Ganz anders nun Pomiane: Der schwor jeglicher komplizierten Verkünstlerung ab und propagierte die schnelle Küche, die jedoch keinesfalls minderwertig sein würde. Vielmehr sollte mit guten, wenngleich schlichten Zutaten (im Gegensatz zu Dalís Wachteln, Krammetsvögeln, Seeigeln, Schnecken, Krebsen und dergleichen) die gute, bürgerliche Küche für jene mit knapper Mittagspause (und dennoch Zwang oder Wille zum Selbstbekochen, aus welchen Gründen auch immer) ermöglicht werden: Pomianes Gastrotechnik bestand im Grundsatz aus Gerichten, die mit Geschick dank genauer, doch einfacher Anleitung in zehn Minuten zu bereiten waren, um in einem einstündigen Zeitfenster, am Ende noch Zeit für einen geruhsamem Kaffee samt Träumerei und Entspannung – quasi am realen Fenster – zu finden. Seine schlichten Empfehlungen waren denn oft Kurzgebratenes mit Gemüsen (was ihn nicht daran hinderte, bei der Beschreibung eines in Butter gebratenen Kalbskoteletts an grünen Erbsen poetisch zu werden), rasche Suppen, soßierte Nudeln, auch Frittiertes und Salate, je nach Geschmack und Jahreszeit, wodurch er sich durchaus in den Ruch der nouvelle cuisine setzte, obgleich sein wichtigstes Wirken in den Dreißiger Jahren geschah. Auch widmete er seine Gerichte und Zubereitungen all jenen, die vom Tempo der Moderne getrieben waren, und nicht nur, wie Dalí es tat, dessen Muse Gala.
Es wurde unruhig im Saal. Unter den Dalísten befanden sich mehr Galas als kleine Verkäuferinnen, wenngleich die Pomianer sich keineswegs allein aus Angestellten rekrutierten: Auch und gerade der darbende Künstler konnte sich die feinschmeckerischen Festivitäten des Dalí kaum leisten und suchte seine Erfüllung notgedrungen im Frugalen. Dem aber hatten sich auch Wohlhabende verschworen und suchten ihr Heil im Kargen, in der cucina povera , ohne jedoch einem historisierenden Pauperismus zu verfallen und nur noch Rinden zu nagen, wie die ganz Armen, falls diese überhaupt einen Kanten Brot besaßen. Wiederum tummelten sich unter den Dalísten reichlich Möchtegerne, die ihr bescheidenes Einkommen durch reiches Äußeres zu kaschieren suchten. Einerlei, bei den jeweiligen Treffen waren ohnehin alle maskiert, um Anonymität zu wahren und sich trotz gleicher Interessen nicht allzu sehr der Gleichmacherei zeihen zu lassen. Ab und an ließ man seine wahre Gesinnung ohnehin zu Hause, oder gab sie an der Garderobe ab.
Doch nicht heute, heute wurde es ausgefochten! Enthusiasmiert und ungeduldig harrten die Anwesenden. Die Türflügel zum Saal knarrten und die beiden Zeremonienmeister traten ein, von jeder Partei einer. (Genauer auch eine, denn das Dalístengewand bauschte sich hier und da verdächtig und unter der ans Venezianische gemahnenden Gesichtsmaske klang es hernach recht hell.) Gravitätisch wurde zu den drei Herden geschritten, sich knapp verneigt und dann die Estrade erklommen, auf der zwei Pulte standen, jeweils mit passenden Girlanden geschmückt, recht bunt, aber eher hell oder eher dunkel gehalten, wir erinnern uns. (Die helleren Gesellen waren übrigens die Pomianer, was wohl den Arztkitteln und Kochschürzen Tribut zollen sollte, während die Dalísten sich eher im Stand von Hohepriestern und Würdenträgern sahen. Es blinkerte bei jenen auch etwas mehr, so hier und da, manche trugen gar Epauletten wie die Palastköche. Kochmützen gab es aber nicht, sondern bei allen nur Kapuzen.)
Oh doch, Kochmützen! Die kamen nun in den Saal, denn die beiden kulinarischen Duellanten hatten sich gewissermaßen mit heldischen Helmen versehen. Keck fiel die Haube beim einen zur einen, beim anderen zur anderen Seite. Darunter glänzten die Halbmasken, denn Nasen und Münder mussten beim kämpferischen Kochen ja frei bleiben. Auch trugen sie keine Kutten, sondern reinweiße Kochjacken, mit jeweils hellem oder dunklen Halstuch, zum allbekannten, kompakten Knoten geschlungen. Die Beinkleider bauschten sich passend kariert, man hielt denn doch auf Tradition. Zugegeben, etwas davon abweichend war dem Anlass entsprechend der Uniform ein kleines Detail beigefügt worden: Um beider Schultern, unterhalb des hohen Umklappkragens, schmiegte sich ein kurzer Umhang, ein knappes Cape, das bis zur die Nierengegend reichte, und bei jedem Schritt dekorativ wippte. Die Duellanten schritten auf dem Weg zur dreifachen Herdstatt die Reihen ihrer Getreuen ab, nickten huldvoll und nahmen die Komplimente entgegen, während sie Gegner und Widerstreiter keines Blickes würdigten. Konzentration tat not und kühler Kopf galt zu bewahren, zumal die drei Herde bald gemeinsam ihre Hitze ausstrahlen würden.
Die Kulinarduellisten bauten sich auf, einander gegenüber stehend, die Reihe der Herde zwischen sich. Sie würden sich in die Augen sehen können, außer wenn die beiden Kaminröhren des Holzfeuerherdes in der Mitte den Blickkontakt behinderte. Zu erklären ist noch, dass die drei Herde Sonderkonstruktionen waren, mit je zwei Bratröhren im Korpus und zwei Reihen von Schaltern für die Kochstellen, jeweils am gegenüberliegenden Ende. So konnten die Duellanten gleichzeitig wirken, ohne einander in die Quere zu kommen, gleichzeitig waren Kontrolle und Einschüchterung möglich. Zweifellos, das Duell war höchst durchdacht.
Hinter den Duellanten standen die Tische mit den Rohwaren und den Kochutensilien: Die blanken Töpfe und die glänzenden Gerätschaften, die prangenden Früchte, Gemüse, Fische und Fleische, nebst Flaschen und Schalen mit mannigen Zutaten, zudem reichlich Freiraum zum Herrichten und Vorbereiten. Und dann stand da noch jeweils ein Pult, ein hölzerner Hybrid aus Katheder und Notenständer, verdächtig schlicht, als sollte es nicht ablenken, doch von was? Ah, da traten zwei hochgewachsene Männer in Schwarz heran, jeder trug eine flache, lackierte Schatulle, die eine größer, die andere kleiner. Jetzt wurden zwar keine Waffen verteilt, doch das wichtigste Rüstzeug überhaupt: Die Heiligen Schriften.
Der Dalíst öffnete die breitere Kassette und entnahm unter dem andächtigen Raunen seiner Mitgläubigen den prächtigen, goldglänzenden Folianten mit den Rezepten und hob ihn empor. Gleichzeitig griff der Pomianer in das kleinere Behältnis und zog ein schmales Brevier von schlichtem Äußeren hervor, was die Seinen mit nicht weniger Andacht bedachten als die Gegner das Ihrige. Beide Duellanten schritten zu ihren jeweiligen Buchständern und legten die Werke sachte ab. Dann wandten sie sich der Estrade zu. Die Zeremonienmeister nickten, hoben die Arme und sprachen in einer Art Wechselgesang diverse Mantren, wiederholten den Anlass der Zusammenkunft und einiges mehr, was für uns nicht von Belang ist und zudem arkanes Geschwafel und durchaus befremdlich für Nichteingeweihte. Interessanter für uns ist das Folgende, was den Mund wässern machte, und nicht die trockenen Zeremonielle: Denn endlich schritten die Duellanten zur kulinarischen Tat. Auf der Estrade spielte eine kleine Kapelle dezente, appetitanregende Weisen, die zudem ein rhythmisches Kochen ermöglichten. Zudem würde das sich allmählich steigernde Tempo der Stücke auch der weiter nahenden Klimax der Veranstaltung ankünden: Nach der Verkostung des Gekochten folgte die Verleihung des Preises, die Kür des ewigen Siegers.
Die Pomianer und Dalísten am Rande zogen ihre Programme heraus, hübsch auf Bütten gedruckt, darauf stand die zu erwartende Speisenfolge, gewissermaßen das Libretto der kommenden Koch-Oper.
»Meine Herren, starten Sie die Herde«, sprachen die Zeremoniellen, und das traf nicht allein auf die elektrischen und gasbetriebenen Feuerstellen zu, nein, es wurden auch die Klappen des Holzofens gelüftet, um tüchtig das Feuer zu schüren. Die Hitze im Saal stieg. Es begann.
Unter der Ägide ihrer Schutzheiligen nahmen die Duellanten ihr Werk in Angriff.
Die Vorspeise:
Der Dalíst bereitete ein exquisites Heringspüree, indem er nebst der Fische auch Zwiebeln und Kartoffeln in thymianparfümierter Bouillon sott und die Masse hernach fein zerstampfte. Dazu eine Mayonnaise mit Cayenne und Safran, frisches Meterbrot anbei.
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