6Der giftspritzende Talkmaster (Vipera annewilla) aus der Familie der Viperidae (Vipern und Ottern) ähnelt von Biologie und Verhalten dem Australischen Buschmeister oder Bushmaster (Lachesis muta) . Die stets nach dem letzten Schrei beschuppte Schlange stammt ursprünglich aus Nordamerika und wurde bei uns über die Niederlande eingebürgert; sie bevorzugt kleine, quadratische Wohnhöhlen, deren Vorderseiten verglast sind. Nach Betätigung der Fernbedienung werden Talkmaster zu jeder Tageszeit putzmunter und plappern, was das Zeug hält. Als Nahrung dienen ausschließlich sogenannte Einschaltquoten; sobald diese einen bestimmten Level unterschreiten, geht die Schlange unweigerlich ein – ein großes Problem besonders bei Exemplaren, die unter Knebelverträgen in Gefangenschaft gehalten werden. Mithilfe eines Langzeitgifts, dem Quototoxin, werden die Opfer scharenweise gelähmt; dessen chemische Analyse ergab einen hohen Anteil Schwafelsäure (47,4 %), Gamma-Egozentrin (21,8 %), Beta-1,4-Bloedsin (14,89 %), Hissssstamin (0,66 %) sowie zahlreiche, nicht näher untersuchte Laberstoffe und Weichmacher (darunter u. a. polymere Frustrane, etliche Knalldehyde und Telegen-Derivate) – kurzum, ein recht spritziger Cocktail. Talkmaster kann man gefahrlos anfassen, weil das Gift nur über die Netzhaut in den menschlichen Körper eindringt; dort führt es jedoch nach mehrstündigem Kontakt zu Stumpfsinn, Willenlosigkeit und Hirnerweichung, auch bekannt als MIS ( Maybrit-Illner -Syndrom). Der Artenschutz von Talkmastern fällt übrigens – wie auch beim Ergrauten Star (Megadiva heestersi) – in den Zuständigkeitsbereich der GEZ und wird durch eine bundesweite Gebührenordnung finanziert.
7Die gewaltige Riesenbo-äh (Pytton bochum) , auch unter den Namen Gemeine Revierschlange oder Großer Püttwurm bekannt, hat sich vortrefflich an das Leben im Großstadtdschungel adaptiert. Als Lebensräume nutzt dieses Riesenreptil ausschließlich rußreiche, versmogte Reviere, wo es vorzugsweise dunkle Förderschächte besiedelt; mitunter trifft man dieses Kriechtier aber auch in kleinen, ergrauten Reihenhäuschen (den sogenannten »Kumpelhäusken«) an. Einer Riesenbo-äh sollte man niemals von der Seite kommen, da sie den vermeintlichen Angreifer sofort unter bösartigen Zischlauten (»Gezz iss shluuusss«) attackiert. Die Nahrungsaufnahme der streng vegetarisch lebenden Schlangen erfolgt nie unter Tage, sondern stets oberirdisch. Zwar hat man in jüngster Zeit auch einzelne Exemplare gesichtet, die sich über Essensabfälle, wie Pommes frites, Pils und Currywurst, hermachten, normalerweise ernährt sich P. bochum jedoch ausschließlich vom Kohlepfennigkraut (Obulus carbonicus) , einer Zivilisationspflanze aus der Familie Verwaltungskräuter (Politicaceae; vormals: Administrales). Hier steht P. bochum in direkten Nahrungskonkurrenz zum nahe verwandten Riesenrheinwurm (Pytton gartzweileri) , auch Tagesbo-äh genannt, einer weiter südwestlich lebenden, meist reinbraun, oft aber auch rot-grün gezeichneten Riesenschlange. Aufgrund des hohen Nahrungsbedarfs der Tiere, der nur unzureichend aus der öffentlichen Hand gedeckt werden kann, und dem gleichzeitigen drastischen Rückgang von O. carbonicus müssen wir mit dem baldigen Aussterben dieser Riesenschlangen rechnen. Erschwerend kommt in solch einer fatalen Situation noch hinzu, dass das standorttreue Tier aufgrund seiner ausgeprägten Revierverbundenheit selbst dann, wenn ihm das Wasser bis zum Hals steht, lieber im Kohleschacht ersäuft, als ihn freiwillig verlässt.
8Die Gruppe der Amphibien ist besonders stark von Klimawandel und Umweltverschmutzung betroffen, da sich nur wenige Vertreter erfolgreich an die anthropogenen Veränderungen ihrer Lebensräume adaptieren konnten. Darüber hinaus kennt das Gros der Bevölkerung nur wenige oder überhaupt keine dieser schlüpfrigen Überlebenskünstler – entweder, weil die Tiere nur zu manchen Jahreszeiten auftauchen, wie beispielsweise der Knallfrosch (Rana sylvester) , der immer in den letzten Dezemberwochen unüberhörbar in Erscheinung tritt, oder aber wie die Falsche Wechselkröte (Bufo nonindossabilis) in völliger Abgeschiedenheit leben. ( B. nonindossabilis hält sich knapp oberhalb der Deckungsgrenze von Bankkonten auf und wird nur dann vom Laien wahrgenommen, wenn sie gerade mit lautem Knall geplatzt ist.) Andere amphibische Kulturfolger wie Lustmolch (Triturus nymphomanes) und Salamikröte (Bufo beefi) sind nur Personen mit bestimmten beziehungsweise ausgefallenen Geschmacksrichtungen bekannt. Umso erfreulicher ist, dass der Wetterfrosch (Rana kachelman) , ein Vertreter der Anuren (Froschlurche), nicht nur als treuer Hausgenosse akzeptiert wurde, sondern auch nutzbringend zur Schönwetterprognose im Alltag eingesetzt werden kann. Allerdings hat die vermehrte Verwendung von KI-Software in der TV-Meteorologie in den letzten Jahren dazu geführt, dass dieses kleine grüne Kerlchen immer seltener zur Wettervorhersage in Nachrichtensendungen gebraucht wird.
9Viele Menschen ekeln sich vor Spinnen, aber nicht vor dieser – die ebenso zeit- wie geschmacklose Wäschespinne (Arachne lenor) ist aus dem Leben vieler Hausfrauen einfach nicht wegzudenken. Sicherlich mag es daran liegen, dass sie weder gruselerregende Härchen besitzt, noch zottige Spinnweben hinterlässt und sich obendrein auch nicht unverhofft von der Zimmerdecke herabfallen lässt. Ihren langen, oft schlicht weiß lackierten Metallbeinen kann man sogar eine gewisse Ästhetik nicht absprechen. In Sachen Pflege, Wartung und Bedienung verschlingt sie mehr Zeit als ihre moderne Konkurrenz, der Spinn-Dryer (Turbosecator dyson) , ein ursprünglich aus Nordamerika stammender, von Werbefuzzis und Austauschstudenten eingeschleppter Arachniden-Exot. Dafür punktet A. lenor in den Bereichen Nachhaltigkeit und Energieverbrauch – einmal für wenig Geld angeschafft, überlebt sie mehrere Spinn-Dryer-Generationen, die in der Regel nach zwei bis drei Jahre ihre elektronische Seele aushauchen. Gerade bei jungen Vertretern der Friday-For-Future -Generation feiert die Wäschespinne daher ein durchaus verdientes Comeback.
10Die Lakritzschnecke (Helix haribo) zählt zu den wenigen Schneckenarten, die sich beim Menschen besonderer Beliebtheit erfreuen. Als eindeutiges Landtier (in Wasser quillt sie zu einer schwarzen, formlosen Masse auf) döst sie oft tagelang träge in hohen gläsernen Wohnhöhlen, die im Halbdunkel von Trinkhallen und Zeitungskiosken stehen. Diesen Lebensraum teilt sich H. haribo mit anderen Schnuckeltieren, wie z. B. Sauren Dropserln (Dropsophila bonbon), Mäusespeckwürmern (Camella marshmallowensis) und Gewöhnlichen Brauserlingen (Fizziphora simplex) – eine heterogene, von Biologen auch als Kiosksphäre bezeichnete Lebensgemeinschaft. Zum Schutz ihres weichen Körpers umgibt sich die Lakritzschnecke beim Verlassen der Wohnhöhle mit einem durchsichtigen, viereckigen tütenförmigen Sack, den sie mit anderen Schnecken gemeinsam nutzt. Dieser »Schneckensack« ist an den Enden so fest verschweißt, dass er selbst unter Anwendung hoher Zug- und Reißkräfte sogar an den dafür vorgesehenen Sollbruchstellen nicht aufplatzt. Lakritzschnecken sondern ein dickflüssiges, klebriges, schwarzes Sekret ab, das nicht nur sehr viel Zucker (85 % Glukose) enthält, sondern auch das euphorisch wirkende Salmiacin, welches in Forscherkreisen sogar als Suchtstoff (»Weiche Droge«) diskutiert wird.
11Beim heimischen Kurschatten (Solanum badenbadense) aus der Familie der Nachtschattengewächse (s. a. Treulose Tomate, Solanum perfidum ) gibt es weibliche und männliche Pflanzen, von denen letztere besonders interessant sind: Mit ihren prächtig herausgeputzten cremeweißen Blüten (sogenannten »Langbindern«), mattblau-metallic glänzenden Blätter und durchtrainierten, muskulös verzwirbelten Stielen ziehen sie die Aufmerksamkeit anderer Kurpflanzen auf sich. Ähnlich wie das Gemeine Erbschleichkraut (Gigolo pseudamorosus) schmarotzt nämlich auch der Kurschatten als Halbparasit auf anderen Pflanzen. Sein Lebensraum sind die Parks von Heilbädern und Kuranlagen – als Zimmerform findet man ihn aber auch in Vier-Sterne-Hotels, Spielcasinos, Theaterfoyers sowie auf Kreuzfahrtlinern. Charakteristisch sind seine prominenten Außenranken, mit denen die meist weiblichen Wirtspflanzen umgarnt und eingewickelt werden – bevorzugte Spezies sind Reiche Witwe (Multidollaris relicta) und Altstar (Diva obsoleta) . Laut einer Hypothese erzeugen die Wirtspflanzen durch Aneinanderreiben der Blätter niederfrequente Klickgeräusche, die wie herabfallende Münzen klingen und S. badenbadense beim Aufspüren seiner Opfer helfen.
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