THEMA
Pastoral (auch) vom Raum her denken?!
Wozu Theologie und Kirche das Gespräch mit der Geographie suchen sollten
Von Ulrich Feeser-Lichterfeld
Religion in räumlichen Bezügen denken?
Grundzüge und Perspektiven geographischer Religionsforschung
Von Thomas Schmitt
Auf Augenhöhe
Die Replik von Ulrich Feeser-Lichterfeld auf
Thomas Schmitt
An die Grenzen der menschlichen Existenz
Die Replik von Thomas Schmitt auf
Ulrich Feeser-Lichterfeld
Passt Gott überhaupt in den menschlichen Lebensraum?
Pastoral im thirdspaceaus Ent- und Ermächtigung
Von Hans-Joachim Sander
PROJEKT
„Project-Pitch“: Verlebendigter Glaube
Wie Selbstorganisationsprozesse pastorale Innovation ankurbeln
Von Helmut Jansen
INTERVIEW
„Die Kombination verschiedener Sichtweisen ist immer einer einzelnen überlegen“
Ein Gespräch mit Michael Meurer, Rolf Preiss-Kirtz und Christian Stieber
PRAXIS
Heilige Orte
Wurzeln spiritueller Sehnsucht und ihre Ausdrucksformen in der Gegenwart
Von Peter Schüz
Herausforderung christlicher Migration: heilsame Unordnung im pastoralen Raumdenken
Von Arnd Bünker
Verortungen des Glaubens – à suivre?
Die französischsprachige Diskussion um die Pfarrei geht weiter
Von Michael Quisinsky
Muster unterbrechen, und dann …
Neue pastorale Räume im Bistum Trier
Von Gundo Lames
Wohin mit Maria, Antonius und dem Kruzifix?
Wie Kirchen im Bistum Hildesheim neu genutzt werden
Von Martin Wrasmann
Jenseits der Charta von Athen
Pastoralgeographie im Horizont des New Urbanism
Von Christian Bauer
Skulptur – Mensch – Predigt
Eine Begegnung mit dem Bildhauer Karl Prantl
Von Wolfgang Beck
FORUM
Gehört die Hierarchie zum Wesen des Katholizismus?
Ein Gedankenexperiment
Von Ludger Jansen
POPKULTURBEUTEL
Immer auf dem Sprung
Von Matthias Sellmann
NACHLESE
Glosse: Urbi et orbi
Von Annette Schavan
Impressum
Bernhard Spielberg Mitglied der Schriftleitung
Liebe Leserin, lieber Leser,
der virtuelle hat den physischen Raum nicht abgelöst. Letzterer ist nicht trotz, sondern wegen der unglaublichen Möglichkeiten digitaler Weltvermessung von eminenter Bedeutung. Das merkt selbst der hippste „Digital Native“, wenn er bei der Post in der Schlange steht, um sein online bestelltes Päckchen abzuholen. Die Frage nach dem Wo ist eben alles andere als banal.
Orte sind bedeutsam. Zum einen schlicht deshalb, weil an ihnen unsere Beziehung zur Welt buchstäblich stattfindet: auf der Straße oder im Büro, in der City oder im Krankenhaus, am Strand oder zu Hause. Das Wo bestimmt mit, wer wir sind. Zum anderen haben an einem Ort mehrere Räume Platz. Das klingt merkwürdig, wird aber im Blick auf die gegenwärtige Raumsoziologie plausibel. Eine Kathedrale mag etwa für die einen vor allem ein liturgischer Raum sein, für andere ein Arbeitsort und für wieder andere ein Reiseziel. Entsprechend unterschiedlich bewegen sich Menschen darin.
Das ist so selbstverständlich, dass man kaum darüber nachdenkt. Das tun wir in diesem Heft. Ulrich Feeser-Lichterfeld und Thomas Schmitt nehmen zu Beginn das recht neue Feld der Pastoralgeographie von der pastoral-theologischen und der geographischen Seite in den Blick und eröffnen den Dialog zwischen zwei gar nicht mehr so jungen Disziplinen, die sich durchaus einiges zu erzählen haben. Im Praxisteil öffnet sich dann das Panorama der Wahrnehmungs- und Anwendungsmöglichkeiten. Dort blickt etwa Arnd Bünker mit Migrantinnen und Migranten auf ihre Gemeinden in der Schweiz; Gundo Lames zeigt, wie in Trier das Territorialprinzip neu gedacht wird; Michael Quisinsky beleuchtet die französische Diskussion um die Pfarrei und Martin Wrasmann berichtet aus dem kirchlichen Immobilienmanagement in Hildesheim. Aus unterschiedlichen Perspektiven wird deutlich: Theologie braucht Topologie. Die Reflexion über Gott braucht das Nachdenken über Räume. Das Vordenken von Kirche braucht räumliches Vorstellungsvermögen.
Und wenn Sie in diesem Superkulturjahr noch auf der Suche nach irritierenden Raumerfahrungen sind, dann hat Wolfgang Beck ab S. 299 etwas für Sie.
Ich wünsche Ihnen eine horizonterweiternde Lektüre!
Ihr
JProf. Dr. Bernhard Spielberg, Mitglied der Schriftleitung
Pastoral (auch) vom Raum her denken?!
Wozu Theologie und Kirche das Gespräch mit der Geographie suchen sollten
Bei der Auswertung eines Praktikums und der dabei gestellten Aufgabe, den mehrwöchigen Einsatz in Gemeinde und Schule situativ und kontextuell zu reflektieren, fällt der Satz: „Weder meine Mentorin noch ich wussten mit der Aussage ‚Kirche in der Welt‘ etwas anzufangen.“ Anfangs schlicht sprachlos, macht diese kleine Szene beim genaueren Hinsehen deutlich, wozu es eine „Pastoralgeographie“ braucht und was diese von den unterschiedlichsten Raumdisziplinen – allen voran der Geographie – lernen kann. Ulrich Feeser-Lichterfeld
Ohne das Zweite Vatikanische Konzil und das auf ihm grundlegend erneuerte Pastoralverständnis der katholischen Kirche macht der Begriff „Pastoralgeographie“ keinen Sinn. Schlimmer noch: Im Sinne eines vorkonziliaren, kolonialen Macht- und Missionsanspruchs würden unter diesem Stichwort möglicherweise christentümliche Expansion und Vereinnahmung legitimiert und organisiert. Das Konzil rüstet ein solches militantes Pastoral- und Missionsverständnis konsequent ab und lässt die Kirche in der dialektischen Spannung der beiden Pole „Innen“ und „Außen“ demütig und solidarisch buchstäblich zur Welt kommen (vgl. Karrer, 7f.).
Leitend ist seither (wenn auch nach 50 Jahren noch immer nicht überall etabliert) ein Verständnis von Pastoral, das sich weder exklusiv auf bestimmte Akteursgruppen bezieht, noch mit Angebots- und Versorgungslogiken hinreichend beschreibbar ist – und vor allem: das sich nicht auf die „inneren Angelegenheiten“ der Kirche begrenzen lässt (vgl. Feiter ). Weil Kirche die Botschaft „Christus ist das Licht der Völker“ verkündet und von daher „Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit“ (LG 1) ist, gewinnt Pastoral von dem her Profil, was Kirche nicht bzw. von dem sie nur ein Teil ist: die Welt. Als „Kirche in der Welt von heute“ ist sie als „Gemeinschaft von Menschen“ mit dieser Welt und ihren Menschen „wirklich engstens verbunden“ (GS 1). Im Sinne einer Pastoralgemeinschaft ist die Kirche ein ohnmächtiger, weil von Gottes Gnade abhängiger Ort der Realisation des Evangeliums, die das „Geheimnis der Liebe Gottes zu den Menschen zugleich offenbart und verwirklicht“ (GS 45).
PHÄNOMEN MENSCH
Wenn Papst Paul VI. zum Abschluss des Konzils betont, dass die Kirche „vielleicht noch nie wie bei dieser Gelegenheit […] das Verlangen verspürt [hat], die sie umgebende Gesellschaft kennen zu lernen, sich ihr zu nähern, sie zu verstehen, zu durchdringen, ihr zu dienen, ihr die Botschaft des Evangeliums zu verkünden und sie aufzunehmen, gleichsam um ihr nachzugehen in ihrer raschen und fortwährenden Wandlung“, dann bilanziert er keine erledigte, sondern beschreibt eine fortwährende Aufgabe: die mit Aufmerksamkeit und Sympathie zu erfolgende Beschäftigung mit dem „Phänomen Mensch“.
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