Mit seiner Entscheidung vom 25.03.1980 174und der Anwendung eines Abwägungsmodells zur Bestimmung des Schrankenvorbehalts erreicht das BVerfG eine differenziertere Interpretation des Art. 137 Abs. 3 WRV, wie sie teilweise in der Literatur bereits herangezogen wurde. 175 Weiss geht beispielsweise bereits vor der Entscheidung des BVerfG von der Notwendigkeit einer Abwägung hinsichtlich der Geltung des staatlichen Arbeitsrechts aus und möchte dabei die kirchliche und staatliche Ordnung so weit wie möglich zur Übereinstimmung bringen, „ ohne einerseits die Kirchenautonomie auszuhöhlen und ohne andererseits die durch staatliches Arbeitsrecht den Arbeitnehmern eingeräumten Garantien preiszugeben “. 176Diese Entwicklung ist im Vergleich zum früheren Vorgehen nach der Bereichsscheidungslehre als methodischer und sachlicher Fortschritt zu begrüßen. 177Zudem stellt das Gericht klar, dass „ die Einbeziehung der kirchlichen Arbeitsverhältnisse in das staatliche Arbeitsrecht [hebt indessen] deren Zugehörigkeit zu den eigenen Angelegenheiten der Kirche nichts “ aufhebt. 178
2.Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 04.06.1985
Weder die These vom Vorrang des kirchlichen Rechts noch die These vom strikten Vorrang des staatlichen Rechts erfasst die Ausprägungen des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts also umfassend, wenn die Kirche sich bei dem Abschluss eines Arbeitsverhältnisses der Privatautonomie bedient. 179Die These vom Vorrang des kirchlichen Rechts allein übersieht, dass bei einer Inanspruchnahme der Privatautonomie und damit einer privatrechtlichen Begründung eines Arbeitsverhältnisses, kein „ ursprünglicher Regelungsbereich “ der Kirche betroffen und die staatliche Rechtsordnung als Ergänzung vorauszusetzen ist. 180Der strikte Vorrang des staatlichen Arbeitsrechts wiederum vernachlässigt, dass das Staatskirchenrecht des Grundgesetzes die Eigenständigkeit der kirchlichen Ordnung gerade anerkennt. Was genau zu ihren eigenen Angelegenheiten gehört, wird deshalb nach ihrem Selbstverständnis bestimmt, weil der Staat dafür keine Maßstäbe kennt und somit „ insoweit farbenblind “ ist. 181
Das BVerfG hat in seinem richtungsweisendem Beschluss vom 04.06.1985 dann eine Art Mittelweg eingeschlagen und klargestellt, dass das staatliche Arbeitsrecht als „ schlichte Folge einer Rechtswahl “ 182auch im kirchlichen Bereich Anwendung findet, wenn sich die Religionsgemeinschaften im individualrechtlichen Bereich der jedermann offen stehenden Privatautonomie bedienen, auch wenn die Regelung der Arbeitsverhältnisse zu den „ eigenen Angelegenheiten “ der Kirche zählt. Grundlage für die Geltung des staatlichen Arbeitsrechts ist dann konkret der zwischen den Parteien geschlossene Arbeitsvertrag. 183Allerdings ist diese Geltung des staatlichen Arbeitsrechts nicht insgesamt zwingend, denn das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften darf trotz der grundsätzlichen Geltung des staatlichen Arbeitsrechts nicht ausgehebelt werden und steht somit in einigen Bereichen einer vollständigen Anwendbarkeit des staatlichen Arbeitsrechts entgegen. 184
3.Kirchliche Dienstgemeinschaft und Offenhalten eines eigenen Weges
Den Kirchen ist also auch im Bereich des Arbeitsrechts - auch wenn dort grundsätzlich staatliche Arbeitsrechtsvorschriften für sie gelten – ein eigener Weg offenzuhalten zur Gestaltung des kirchlichen Dienstes und seiner arbeitsrechtlichen Ordnung in der von ihrem Selbstverständnis gebotenen Form. 185Man spricht dabei auch von einer arbeitsrechtlichen Regelungsautonomie. 186Denn die Kirchenautonomie sichert grundsätzlich die Freiheit der Kirchen innerhalb der staatlichen Ordnung. 187
Kirchlicher Beweggrund, im Arbeitsrecht zum Teil eigenständige Wege zu gehen, und Grundlage dieses modifizierten, „ kirchlichen Arbeitsrechts “ ist insgesamt das Leitbild der Dienstgemeinschaft, das die Arbeitsrechtsbeziehungen in der Kirche prägt. 188Sie bezeichnet das Gemeinschaftsverhältnis zwischen der Leitung und der Mitarbeiterschaft einer kirchlichen Einrichtung. 189Mit dem Leitbild einer Dienstgemeinschaft soll ausgedrückt werden, dass der Auftrag Jesu, ihm im Dienst der Versöhnung zu folgen, sich nicht nur auf den Dienst jedes Einzelnen beschränkt, sondern auch ein Zusammenstehen vieler in der Gemeinschaft des Dienstes gefordert wird. 190Nach dem Selbstverständnis der Kirche umfasst dieser Dienst die Verkündigung des Evangeliums, den Gottesdienst und den aus dem Glauben erwachsenden Dienst am Mitmenschen. 191Zur Erfüllung dieses Auftrags ist jeder berufen, der im Dienst der Kirche steht, da es in der Dienstgemeinschaft keinen „ auftragsfreien Raum “ gibt. Aus ihrem Leitbild ergibt sich, dass auch eine Konfliktaustragung im Rahmen des Dienstverhältnisses respektvoll und fair erfolgen muss. 192Die Kirche unterscheidet sich damit in diesem Punkt von allen anderen Einrichtungen und Betrieben, denn nirgends sonst wird das eigene Tätigsein jedes Einzelnen auch mit einem übergeordneten Werk verbunden, an dem alle mitarbeiten als Gemeinschaft. Sie hebt sich dadurch unter allen anderen Betrieben heraus. 193Die Kirche soll ihren Auftrag in der Nachfolge Christi so auslegen und leben dürfen, wie sie ihn versteht. Sie ist dabei lediglich an die „ Schranken der für alle geltenden Gesetze “ gebunden, die sich in den Grundprinzipien der Rechtsordnung, dem Willkürverbot, den guten Sitten, dem „ ordre public “ sowie den Arbeitsschutzgesetzen gebunden. 194Denn die Ordnung des Wirkens der Kirche ist als Ordnung innerhalb – nicht jenseits – des gesamten Gemeinwesens zu verstehen. 195
Wie das Bundesverfassungsgericht eigens ausgeführt hat, darf die Einbeziehung kirchlicher Arbeitsverhältnisse in das staatliche Recht die verfassungsrechtlich geschützte Eigenart des kirchlichen Dienstes, das kirchliche Proprium, nicht in Frage stellen. 196Damit beendete das BVerfG eine Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, die bei der Kündigung von Mitarbeitern im kirchlichen Dienst nur abgestufte Loyalitätspflichten anerkennen wollte – abhängig von der Nähe der Tätigkeit des Betroffenen zu den kirchlichen Aufgaben –, weil „ auch die Entscheidung darüber, ob und wie innerhalb der im kirchlichen Dienst tätigen Mitarbeiter eine,Abstufung‘ der Loyalitätspflichten eingreifen soll, ist grundsätzlich eine dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht unterliegende Angelegenheit .“ 197Es können sich also aufgrund des verfassungsrechtlichen Schutzes der Religionsgemeinschaften bei Arbeitsverhältnissen mit Beteiligung von Kirchen bzw. kirchlichen Einrichtungen vom staatlichen Arbeitsrecht abweichende Regelungen ergeben, wenn ansonsten die spezifisch religiöse Eigenart im Bereich des arbeitsrechtlich organisierten Dienstes bedroht wäre. 198Es ist dem kirchlichen Arbeitgeber also gestattet, „ die verfassungsrechtlich geschützte Eigenart des kirchlichen Dienstes “ nach seinem Verständnis auszugestalten und „ in den Schranken des für alle geltenden Gesetzes den kirchlichen Dienst nach [seinem] Selbstverständnis zu regeln und die spezifischen Obliegenheiten kirchlicher Arbeitnehmer zu umschreiben und verbindlich zu machen “. 199
Das Eingehen von Arbeitsverhältnissen auf der Grundlage von Arbeitsverträgen ist für die Kirchen also kein Tatbestand, der nicht mehr vom kirchlichen Selbstbestimmungsrecht umfasst und damit außerhalb der Verfassungsgarantie angesiedelt ist. 200Deshalb zählt das religionsgemeinschaftliche Dienst- und Arbeitsrecht zu den eigenen Angelegenheiten einer Religionsgemeinschaft, auch wenn diese privatrechtliche Arbeitsverhältnisse eingeht. 201
Die Kirchen haben sich auf individualrechtlicher Ebene dazu entschieden, außerhalb des engeren, öffentlich-rechtlich geregelten Bereichs auf die privatrechtlichen Gestaltungsformen des staatlichen Rechts zur Begründung ihrer Dienstverhältnisse zurückzugreifen. 202Es findet deshalb grundsätzlich das individualrechtliche Arbeitsrecht vollumfänglich Anwendung, bei dessen Auslegung die kirchlichen Besonderheiten jedoch zu berücksichtigen und einzelne Bestimmungen gegebenenfalls einzuschränken sind. Es wird den Kirchen etwa die Möglichkeit eingeräumt, selbst zu regeln, welche Voraussetzungen ein Mitarbeiter zur Einstellung erfüllen muss. In diesem Zusammenhang führt das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 04.06.1985 ausdrücklich aus: „ Auch im Wege des Vertragsschlusses können daher einem kirchlichen Arbeitnehmer besondere Obliegenheiten einer kirchlichen Lebensführung auferlegt werden. Werden solche Loyalitätspflichten in einem Arbeitsvertrag festgelegt, nimmt der kirchliche Arbeitgeber nicht nur die allgemeine Vertragsfreiheit für sich in Anspruch; er macht zugleich von seinem verfassungskräftigen Selbstbestimmungsrecht Gebrauch. Beides zusammen ermöglicht es den Kirchen erst, in den Schranken des für alle geltenden Gesetzes den kirchlichen Dienst nach ihrem Selbstverständnis zu regeln und die spezifischen Obliegenheiten kirchlicher Arbeitnehmer zu umschreiben und verbindlich zu machen. Das schließt ein, daß die Kirchen der Gestaltung des kirchlichen Dienstes auch dann, wenn sie ihn auf der Grundlage von Arbeitsverträgen regeln, das besondere Leitbild einer christlichen Dienstgemeinschaft aller ihrer Mitarbeiter zugrunde legen konnen (vgl. BVerfGE 53, 366 (403 f.)) .“ 203
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