Der Pomianer war gemäß seines Glaubens rascher in der Zubereitung: Austern auf Bordelaiser Art. Die Mollusken wurden in ihren Halbschalen von krossen Bratwürstchen begleitet. Dies war als Eingangsgericht vielleicht etwas mächtig, doch von höherer Kulinarik als das schlichte Käseomelett, welches der Pomianer dennoch parallel bereitete. Auch die schnelle Küche bot ihre Gourmandisen.
Alles wurde den unbewussten Unparteiischen serviert: Einer Riege von Herren und Damen, die in einem Raum nebenan saßen und glaubten, sie wären schlichte Gäste, oder zumindest solche, die es in jener Gewitternacht per Zufall in das abgelegene Lokal verschlagen hatte, weil ihr gemeinsames Gefährt havariert war. Dass dies alles perfide geplant war, ahnten sie wohl nicht. Dennoch würde ihr Urteil über die Gerichte einen Teil der Entscheidung ausmachen. In diesem Augenblick jedoch freuten sie sich darüber, dass ihnen unverhofft in all dem Unglück ein solch exquisites Nachtmahl serviert wurde. Der Patron flunkerte etwas von übrig gebliebenen Übungsgerichten daher.
Währenddessen ging der Dalíst über, das Hauptgericht zu bereiten: speckummantelten, überkrusteten Kalbsschlegel mit Sauerampfer, dazu Lammhirntoast und Anchovishäppchen. Letztere beiden waren eigentlich Zwischengerichte, doch als Beilagen verstärkten sie das Gesamtbild.
Der Pomianer mengte grünen Lattich und schälte bereits Obst für die Brieplatte. Er wusste, dass er mit diesen schlichten, erfrischenden Genüssen gegenüber den überspannten Dalísmen würde punkten können: Denn das Lammhirn wurde von Alligatorbirnen begleitet, die manche ganz unverständlich Avocado hießen, und die Anchovis wurden, obwohl bloß provenzalisch aromatisiert, als auf weihnachtliche Art angepriesen. Derlei verwirrt ehrliche Gaumen, klar, da mochte es noch so sehr munden.
Der Dalíst ließ sich dazu hinreißen, noch weiter zu trumpfen und begann, die hochgerühmten Trüffelwachteln auf Mais mit Kalbsfarce und Rohschinken zu füllen. Der Pomianer briet schlicht Schnitzel naturell und dämpfte grüne Erbsen, in geradezu mönchshafter Ruhe und Konzentration. Der Dalíst hingegen wirbelte exzentrisch in seinen Schuhen aus ausgehöhlten Broten herum, setzte gar die doppelverglaste Brille mit den Ameisen darin auf. Den Pomianer und auch unsereinen hätte das doch sehr gestört.
Das Dessert nahte. Der Pomianer rührte süßes Kastanienpüree und versah Schälchen voller Ziegenrahmkäse mit einem Klecks Schattenmorellenkonfitüre, der Dalíst hingegen kochte Pinienkerntoffee und Aprikosenfruchtcreme. Der Pomianer goss bloß noch den Kaffee auf.
Wer nun nicht in den Prozederes der Dalísten und Pomianer bewandert war, mochte sich fragen, wie es gelang, dass die aufwendigen Gerichte auf der einen und die einfacheren auf der anderen Seite (wortwörtlich auch auf die Herde und Kochstellen bezogen) so zeitnah vervollständigt waren, dass die unwissenden Speisenden der Jury sie dennoch im zeitlichen Rahmen eines schmackhaften Abends genießen konnten. Nun, der Pomianer taktete sich gewissermaßen gastrotechnisch gemäß des Metronoms der Quantenkomputistik und des menschlichen Multitaskings, während der Dalíst schlichtweg surreal schummelte und die Zeit sich dehnen und zäher fließen ließ. Aber das bemerkte niemand, weil er so viel Aufhebens, Brimborium und Schall und Rauch zelebrierte: Er hatte auch eine Schwäche fürs Flambieren und anderes Gefackel, auch wenn es die Gäste im Nebenraum gar nicht sahen, die aßen, was auf den Tisch kam, und all das mit Freude. Was am Ende leider zum Problem wurde. Denn als die fröhlich Gesättigten ihre Grüße in die Küche sandten, konnte auch nach penetrantem Nachhaken nicht ermittelt werden, welche der Gerichte oder welche Kombination denn allen am meisten zugesagt hatten. Es herrschte Gleichstand. Das kommt davon, wenn man Laien fragt. Die Zeremonienmeister – welche sich währenddessen als Kellner und Serviertochter getarnt und selber nachgefragt hatten – kamen nach Beratung in den Saal zurück und wollten das problematische Urteil verkünden, als etwas Unerhörtes geschah.
Hier sei aus Gründen der dramaturgischen Verzögerung, des Spannungsaufbaus und der Vorahnungsbildung eine Anekdote eingestreut: Niemand soll nämlich glauben, die Dalísten und Pomianer seien aus der Luft gegriffen oder passender gesagt aus dem Zwischenrippenstück geschnitten. Derlei Gesellschaften gibt es in der Tat und ihre Zwiste führen oft zu üblem Ende. Etwa hier: Im Dezember 1982 starb in Castelnaudary, welches im französischen Département Languedoc gelegen ist, ein Monsieur Bémer aus Toulouse während eines kulinarischen Zwistes an einer Bohne. Einer blauen, wie man früher sagte, sprich, einem Bleigeschoss. Und das kam so: Seit Langem schon schwelte im Languedoc der Hass unter den Freunden des Cassoulets, also jener traditionellen südfranzösischen Speise, die so viel mehr ist als ein robuster Fleischeintopf mit Bohnen. Es geht nämlich stets auch um die Zubereitung, welche durchaus eine Glaubensfrage ist. Die einen fügen den weißen Bohnen, dem Speck, der Knoblauchwurst, dem Schweinefleisch noch eingemachte Gans bei. Die anderen bestehen auf Ente. Andere lehnen das Geflügel gänzlich ab und bescheiden sich mit Lamm als Dreingabe. Aber was ist nun das Wahre, das erhabenste Cassoulet? Darob gründeten sich im Languedoc zu jener Zeit verschiedene Vereine, die beide ›Freunde des Cassoulet‹ sich nannten, aus Carcassonne und aus Toulouse, welche respektive zur Gans- und Lammfraktion sich zählten, die Ente insgesamt verschmähten, was wiederum einige in Castelnaudary, die nicht vereinsmäßig organisiert waren, gelassen, aber anders sahen. In jenem Dezember nun wollten die Widersacher sich versöhnen, bei einem Essen im ›Maison de Cassoulet‹, wo es besagten Eintopf ohne Gans und ohne Ente gab, dafür vorschriftsmäßig sieben Mal überbacken und die Kruste jeweils untergerührt, für den exquisiten, knusprigen Genuss. Aber trotz des Schmausens brauste der Streit auf, es flogen Fäuste und Geschirr, die Prügelnden strömten auf die dunkle Gasse, es krachte ein Schuss und die Bescherung war da, der Monsieur Bémer war dem Streit ums Cassoulet erlegen. Die Vereine wurden auf Befehl der Präfektur aufgelöst, doch der Hass garte und gärte weiter. Siebenfach überbacken!
Drohte ein Ähnliches bei der Zusammenkunft der Pomianer und Dalísten? Ob nun bei Versöhnungsmahl oder Kulinarduell, ohne Einigung und Sieger war kein friedliches Ende zu erhoffen. Die Luft im Saal war unheilschwanger, unter die köstlichen Düfte der Gerichte mischte sich Bitternis.
Nestelte da schon jemand unter der Kutte nach dem Mordgerät, ballten sich schon Fäuste, wurde nach den Pfannen und Messern geschielt? Unruhe im Saal, die Gewänder bauschten sich, die Kapuzen zitterten!
Und dann geschah das bereits angekündigte Unerwartete – doch für die Anwesenden tatsächlich überraschend: Mitten im Saal (Donner und Blitz draußen hatten kurz zuvor eine Atempause eingelegt und legten hernach umso ärger nach) materialisierten sich drei kuriose Gestalten. Sie trugen keine sektiererischen Kutten, sondern schimmernde Einteiler, mit wulstigen Applikationen an Schultern, Kragen, Ärmelaufschlägen, dazu Schweißerbrillen mit kleinen Antennen daran. Die Leserschaft grübelt noch, die Pomianer und Dalísten jedoch waren nach kurzer Schreckstarre hellwach und erkannten: Das sind Futuristen!
Die Futuristen waren eine ganz schlimme Bande, die sich den Thesen des italienischen Dichters Filippo Tommaso Marinetti (Weiteres zu dieser heiklen Person ist auf eigene Gefahr nachzuforschen) verschrieben hatten. Alles musste schnell gehen bei denen: Tempo, Tempo, auch und gerade bei der Nahrungsaufnahme, die im idealen Falle nur aus ›essbaren Plastiken‹ bestand, nüchtern gesprochen aus belegten Broten, wenngleich optisch einigermaßen gefällig geschichtet, aber eben doch nur eine aufgehübschte Klappstulle. Doch das wurde nur als Übergang gesehen: Nährpillen und Speisekomprimate wären die angestrebte Zukunft. Schrecklich, aus Sicht der Dalísten, Pomianer und im Grunde auch aller anderen. Nurmehr Tabletten und ein Glas Wasser als Atzung – niemals! Die Futuristen hingegen sahen alle höhere Kulinarik als Hemmschuh für die Zukunft und in den Dalísten und Pomianern ihre ärgsten Feinde, die es bei jeder Gelegenheit zu piesacken galt. Warum nicht also hier und heute beim großen Duell? Und so ging alles ganz fix: Tempo, Tempo griff je ein Futurist und eine Futuristin nach den heiligen Büchern der Kochduellisten und schnappten sie vom Pult fort, um hernach in einem bunten Strahlenblitz zu verschwinden. Der übrige Futurist, der auch eine Futuristin sein mochte, drehte den Zeremonienmeistern eine lange Nase und warf eine Handvoll Pressnahrung wie Konfetti nach oben. Im farbigen Hagel verschwand auch er oder sie. Die Zurückbleibenden starrten baff. Hochamt und Versammlung waren entweiht, die holden Bücher entführt und alle waren samt und sonders beschämt. Das bedeutete Krieg! Sogleich begann ein eifriges und einiges Palaver über die weiteren Pläne. Bis auf Weiteres war der Zwist vergessen. Bis … na, man ahnte, wie lang das halten würde.
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