„Na ja, ich hatte plötzlich so einen Drang, auf die Toilette zu gehen, und da kam mir das in den Sinn“, versuchte Feuerlein eine Erklärung.
„Ach, vergessen Sie den Potschamber, meine Herren“, unterbrach Plunder die beiden: „Das ist ja eine tolle Geschichte, die Sie uns da aufgetischt haben, Herr Professor. Wenn das alles stimmt, was Sie erzählt haben, und ich habe da keinen Zweifel, dann steckt in unserem Dom einer der kostbarsten Schätze der Christenheit. Unbezahlbar. Man stelle sich nur die Möglichkeiten vor, die der Kelch mit seinen Wundern vollbringen kann. Ganz abgesehen von dem materiellen Wert, dem Gold und den Edelsteinen!“
„Meine Herren, was ich Ihnen hier und heute erzählt habe, mutet sehr unwahrscheinlich an. Bis heute habe ich von meinen Forschungen zu dem Kelch nur einer kleinen Schar mir gut bekannter, seriöser Menschen berichtet, zu der nun auch Sie gehören. Ich vertraue deshalb auf Ihr Wort, das, was Sie heute von mir gehört haben, für sich zu behalten.“
Der Professor sah dabei jedem der drei Anwesenden mit festem Blick in die Augen.
„Selbstverständlich, Herr Professor, auf uns können Sie sich verlassen. Ehrenwort, kein Wort zu Dritten!“, beteuerten die drei.
„Meine Herren, es ist schon ein Uhr vorbei. Bei all den spannenden Geschichten haben wir gänzlich die Zeit aus den Augen verloren. Wir sollten nach Hause gehen und das Mittagessen einnehmen. Ganz abgesehen davon, dass ich einen mächtigen Kohldampf habe. Über die Bezahlung machen Sie sich keine Gedanken, die Runde geht auf meine Rechnung, das war’s mir wert“, sprach Bernhard Hüpsch, beglich bei Cora die Rechnung und verließ mit den anderen Philosophen später als üblich die „Himmelsleiter“.
„Und wo steht der Potschamber jetzt? Hilft der auch bei Tieren? Wegen dem Nero vom Nachbarn, frag’ ich“, rief ihnen Cora noch hinterher, aber sie erhielt keine Antwort.
Eine Mäuseliebe mit Komplikationen
„Anna, beeil dich mit dem Umziehen. Wir müssen uns ans Mittagessen machen, damit es rechtzeitig fertig wird“, rief Annas Mutter hinüber zu ihrer Tochter, die sich gerade anschickte, ihr Sonntagskleidchen gegen eine bequemere Hose und ein Shirt zu tauschen.
„Sofort, liebe Mama!“ Ein kühner Sprung und Anna steckte in beiden Hosenbeinen. „Was steht denn heute auf dem Küchenplan?“
„Ich dachte an etwas Leichtes, was den Magen nicht so belastet. Was hältst du von leichten Sommersalaten an. … äh, mit gerösteten Brotcroutons als Vorspeise?“
„Hmmm, klingt gut. Bitte mehr von den Brotcroutons für mich, die mag ich sehr. Und danach?“
„Als Hauptgang vielleicht etwas gerösteter Schinken mit einer würzigen Gemüse-Ratatouille. Was meinst du?“
„Perfekt, Mama. Auf provenzalische Art bitte!“
„Und als Nachspeise frische Erdbeeren …“ „Wow!“ „… in Honigsoße mit Mandelsplittern. Na, wie klingt das?“
„Hmm, mir läuft jetzt schon das Wasser im Mund zusammen. Ich bin froh, dass ich hier zu Hause bin und nicht in einer dieser katholischen Kirchenmäusefamilien! Allein wenn ich ans Essen denke, das bei denen so auf den Tisch kommt: fette Soßen – bäh! … deftiges Fleisch und Wurst, wie schrecklich! … und dann der schwere Käse, der liegt einem die ganze Nacht im Magen!“, stöhnte Anna und ließ ihre kleine Zunge aus dem Mund hängen.
„Da hast du recht, Anna. Die katholischen Mäuse, die müssen immer schlemmen und das geht auf den Geist, mein liebes Kind. Die meisten von ihnen sind dumm.“
„Nicht alle, Mama, aber doch die meisten.“
„Es hängt halt immer an dem, was die Pfarrer uns Kirchenmäusen so übrig lassen von ihrem Essen. Darauf müssen wir unseren Speiseplan einstellen. Und da ging es den katholischen Pfarrern schon immer besser als den evangelischen. Wenn ich nur daran denke, was unser Herr Pfarrer Dürr so in seinem Kühlschrank hat. Du hast manchmal das Gefühl, dass du in einen Gemüsegarten schaust, wenn er den Kühlschrank aufmacht. Fast nur Gemüse und Milchprodukte, kaum Fleisch und Wurst. Das wenige, was davon bei uns auf den Tisch kommt, muss ich mir mühsam bei den katholischen Mäusen eintauschen!“
„Und das noch zu Wucherkursen, Mama, wie du immer beklagst!“
„Genau, mein liebes Kind. Für das bisschen Schinken musste ich drei große Stücke Gurke hergeben, die die Katholiken als Beilage zu dem Braten nehmen wollten, den ihr Pfarrer Liebkind heute zu Mittag isst.“
„Sag, Mama, warum gibt es eigentlich katholische und evangelische Mäuse; liegt es nur an dem Essen, das auf den Tisch kommt, oder an was sonst?“, fragte Anna, während sie die Salatblätter putzte, die in einem Haufen vor ihr auf dem Boden lagen.
„Oh meine liebe Anna, das ist eine lange Geschichte. Man sagt, vor vielen hunderttausend Mäuseleben gab es weder katholische noch evangelische Mäuse. Man lebte gemeinsam in Kirchen oder Klöstern und allen ging es gleich gut oder schlecht, ganz so wie den Hausherren. Irgendwann kam es dann zu einem großen Streit unter den Pfarrern. Worum es da ging, weiß bis heute keiner, denn es änderte sich gar nichts an dem, was sie den ganzen Tag so taten. Alle beteten und opferten weiterhin dem gleichen Wesen, das sie Gott nennen, und man hielt weiterhin täglich Messen ab, wo die Leute zusammenkamen. Nur die Menschen nannten sich plötzlich Katholiken oder Protestanten und die in den Kirchen wohnten, nannten sich katholische Priester oder evangelische Pfarrer.“
„Mein Gott, Mama, was ist an einem neuen Namen so schlimm, wenn sich doch sonst nichts ändert?“, fragte Anna.
„Nun ja, für die Menschen war es offenbar so wichtig, dass sie sich heftig stritten und sogar Kriege gegeneinander führten. Man erzählt von einem langen, großen Krieg, der über mehrere hundert Mäuseleben ging, in dem unsere Stadt einmal ganz katholisch war und sich dann wieder für lange Zeit evangelisch nannte. Einmal hü, einmal hott. Aber sei’s drum, seit langer Zeit ist es ruhig geworden in dem Streit und es gibt jetzt Kirchen, die sind katholisch, und Kirchen, die sind evangelisch, so ist das halt!“, seufzte die Mutter und rührte in dem Topf, wo die Gemüsestückchen für die Ratatouille brutzelten.
„Dann gibt es also katholische Mäuse, weil sie in katholischen Kirchen leben, und evangelische Mäuse, weil sie in evangelischen Kirchen leben!“, folgerte Anna und schnippelte eifrig am Salat herum.
„Genau, mein Kind! Da aber die katholischen Kirchen mehr Wert auf Schmuck und Glanz legen und die katholischen Pfarrer auf gutes Essen und Trinken, geht es den katholischen Mäusen besser und den evangelischen eben schlechter. Das siehst du doch auch am Pfarrer Liebkind und an unserem Pfarrer Dürr. Dem Liebkind sein Bauch war bestimmt nicht billig, dagegen ist der Dürr ein spackes Hemd und heißt nicht umsonst so.“ Die Mutter machte eine abfällige Bewegung.
„Ah ja, und deshalb glauben die Dommäuse, sie seien etwas Besseres.“
„So ist es. Und darum wollen wir mit diesen eingebildeten Mäusen auch nichts zu tun haben. Die sollen unter sich bleiben und wir bleiben unter uns, Anna.“
„Ist es denn nie vorgekommen, dass eine katholische Maus eine evangelische Maus geheiratet hat?“
„Niemals!“, sprach forsch die Mutter. „Stell dir nur mal vor, ich hätte deinen Vater als katholische Maus geheiratet. Der würde doch den ganzen Tag bei mir in der Küche herumhängen und nur nörgeln, dass es kein Fleisch gibt. Oder ich hätte in die feine Mäusegesellschaft im Dom hineingeheiratet, nicht vorstellbar. Den ganzen Tag nur Müßiggang, feines, fettes Essen und ständig diese Streitereien der einzelnen Familien über ihre Herkunft. Da kommt sich doch jeder besser vor als der andere. Schau sie dir doch mal an, die feine Gesellschaft! Nur fette Damen! Überall kneift’s und zwickt’s. Zellulitis, Fettpölsterchen und schlaffe Haut! So was kenne ich nicht. Was bin ich stolz auf meine Figur.“
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