4Nach § 9 Abs. 1 Nr. 2a BauGBkönnen im Bebauungsplan aus städtebaulichen Gründen vom Bauordnungsrecht abweichende Maße der Tiefe der Abstandsflächen festgesetzt werden. Diese Ermächtigung ist durch das Gesetz vom 21.12.2006 (BGBl. I S. 3316) eingefügt worden. Die Gesetzgebungskompetenz der Länder für das Bauordnungsrecht ist daher gegenüber der Ermächtigung der Gemeinde nach § 9 Abs. 1 Nr. 2a BauGB abzugrenzen.
5Der Bund besitzt nach Artikel 74 Abs. 1 Nr. 18 GG die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für das Boden- und damit für das Städtebaurecht. Hieraus lässt sich die verfassungsrechtliche Kompetenz des Bundesfür die Ermächtigung nach § 9 Abs. 1 Nr. 2a BauGB herleiten. Die hierdurch bedingte Kollision mit den landesrechtlichen Vorschriften des Bauordnungsrecht regelt Art. 31 GG, wonach Bundesrecht Landesrecht bricht (OVG Lüneburg B. v. 22.12.2014 – 1MN 118/14 – BRS 82 Nr. 40).
6 Die Ermächtigung nach § 9 Abs. 1 Nr. 2a BauGB bezieht sich nur auf einen Faktor der Abstandsflächenregelung, nämlich auf das Maß für die Tiefe der Abstandsflächen. Alle übrigen landesrechtlichen Regelungen des Abstandsflächenrechts bleiben von der Ermächtigung unberührt.
7Die Ermächtigung lässt zu, abweichende Maße der Tiefe der Abstandsflächenfestzusetzen. Nach dem Wortlaut unterliegt der Begriff „abweichend“ keinen Einschränkungen, so dass § 9 Abs. 1 Nr. 2a BauGB die Befugnis einschließt, neben einer größeren auch eine geringere Tiefe der Abstandsflächen vorzusehen. Auch der Mindestabstand von 3 m darf unterschritten werden (OVG NRW U. v. 15.4.2011 – 7D 68/10 – juris).
8Festsetzungen auf Grund der Ermächtigung nach § 9 Abs. 1 Nr. 2a BauGB sind nur aus städtebaulichen Gründenzulässig. Hierbei handelt es sich um eine zwingende Voraussetzung für die Gesetzeskompetenz des Bundes. Insbesondere bedürfen Festsetzungen, die zu geringeren Tiefen der Abstandsflächen führen besonderer städtebaulicher Rechtfertigung. Es müssen besondere städtebaulichen Gründe die damit verbundenen Abstriche erfordern (OVG Lüneburg B. v. 22,12,2014 – 1MN 118/14 – a. a. O.; OVG NRW U. v. 20.11 2009 – 7D 124/08 – Juris) Das wird auch in dem BauGBÄndG 2007 – Mustererlass bestätigt, in dem es unter Nr. 2.3.1.1 heißt:
„Bei den Überlegungen der Gemeinde, ob sie von der Ermächtigung Gebrauch machen soll, dürfen – wie auch bei den anderen Festsetzungsmöglichkeiten – ausschließlich städtebauliche Erwägungen eine Rolle spielen. Dagegen wäre es der Gemeinde verwehrt, eigene bauordnungsrechtliche Erwägungen anzustellen“.
9Die Ermächtigung nach § 9 Abs. 1 Nr. 2a BauGB bezieht sich auf die Abstandsflächen und lässt für deren Tiefe abweichende Maße zu. Der Begriff der Abstandsflächenwird im BauGB nicht definiert. Maßgebend dafür, wie auch für die Ermittlung und Berechnung der Abstandsflächen ist allein das jeweilige Landesrecht.
10Das System der Abstandsflächenist 1981 in die MBO aufgenommen worden. Es orientierte sich mit erheblichen Abweichungen an dem bereits seit 1.1.1974 in Niedersachsen maßgebenden System des Punktabstandes. Niedersachsen hat das System des Punktabstandes beibehalten, während die übrigen Länder das System der Abstandsflächen in ihre Bauordnungen übernommen haben.
Nach dem System der Abstandsflächen(§ 6 MBO) müssen vor Außenwänden von Gebäuden Abstandsflächen liegen, die von oberirdischen Gebäuden freizuhalten sind. Die Abstandsflächen müssen grundsätzlich auf dem Grundstück liegen. Ein unmittelbarer Bezug zu den Grenzen des Baugrundstücks wird nicht hergestellt. Die Tiefe der Abstandsflächen bemisst sich nach der Wandhöhe, während die Höhe von Dächern je nach deren Neigung mit unterschiedlichen Maßen hinzuzurechnen ist, so dass es an einer die Dächer einschließenden Gesamtkonzeption mangelt. Wandhöhe ist das Maß von der Geländeoberfläche bis zum Schnittpunkt der Wand mit der Dachhaut oder bis zum oberen Abschluss der Wand. Dabei wird auf die vorhandene Geländeoberfläche abgestellt, die ein Bauherr zu seinen Gunsten verändern kann.
11Die Niedersächsisch Bauordnung stellt hingegen für die Bemessung der Grenzabstände auf das System des Punktabstandsab. Danach müssen Gebäude mit allen auf ihren Außenflächen oberhalb der Geländeoberfläche gelegenen Punkten von allen Grenzen des Baugrundstücks Abstand halten. Das System des Punktabstandes erfasst mit seiner Konzeption das gesamte Gebäude nach einheitlichen Maßstäben und nimmt unmittelbar Bezug zu den Grenzen des Baugrundstücks. Es stellt grundsätzlich auf die gewachsene Geländeoberfläche ab und berücksichtigt Aufschüttungen nur, soweit sie nicht zu ungerechtfertigten Vorteilen führen (§ 5 Abs. 9 NBauO).
12Dennoch findet die Vorschrift des § 9 Abs. 1 Nr. 2a BauGB auch in Niedersachsen Anwendung. Das folgt daraus, dass sowohl das System der Abstandsflächen wie auch das System des Punktabstandes die gleiche Zielrichtung verfolgen, nämlich einen ausreichenden Abstand von baulichen Anlagen zu Grenzen des Baugrundstücks sicherzustellen. Deswegen erfasst die Regelung des § 9 Abs. Nr. 2a BauGB auch die niedersächsische Konzeption des Punktabstands (OVG Lüneburg B. v. 22.12.2014 – 1MN 118/14 – BRS 82 Nr. 40) Das bedeutet im Ergebnis, dass § 5 Abs. 2 NBauO im Geltungsbereich von Festsetzungen nach § 9 Abs. 1 Nr. 2a BauGB keine Anwendung findet (OVG Lüneburg, B. v. 22.12.2014 – 1MN 118/14 – a. a. O.).
B.Nutzungsänderungen
Übersicht |
Rn. |
I. |
Begriff der Nutzungsänderungen |
13, 14 |
II. |
Das Erfordernis der Rechtmäßigkeit baulicher Anlagen bei Nutzungsänderungen |
15–17 |
III. |
Baugenehmigungspflicht von Nutzungsänderungen |
18, 19 |
I.Begriff der Nutzungsänderungen
13Der bauordnungsrechtliche Begriffder Nutzungsänderungerstreckt sich auch auf Nutzungsänderungen nach § 29 Abs. 1 BauGB . Hierbei handelt es sich zwar um einen bundesrechtlich selbständigen Begriff. Dennoch sind Nutzungsänderungen im Sinne des städtebaulichen Planungsrechts zugleich auch Nutzungsänderungen im Sinne der NBauO (BVerwG, U. v. 23.1.1981 – 4 C 83.77 – BRS 38 Nr. 89).
14Die NBauO enthält wie das BauGB keine Bestimmung des Begriffs der Nutzungsänderung .
Eine Nutzungsänderung im Sinne des § 29 Abs. 1 BauGBliegt nach st. Rspr. vor, wenn die – jeder Art von Nutzung eigene – Variationsbreite der bestehenden Nutzung überschritten wird und wenn durch die Aufnahme dieser veränderten Nutzung bodenrechtliche Belange neu berührt werden können, so dass sich die Genehmigungsfrage unter bodenrechtlichen Aspekten neu stellt (BVerwG, B. v. 1.3.1989 – 4 B 24.89 – DÖV 1989/725).
Nutzungsänderung im Sinne des Bauordnungsrechtsist jede Vollziehung einer mindestens teilweisen neuen Zweckbestimmung, die einer baulichen Anlage gegeben wird. Dabei kann es sich allerdings immer nur um solche Änderungen der Zweckbestimmung handeln, die rechtlich relevant sind, sei es weil bauordnungsrechtliche, sei es weil bauplanungsrechtliche Vorschriften bestehen, denen eine Konkretisierung des Zwecks entnommen werden kann (Evers, DVBl. 1967/249).
Auch Änderungen allein der Zweckbestimmungeiner baulichen Anlage bei gleichbleibender Nutzung können bauliche Belange berühren. So handelt es sich um eine Nutzungsänderung, wenn Wohnungen für Aufsichts- und Bereitschaftspersonen nach § 8 Abs. 3 Nr. 1 und § 9 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO einen nicht privilegierten Personenkreis zur Verfügung gestellt werden. Das OVG Berlin-Brandenburg hat mit Beschluss vom 30.5. 2016 (10 S 34.15 – Juris) entschieden, dass die dauerhafte Nutzung einer Wohnung, für die eine Genehmigung als Wohngebäude vorliegt, als Ferienwohnung für einen wechselnden Personenkreis eine baugenehmigungspflichtige Nutzungsänderung darstelle.
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