. Caputo hat in einem endlich übersetzten Text die falschen Machterwartungen an Gott von den biblischen Texten her Lügen gestraft und zieht daraus Konsequenzen für die Kirche: „Wenn die Grundannahme des Christentums besagt, dass ‚Gott‘ für ein Ereignis steht, das die oberen Schichten von Macht, Know-how und Privileg schockiert, dann müssen die Institutionen und Strukturen des Christentums porös sein, offen, von unten nach oben gekehrt, gastfreundlich“ ( Caputo , 237).
Gott ist Beziehung. Beziehung ist nichts Statisches, sondern bewegt, im Prozess. Beziehung ist nicht trennbar von den Bezogenheiten der Welt. Beziehung ist nicht substanzhaft, sondern ereignishaft. Beziehung geschieht, gelingt. Sie ist kein Dauerzustand, sondern bedarf des Werdens, der Genese. Beziehungsereignisse lassen sich nicht festhalten, sondern sind flüchtig. Was den Personbegriff ausmacht, ist seine Beziehungskompetenz. Gegen den neuzeitlichen Personbegriff, der Freiheit und Selbstbesitz betont und geradlinig auf Gott überträgt – „Die Bezugnahme auf den neuzeitlichen Personenbegriff ist theologisch […] höchst umstritten“ ( Böhnke , 172) – ist eine Person wesentlich ein Beziehungswesen, das am Du, an der Beziehung wird. Bezogenheit, Werden und Wachstum, wenn auch nicht linear, gehören zum postmodernen Personbegriff und damit Freiheit und Selbstbesitz in der Balance mit Abhängigkeit, Selbstwerden und „Fremdheit in mir“ ( Pamuk ). Klaus Hemmerle hat das Geben als Wesensmerkmal Gottes ausgemacht und versteht daher personalen Selbstbesitz nicht als Haben, sondern als ein Geschehen der Selbstmitteilung. Wenn Gott Sich-Geben ist, stellt sich die Frage, ob nur der Empfangende an Gott wird oder auch Gott am Empfänger, an der Empfängerin. Wenn „Gott ist Beziehung“ ( Theobald ) nicht nur eine hübsche Aussage darstellt, sondern radikal gedacht wird, dann ist Gott in Bewegung, im Prozess, in der Genese, im permanenten Prozess der Inkarnation. Dann sind Welt und Gott notwendig miteinander verbunden und aufeinander verwiesen. Dann kommt es auf Gott an, in die Welt zu kommen und es kommt auf die Welt an, ob sie die Gelegenheiten bietet, dass sich Göttliches ereignen kann. Und genau darin steckt die Fragilität, die Stärke und Schwäche des Glaubens und die dringende Suche nach den Spuren Gottes in der Welt. Weihnachten bietet die entsprechende Ritualzeit, der Spurensuche nach dem Stern und den Sterndeutern zu folgen. Weihnachten ist gleichzeitig die Verheißung, dass sich das Göttliche wieder und wieder ereignen wird. Theologie muss sich auf die Suche machen.
LITERATUR
Bundschuh-Schramm, Christiane,Der Gott von gestern. Warum die Kirchen in der Krise sprachlos sind, in: Publik Forum 13 (2020), 28–31.
Böhnke, Michael,Gottes Geist im Handeln der Menschen. Praktische Pneumatologie, Freiburg i. Br. 2017.
Caputo, John D.,Gottes konjunktivische Macht, in: Concilium 56 (2020), 234–241.
Dalferth, Ingolf U.,Gott der Gegenwart. Was Christen heute zu sagen haben, in: Publik Forum 17 (2020), 28–31.
Hagencord, Rainer,„Wir bringen Gott zum Schweigen“, in: Tag des Herrn vom 09.08.2020, 4–5.
Faulhaber, Kurt,Was war, geschieht neu: Vergegenwärtigung der Heilsgeschichte, in Gerber, Michael/Brantzen, Hubertus/Faulhaber, Kurt/Schmid, Bernhard J. (Hg.), Pastoral am Puls. Glaubenswege gehen – geistliche Prozesse leiten, Freiburg i. Br. 2019, 41–43.
Kienzler, Klaus,Bewegung in die Theologie bringen. Theologie in Erinnerung an Klaus Hemmerle, Freiburg i. Br. 2017.
Luther, Henning,Die Lügen der Tröster. Das Beunruhigende des Glaubens als Herausforderung für die Seelsorge, in: Praktische Theologie 33 (1998), 163–176.
Pamuk, Orhan,Diese Fremdheit in mir, München 2016.
Reckwitz, Andreas,Das Ende der Illusionen. Politik, Ökonomie und Kultur in der Spätmoderne, Berlin 2019.
Rosa, Hartmut,Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung, Berlin 2016.
Ruhstorfer, Karlheinz,Worauf es jetzt ankommt. Covid-19 und die Frage nach Gott, in: Herder Korrespondenz 9 (2020), 26–28.
Schneider, Helge,„Die denken, der verdient mit Scheiße Geld“.
Der Musiker Helge Schneider beschäftigt sich am liebsten mit den Menschen, die seinen Humor nicht verstehen. Ein Gespräch über die harte Arbeit hinter dem Quatsch, in: DIE ZEIT vom 20. August 2020, 24.
Scholl, Norbert,Gott – der die das große Unbekannte. Staunens-Wertes und Frag-Würdiges, Ostfildern 2020.
Schüßler, Michael,Mit Gott neu beginnen. Die Zeitdimension von Theologie und Kirche in ereignisbasierter Gesellschaft, Stuttgart 2013.
Theobald, Christoph,„Gott ist Beziehung“. Annäherungen an das Geheimnis der Trinität, in: Concilium 37 (2001), 34–45.
Die Pandemie hat Stärken und Schwächen der Kirchen deutlicher gemacht – und mehr Fragen als Antworten geliefert
Die Corona-Pandemie hat das gewohnte Leben mit einem Schlag verändert – und verändert es immer noch. Wir stehen aktuell mitten in der „zweiten Welle“ – und haben immer noch mehr Fragen als Antworten. Und dies gilt auch hinsichtlich einer Einschätzung aus theologischer Sicht. Die Bandbreite reicht dabei von Fragen zur Klerikalisierung, über Liturgie und Seelsorge bis hin zum deutlichen Digitalisierungsschub. Johann Pock
Zunächst: Auch die Religionen und Glaubensgemeinschaften haben keine tragfähige und allgemeingültige Antwort auf eine solche Krise. Vielmehr stellt die Pandemie Gewohnheiten und Traditionen in Frage – und das ist grundsätzlich nicht schlecht. Das Innehalten des gesamten öffentlichen Lebens in der Phase des Lockdowns hat Stärken und Schwächen geoffenbart – und ein ‚weiter wie vorher‘ ist danach nicht mehr sinnvoll und möglich.
HIERARCHIE UND KLERIKALISIERUNG
Strukturell wurde die immer noch bestehende große Kluft zwischen Hierarchie und Basis deutlich: Bei aller Betonung des gemeinsamen Priestertums, bei aller Wertschätzung von LaienmitarbeiterInnen, waren monatelang in der medialen Wahrnehmung fast ausschließlich Bischöfe und Priester sichtbar. Das ist zum einen ja auch verständlich: Denn auch politisch wurde nur auf die Führungspersonen geschaut und die mittleren oder auch regionalen Verantwortlichen waren weniger sichtbar.
Dass genau in diese Zeit die Veröffentlichung einer Instruktion zur „Umkehr der Pfarrei“ durch die Kleruskongregation fiel, in welcher die alleinige Leitungsvollmacht des Priesters in der Pfarrei hervorgehoben wird, ist vermutlich keine zufällige Koinzidenz.
Gleichzeitig gab es aber auch eine deutliche Gegenbewegung: Denn den Hierarchien bzw. den vielen Hauptamtlichen blieb oftmals nur mehr die mediale Kommunikation – sowohl durch digitale Medien als auch durch Texte und Materialien, die häufig in Kirchen zur freien Entnahme aufgelegt wurden. Die alltägliche Begegnung hingegen, die Begleitung vor Ort, die gewohnten Seelsorgegespräche und Sakramentenspendungen waren reduziert, teilweise ausgesetzt. Ersetzt wurden sie hingegen durch Hauskirche, durch Laienseelsorge, durch die einfache Hilfe im Lebensumfeld.
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