Tab. 2: Prozentuale Zustimmung zu möglichen Vorteilen und Risiken der Integration für behinderte Kinder (Daten aus Rafferty et al., 2001)
VorteileZustimmung von Eltern
Die Eltern der Kinder ohne Entwicklungsstörung betonten zwar die Chance, dass ihr Kind Sensibilität für unterschiedliche Fähigkeiten und Handicaps anderer Kinder entwickelt,
• 68 % hatten aber Sorge, dass ihr Kind durch ungewöhnliches Verhalten behinderter Kinder verschreckt werden könnte,
• 38 %, dass es sich unerwünschte Gewohnheiten von ihnen abschauen könnte, und
• 30 %, dass die Anwesenheit behinderter Kinder in der Gruppe dazu führen könnte, dass ihr eigenes Kind langsamere Lernfortschritte macht, weil es von den Fachkräften dann weniger Bildungsanregungen erhalten könne.
Die Einstellung zur Aufnahme behinderter Kinder in der Gruppe variierte auch in dieser Studie mit der jeweiligen Behinderungsform:
• 80 % oder mehr befürworteten die Aufnahme von Kindern mit Sprachstörungen oder Sinnesschädigungen,
• jedoch nur 41 % sprachen sich für die Aufnahme autistischer Kinder,
• 35 % für die Aufnahme geistig behinderter Kinder und
• 22 % für die Aufnahme schwer behinderter Kinder in die Gruppe aus.
Studie: Elternerfahrungen in integrativen Gruppen
Guralnick et al. (1995a) baten die Eltern um ihre Einschätzung, wie sie die Möglichkeiten der Förderung in einzelnen Entwicklungsbereichen, für die Bildung von Freundschaften und für den Kontakt zu anderen Kindern im Spiel erlebten, welche Bedeutung sie der Anwesenheit nicht behinderter Kinder in der Gruppe beimaßen und ob sie Sorge um eine soziale Ausgrenzung ihrer Kinder hatten. Es wurden 262 Mütter von 4- bis 6-jährigen Kindern befragt. 116 Kinder waren kognitiv behindert (mittlerer IQ 63), 84 Kinder wiesen eine Spracherwerbsstörung auf, 30 Kinder eine körperliche Behinderung und 32 Kinder gehörten zur Gruppe entwicklungsverzögerter Risikokinder. 59 dieser Kinder (15-30 % der Teilgruppen) besuchten integrative Gruppen. Die Analysen wurden – da die Gruppen in ihren Entwicklungsmerkmalen nicht vergleichbar waren – getrennt für Kinder, die integrative Einrichtungen besuchten, und solche, die separierte Einrichtungen besuchten, vorgenommen.
Von den 59 Müttern integrativ geförderter Kinder war die weit überwiegende Mehrheit (83 %) mit den Entwicklungsfortschritten, die ihr Kind in seinen sozialen Fähigkeiten (z. B. Teilen, Umgang mit Konflikten, kooperatives Spielen) gemacht habe, zufrieden. Sie führten das sowohl auf die Unterstützung durch die pädagogischen Fachkräfte und das Förderkonzept zurück, als auch auf die Anwesenheit der nicht behinderten Kinder. Immerhin 40 % äußerten allerdings eine gewisse Sorge, dass ihr Kind aus der sozialen Gruppe ausgeschlossen werden könnte. 75 % der Mütter sahen in diesem Kontext auch die Möglichkeit für ihr Kind, Freundschaften zu bilden. Nur 48 % waren jedoch zufrieden mit der Zahl der Freunde, die das Kind bisher gefunden hatte. Auf Nachfrage gaben 50 % an, dass ihr Kind mehr soziales und komplexeres Spiel entwickelt habe aufgrund der motivierenden Anregung durch gleichalte Kinder; 68 % sahen in ihnen positive Modelle für angemessenes Sozialverhalten in der Gruppe. Zwei Drittel der Mütter betonten aber dabei, dass es ihnen wichtig sei, dass in der Gruppe noch andere behinderte Kinder außer ihrem eigenen Kind seien, weil das zu einer größeren Toleranz und besserem Verständnis der nicht behinderten Kinder für die Bedürfnisse von Kindern mit Handicaps beitrage. 78 % der Mütter empfanden das Konzept des Kindergartens als für ihr Kind angemessen und nicht überfordernd, 39 % wünschten sich allerdings mehr Anpassungen an die Bedürfnisse behinderter Kinder, 56 % vermissten die Unterstützung der pädagogischen Fachkräfte durch spezialisierte Fachkräfte.
1.3.3 Anpassungsreaktionen nicht behinderter Kinder im Kontakt mit behinderten Kindern
Breites Spektrum von Verhaltensmustern im Kontakt mit behinderten Kindern. Aus der Praxis wird berichtet, dass kleine Kinder behinderte Kinder häufig ohne große Probleme annehmen. Sie nehmen sie noch nicht als »Fremde«, sondern als bisher unbekannte Variante von Vertrautem wahr (Kron, 1988). Erst im Laufe der Zeit lernen sie, was hinter dem Begriff »behindert« steckt. Sie interessieren sich eher für die funktionelle Seite einer Beeinträchtigung, als dass sie die Tragik oder vermeintliche Tragik dieser besonderen Lebensumstände bedauern (Kron, 2006). Das Verständnis fällt ihnen leichter, wenn sie die Einschränkungen des Kindes mit konkreten eigenen Erfahrungen in Verbindung bringen können.
Beispiel
Sie können z. B. das Erleben eines blinden Kindes nachvollziehen, wenn ihnen selbst die Augen verbunden werden; die Situation eines körperbehinderten Kindes wird ihnen deutlicher, wenn sie seine Hilfsmittel, z. B. den Rollstuhl oder die Gehhilfe erproben können. Das ist bei einer Körper- oder Sinnesbehinderung leichter möglich als bei einer geistigen Behinderung (z. B. Down-Syndrom), bei der die zu Grunde liegende Schädigung für die anderen Kinder nicht unmittelbar sichtbar ist (Diamond, 1993).
Im Vorschulalter nehmen Kinder eher körperliche Beeinträchtigungen wahr, die für sie konkret beobachtbar sind (z. B. durch Hilfsmittel wie ein Hörgerät oder einen Rollstuhl) oder aufgrund eigener Erfahrungen nachvollzogen werden können (z. B. in der Dunkelheit nicht sehen zu können). Geistige Behinderungen oder emotionale Störungen, die keine dieser Merkmale aufweisen, sind für sie jedoch schwerer zu erkennen (Diamond & Huang, 2005). Sie sind allerdings sensibel für ungewöhnliche Verhaltensweisen und können sie als altersangemessen oder -unangemessen einordnen.
Kinder entdecken bei anderen Kindern – auch bei Kindern mit Behinderungen – viele Seiten, die sie attraktiv machen für gemeinsames Spielen, für andere Aktivitäten oder auch als Ruhepol in der Gruppe (Kron, 2006). Sie brauchen aber dort pädagogische Unterstützung, wo die kindlichen Ressourcen nicht ausreichen, um gelingende Beziehungen herzustellen und aufrecht zu erhalten.
Beispiel
Im Alltag bedürfen die nicht behinderten Kinder der pädagogischen Unterstützung, um ungewöhnliche Reaktionen behinderter Kinder (z. B. Schreien, Sabbern, heftiges Umarmen, scheinbar grundloses Schlagen oder Stereotypien) zu verstehen und tolerieren zu lernen.
Die Verhaltensmuster im Kontakt selbst sind sehr unterschiedlich. Sie reichen von Nichtbeachtung über besondere Zuwendung und Vereinnahmung bis zu kooperativen Aktivitäten bei gemeinsamen Interessen (Klein et al., 1987; Miedaner, 1987). Die Bereitschaft eines nicht behinderten Kindes, ein Kind mit Behinderung am gemeinsamen Spiel zu beteiligen, ist assoziiert mit dem Entwicklungsstand seiner sozial-emotionalen Kompetenzen. Kinder mit einer höheren Bereitschaft zum Kontakt sind sensibler für emotionale Signale anderer Kinder und eher in der Lage, sich in andere Kinder hineinzuversetzen (Diamond & Hong, 2010).
Yu, Ostosky und Fowler (2015) führten eine Untersuchung bei 32 Kindern in zwei inklusiven Kindergärten durch. Sie nahmen eine soziometrische Befragung in der Gruppe vor, befragten die Kinder zu ihrer Haltung gegenüber hypothetischen Spielpartnern, baten sie, die Kinder mit Behinderungen in ihrer eigenen Gruppe zu identifizieren und beobachteten das Spielverhalten in Freispielsituationen über einen Zeitraum von zehn Wochen. Es zeigte sich, dass die Kinder zuverlässig in der Lage waren, Kinder mit Down-Syndrom oder einer Cerebralparese zu identifizieren und Gründe anzugeben, warum diese Kinder nicht so gut laufen oder sprechen können wie sie. Dagegen fiel es ihnen schwerer, Kinder mit leichteren Entwicklungsverzögerungen oder Verhaltensauffälligkeiten zu erkennen. Kinder mit Behinderungen in der Gruppe wurden seltener in ein gemeinsames Spiel einbezogen. Unter den verschiedenen Einflussfaktoren erwies sich die Beliebtheit eines Kindes (nach dem Ergebnis des soziometrischen Ratings) jedoch als stärkerer Prädiktor für die Einbeziehung in ein gemeinsames Spiel als die Tatsache, ob es sich um ein Kind mit einer Behinderung handelte.
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