„Randersackerer Teufelskeller war’s, sagte der Liebkind“, warf Feuerlein ein.
„Bitte, Feuerlein, nicht noch mehr davon!“, flehte Meiseneier und fuhr nach einer kurzen Pause fort. „Den zahlreichen Gästen der Hochzeit sollte es an nichts mangeln. Der Brautvater scheute weder Geld noch Mühen; alle sollten sehen, dass seine Tochter aus wohlhabendem Haus kam. Dies galt auch für den Bräutigam, sodass mit der Hochzeit zwei mächtige Familien der Pharisäer zusammenkamen, die beide dem christlichen Glauben verbunden waren. Die Braut hatte ob ihrer großen Liebe die Werbung eines anderen, gleichwohl weniger begüterten jungen Mannes verschmäht. Der aber, in großer Leidenschaft zur jungen Braut entflammt, konnte die Zurückweisung nicht überwinden und war entschlossen, sich und die Braut bei der Hochzeit durch einen Gifttrank zu töten. So wollte er mit ihr für immer im Tod vereint bleiben.“
„Ach, wie romantisch. Das könnte in der ‚Gala’ nicht schöner geschrieben sein“, seufzte Cora und verdrehte dabei die Augen.
„Und so reichte er ihr den mit Schierling vergifteten Trank“, erzählte Meiseneier weiter, „jenem tödlichen Gift, mit dem auch schon der Philosoph Sokrates sich das Leben nehmen musste. Die Braut trank ahnungslos aus dem Becher, den der verschmähte Verehrer ihr reichte, nachdem er zuvor bereits einen Schluck genommen hatte. Bald schon wand sich der junge Mann in tödlichen Krämpfen. Als sich wenig später auch bei der Braut erste Anzeichen einer Vergiftung zeigten, erkannten alle, dass auch sie dem Tode nah war.“
„Meiseneier, ein Antidot!“, sagte plötzlich Feuerlein.
„Wieso nennen Sie den Professor einen Idioten?“, fuhr Cora ihn an.
„Nein, Cora, kein Idiot. Ein Antidot. Das ist ein Gegengift zum Schierling“, dozierte Feuerlein gelassen.
„Ein Gegengift gab es nicht, Feuerlein. Eltern und Angehörige beteten in ihrer Not zu Gott um das Leben der Braut. Petrus, der in der unmittelbaren Nähe des Paares am Hochzeitstisch gesessen hatte, sah, dass nur ein Wunder die junge Frau retten konnte, und dachte sogleich an den Sie wissen schon, was ich meine, dessen Geheimnis er kannte. So holte er ihn aus dem mitgeführten Gepäck und trug der Braut auf, sich dahinein zu übergeben. Kaum geschehen, hörten ihre Krämpfe auf und es kam Leben in ihre Wangen. Durch dieses Wunder wurde die Frau gerettet und lebte fortan glücklich mit ihrem Mann.“
„Es ist unglaublich: ein Nachttopf, der Wunder wirkt, wenn man reinkotzt“, entfuhr es Cora.
„Man kann doch sagen, dass damit der Mythos dieses Gefäßes begann und die Menschen zum ersten Mal von den Wundern hörten, die es vollbringen konnte“, sagte Plunder erfreut.
„Richtig, mein Lieber“, antwortete Meiseneier, „mit diesem Brief des Apostels Petrus wurden der Sie wissen schon und seine Wirkung in der Öffentlichkeit bekannt. Sehr zum Verhängnis vieler Christen, wie sich herausstellen sollte. Einige Jahrzehnte später taucht er wieder in der Geschichte auf, zu Zeiten des Kaisers Nero und der großen Christenverfolgung. Auch dem römischen Kaiser war seinerzeit die Wunderkraft zu Ohren gekommen. Der Pot…, äh, Sie wissen schon befand sich damals in Rom in der christlichen Gemeinde. Petrus hatte ihn ihr offenbar vor seiner Kreuzigung dort überlassen. Besessen von dem Gedanken, das Gefäß ob seiner Wunderkraft zu besitzen, ließ Kaiser Nero unerbittlich danach suchen.“
„Was erhoffte er sich denn von dem Sie wissen schon, was ich meine? Krank wird er doch wohl nicht gewesen sein?“, warf Feuerlein dazwischen.
„Doch, das war er. Nierensteine hatte er“, entgegnete Meiseneier geistesgegenwärtig. „Man sagt, dass er sich eine Linderung seines Nierenleidens erhoffte. So setzte er alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel ein, um in seinen Besitz zu gelangen.“
„Und, hat’s geklappt?“, fragte Cora.
Meiseneier hielt in seinen Ausführungen inne. Genüsslich führte er sein Glas an die Lippen, was die Spannung am Tisch merklich steigerte und ihm Gelegenheit gab, seine Ausführungen der geänderten Situation anzupassen. „Nun ja, meine lieben Stammtischbrüder, wie Sie alle wissen, ist auch Nero – Gott sei Dank – nicht unsterblich geblieben. Seine Soldaten spürten den Sie wissen schon in den Katakomben auf und brachten ihn dem Kaiser, der diesen Triumph auskosten wollte. Wie allen bekannt sein dürfte, hat Kaiser Nero die Stadt Rom anzünden lassen. Es wird gesagt, dass er dabei die Zauberkraft des Sie wissen schon, was ich meine, erstmals anwenden wollte. Als er von den Zinnen seines Palastes auf das brennende Rom herabblickte, setzte er sich auf das Gefäß und soll dabei gerufen haben: „So schenk’ mir, du wundersamer Topf der Christen, Linderung von diesen elenden Nierensteinen!“
„Und? Was ist passiert?“, drängte Cora.
Meiseneier hielt kurz inne. Atemlose Stille herrschte am Tisch der Philosophen, als der Professor mit ruhiger Stimme fortfuhr:
„Wie ich Sie bereits wissen ließ, entfaltet der Sie wissen schon, was ich meine, seine Wunderkraft nur in rechtschaffenen Händen, wohingegen ein unredlicher Besitzer mit verbrecherischen Absichten vergeblich auf die Wirkung wartet. So geschah es auch dem römischen Kaiser. Es wird berichtet, dass er sich plötzlich wild schreiend auf den Boden warf und in Krämpfen wand. Er hatte wieder eine Nierenkolik.“
„Geschieht ihm recht. Unser Nachbar hatte mal einen Hund, der hieß auch Nero. Der hatte auch Probleme beim Wasserlassen“, trug Cora zur Historie bei.
„Ach ja? Interessant“, sagte Meiseneier und fuhr fort: „Dann wurde es für lange Zeit still um ihn.“
„Um Nero?“, fragte Cora.
„Nein, um den, na Sie wissen schon, was ich meine. Für mehrere Jahrhunderte hört man nichts mehr von seiner Existenz. Er muss aber in Rom verblieben sein, denn nirgendwo findet sich ein Hinweis. Erst viel später, nachdem das Römische Reich untergegangen war, taucht er plötzlich an einer gänzlich anderen Stelle des alten Imperiums auf. Im fünften Jahrhundert wird er erwähnt als Besitz eines römischen Offiziers in der Provinz Britannia. Dessen im christlichen Glauben erzogener Sohn Patricius wurde samt dem Gefäß, das er als seinen eigenen na Sie wissen schon gebrauchte, von Sklavenjägern verschleppt, konnte sich aber befreien. Er wurde Bischof und von Papst Coelestin nach Irland gesandt, wo er die Heiden missionieren sollte.“
„Jetzt sagen Sie bloß nicht, mein lieber Professor, dass dieser Bischof jener heilige Patrick gewesen ist, der als irischer Nationalheiliger verehrt wird“, staunte Bernhard Hüpsch.
„Richtig erkannt, Herr Hüpsch, genau um den handelt es sich hier“, nickte Meiseneier: „Er gründete seinerzeit den bedeutendsten Missionarsorden. Den Nachthafen bewahrte der Hl. Patrick im Kloster auf. Einer seiner Nachfolger wurde unser Sankt Kilian, dem man das Geheimnis des na Sie wissen schon anvertraute. Der zog dann gegen Ende des siebten Jahrhunderts mit seinen beiden Begleitern Kolonat und Totnan, zwei Novizen aus alten irischen Adelsfamilien, und dem Pot…, dem gewissen …, zu uns ins damals heidnische Frankenland an den Hof des fränkischen Herzogs Gosbert. Den Rest der Kiliansgeschichte kennen Sie ja alle aus dem Religionsunterricht“, endete ein erschöpfter Professor Meiseneier.
„Ich werd’ verrückt!“, rief Cora. „Da haben wir einen Potschamber aus der Zeit Christi hier bei uns und keiner weiß etwas davon. Wenn ich das jemandem erzähle, das glaubt mir keiner!“
„Dann lass’ es lieber sein“, hoffte Plunder ihr ein Schweigegelübde auferlegen zu können.
„Man stelle sich das vor! Ein Potschamber, der Wunder wirkt! Das glaubt mir doch eh keiner!“, wiederholte Cora und wippte zurück zum Tresen, verfolgt von den Blicken der Stammtischbrüder. Nur Meiseneier hatte kein Auge für die dralle Schönheit. „Uff, das war knapp. Wenn sich die Cora nicht mal bei anderen verplappert! Mensch, Feuerlein, musste Ihnen unbedingt ein Potschamber einfallen?“
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