12Ein häufiger Vertreter der heimischen gewässernahen Flora ist das gar nicht so seltene Mauerblümchen (Archaeovirgo desperata) , zu dessen charakteristischen Merkmalen ein unscheinbares blassrosa Blütenkleid, ein gedrungener, glanzloser Stängel sowie derbhäutige, grobporige Blätter zählen, die von einem feinen, leicht fettigen Schuppenfilm überzogen sind. Zusammen mit üppig wucherndem Seifenopernkraut (Soaponaria teenimanes) , halb erblühten Backfisch-Röschen (Venusilla praeflorescens) und kurzstängeligen Halbsträuchern wie der Tauben Nuss (Corylus merknix) bildet A. desperata einen dichten Ufervegetationsgürtel, der einer vielschichtigen Hydrofauna als gut geschütztes Balz- und Laichrevier dient. Einer der häufigsten Besucher dieses ökologischen Paradieses ist der Tolle Hecht (Esox blendax) , der sich bevorzugt von Kleinkrebsen und Wasserinsekten, wie Schaumschläger (Pseudomacho spumantifer) , Dünnbrettbohrer (Perforator tabulinarius) oder Zockerbock (Programmatifex nerdoides) , ernährt. Dieser gefräßige, abgezockte Raubfisch schnappt sich gerne auch mal einen verirrten, aus der städtischen Kanalisation entwichenen fetten Bachklokrebs (Gammarus sanitarius) und macht selbst vor den flauschigen Küken der Lahmen Ente (Anas blayphus) nicht Halt. Weil Tolle Hechte aber auch viel Mist hinterlassen, haben Mauerblümchen & Co. ein reichliches Nahrungsergänzungsspektrum, welches im Spätsommer und Frühherbst die teilweise schon abgestorbenen Pflanzen zu einem erneuten, intensiven Blütenaustrieb veranlasst, in Fachkreisen auch »Zweiter Frühling« genannt.
13Der Gemeine Chlorbleichling (Purgatorius domestos) ist ein eher unauffälliger, heute selten gewordener Pilz, oft vergesellschaftet mit anderen Putzschrankbewohnern aus der taxonomischen Sammelgruppe der Ikearegales , z. B. Kleinem Drahtschwammerl ( Abrazas borsticus) , Scheuermilchstern (Ata vulgaris) oder Grünem Spülicht (Pril liquidus) . Extrem lichtscheu bevorzugt er feucht-warme dunkle Standorte (Badezimmerspinde oder Küchenunterschränke), wo er zusammen mit Weichem Wollmoos (Vernellus pseudolenor) und Perligem Saubermann (Persilius megaperlis) angetroffen wird. Früher ein gern gesehener Hausgast symbolisiert der Gemeine Chlorbleichling seit alters her die Reinlichkeit und den Duft des ärztlichen Wartezimmers. So galt er bei den Ureinwohnern Nordamerikas als Lieblingspflanze von Sagro Tan, dem Gott der Keimfreiheit. Die Indianer zerstampften reife Pilze (höchstwahrscheinlich den Amerikanischen Chlorbleichling, P. danclorix ), ließen den Brei gären und versprühten den Saft in alle Ecken ihrer Häuser, um böse Geister zu vertreiben. (Relikte dieses sogenannten Sagro-Tan-Kultes werden übrigens auch heute noch in vielen Teilen der USA beobachtet.) Nach seiner Einbürgerung in Europa war der Chlorbleichling trotz seines leicht stechenden, mitunter tränenden Geruchs ziemlich beliebt, da er Schmierstoff-, Tee-, Obst- und andere hartnäckige Flecken im Handumdrehen vertilgte. Als man aber herausfand, dass er den einheimischen Gemeinen Essigreiniger (Acetophilus froschii) mit seinen ätzenden Chlorgasen fast völlig verdrängt hat, wurde er – im Rahmen einer bundesweiten Renaturisierungskampagne zur Rettung des Gemeinen Essigreinigers – gnadenlos aus vielen Putzschränken verbannt.
14 Last but not least soll an dieser Stelle ein wohlschmeckender, größtenteils unbekannter heimischer Speisepilz vorgestellt werden. Den erstmals 1912 in Cannstadt bei Stuttgart gefundenen Rittersportling (Laccaria quadratica-practica-bona) kann jedes Kind leicht an seinem viereckigen, in vielen Farben schillernden Schirm sowie am knickfähigen, wiederverschließbaren Lamellensegel (Velum) erkennen. Das Velum umhüllt eine quadratisch angeordnete Ansammlung kakaofarbener Sporen, die mal nach Minze und Marzipan, mal nach Erdbeere und Orange, aber immer intensiv nach Schokolade schmecken. Aber warum ist dieses mykologische Kleinod in Deutschland eigentlich so gut wie kaum bekannt? Ein Hauptgrund könnte sein, dass die exakten Koordinaten der wenigen Standorte als wohlgehütetes Familiengeheimnis nur von Generation zu Generation weitergegeben werden. Somit gibt es so gut wie keinerlei Grundlagenforschung über diese Spezies, insbesondere deren symbiotisches Baumwurzel-Pilzgeflecht (Mykorrhiza), von Experten als Chocorrhiza bezeichnet. Spekuliert wird über eine Symbiose mit Nusszeder (Hanuta simplex) oder Borkenmilchbaum (Vaccalila [syn. Milkoidea ] trapezoides) . In den Folgejahren verliefen sämtliche Versuche, den Pilz unter Kunstlicht in Tunneln (ähnlich wie Zuchtchampignons) zu ziehen beziehungsweise aus seiner angestammten schwäbischen Heimat nach Norden, Süden, Osten, Westen oder gar ins Ausland zu bringen, kläglich im ariden, nicht-württembergischen Sande.
Alexander Röder – Duell der Schlemmersekten
In einem abgelegenen Gasthaus am Rande einer Pyrenäenschlucht kam es in einer stürmischen Nacht zum Kampf zweier kulinarischer Geheimgesellschaften, um Deutungshoheit, Ehre und nachhallenden Ruhm. Passend zu diesem umwälzenden Ereignis brodelten die Wolken über den schroffen Gipfeln und der Donner rollte blitzgetrieben dahin, dass es die Bäume zauste und die Hänge erbeben ließ. Das Spektakel droben würde sich zweifellos weiter unten fortführen.
Im großen Saal der Speiseherberge hatte der Patron alles herrichten lassen: Auf dem freigeräumten Parkett standen mittig drei Herde, einer elektrisch (die Kabelage sorgfältig und stolpersicher verlegt), einer mit Flaschengas betrieben und einer ganz altmodisch mit Holz geheizt und schon vor Stunden befeuert. An den gegenüberliegenden Seiten des Saales standen, in zwei Lager gespalten, die verhüllten Gestalten, helle Kutten auf der einen Seite, dunkle Kutten auf der anderen, in jeweils unterschiedlichen Farben, die gewiss eine Bedeutung besaßen, aber wer konnte das außerhalb der geheimen Verbindungen schon wissen: wir nicht.
Klar aber war, dass es sich bei diesen Gesellschaften um die Dalísten und die Pomianer handelte. Diese wie jene hatten sich nach ihrem gastrosophischen Idol benannt, respektive Salvador Dalí und Édouard de Pomiane. Da der katalonische Künstler des Surrealismus wegen seiner Exzentrik den meisten Vor-, Während- und Nachgeborenen vermutlich bekannt sein dürfte, sei es als Scharlatan, Faszinateur, Angeber, Paranoiker oder göttlicher Meister, auch und hier besonders von Bedeutung als kulinarisch Kreativer, sei rasch der andere Herr vorgestellt: Édouard de Pomiane war dreißig Jahre älter als Dalí, und statt der Surrealistengottheit nur ein Halbgott in Weiß, sprich Arzt, und vierzig Jahre am Pariser Institute Pasteur beschäftigt, dazu war er Kochkünstler, Kochlehrer und Erdenker der Gastrotechnik, während Dalí, man mag die Analogie anwenden, eher ein Gastromagier war. Und dieser Unterschied im Angang war die Grundlage der beiden Geheimgesellschaften. Beide hatten sich den mit Lust und Freude bereiteten und ebenso genossenen Speisen verschrieben, nur eben mit gänzlich gegensätzlicher Herangehensweise. Wie man sich bei Dalí denken kann, selbst wenn man nicht die einschlägigen Prachtband-Publikationen bestaunt hat, herrschte beim surrealen Grandseigneur eine überbordende Opulenz vor, die sich über Zutaten, Herstellung, Darreichung und Namensgebung der Gerichte erstreckte: Speisen aus Eiern und Fischen fasste er unter dem Begriff der ›Kannibalismen des Herbstes‹ zusammen; kleine Vorgerichte waren ihm ›Liliputaner-Malaisen‹, Schweinernes empfand er als ›Weiche Uhren im Halbschlaf‹ (obgleich eines seiner bekanntesten Bildelemente doch eher auf fließendem Camembert beruhte) und alles Vegetabilische schmähte (?) er als ›Desoxyribonuklein-Atavismen‹. Dass er weiteres Schlachtfleisch als ›Sodomitische Zwischengerichte‹, Wild und Geflügel jedoch als ›Monarchische Fleische‹ empfand, – nun, du bist, was du isst, wie der Volksmund weiß, selbst wenn dieser jenes nur selten zwischen den Zähnen hat.
Читать дальше