Schlagen wir die Kurve zu den Giften, dann ist die Wissenschaft (sic) für jedes Dogma toxisch.
Das schreibt ein »alter, weißer Mann«, dessen Männlichkeit heutzutage von einigen Schwerstverwirrten grundsätzlich als toxisch angesehen wird.
Apropos »toxisch« …
Wer erinnert sich noch an den Lebensmittelskandal, bei dem … nein, nicht Rind, Schwein oder Huhn, die üblichen Verdächtigen eben … die Zucchini der Übeltäter war? Ignorieren wir an dieser Stelle bakteriell allzu aktive Sprossen.
Das Blütengemüse kann giftige Bitterstoffe (Cucurbitacine) enthalten. Diese sind sehr giftig und rufen bereits in kleinen Mengen Übelkeit, Erbrechen und Durchfall bis hin zu lebensbedrohlichen Darmschäden hervor. Der Autor dieser Zeilen erinnert sich an einige bizarre Erlebnisse mit Zeitgenossen, die primär vegetarisch oder gar vegan unterwegs waren und sind. Bemerkungen wie »aber das ist doch Gemüse / gesund!« waren eher Regel als Ausnahme. Eigene Warnungen, wie z. B. dass Kochen diese Bitterstoffe nicht zerstört, wurden nicht geglaubt.
Hier wird Nichtwissen, das sich aufs Essen bezieht, gefährlich. Die Gleichung: pflanzlich = gesund hält sich beinahe so hartnäckig, wie die oben genannten Cucurbitacine. Unangenehm ist, dass diese sich keineswegs nur in Zucchini finden, sondern auch anderen Gemüsen: Gurken (Cucumis), Kürbisgewächsen (Cucurbitaceae, s. o.) und einigen Kreuzblütlern (Brassicaceae, Kohlarten). Die Mär vom »gesunden Gemüse« bekommt da doch die eine oder andere Mikrofraktur.
Es geht eben nichts über ein einfaches Weltbild.
Die Geschichte vom tödlichen Bärlauch ist aktueller. Man sollte das leckere Gewächs nämlich von anderen, sehr viel weniger harmlosen Pflanzen ähnlichen Aussehens, unterscheiden können: zum Beispiel von der Herbstzeitlosen oder Maiglöckchen, die stattdessen verspeist wurden. Zumindest für eine Person war der Genuss im schlimmsten Sinne final.
Auch in einer Zeit, in der ein Großteil der Nahrung aus dem Supermarkt kommt, wäre Wissen also angesagt. Zumal Dinge, die noch vor Kurzem jedes Kind wusste, dem Vergessen anheimfallen. Und der in seiner Selbstgewissheit omnipotente Städter geht hinaus in die Natur, um ihr nahe sein zu können. Harmonie gilt dieser Klientel als Essenz der Natur schlechthin.
Tatsächlich ist Mutter Natur hingegen ein Miststück, das im Laufe der Erdgeschichte den Großteil aller Arten wieder ausgerottet hat. Ob es nun zweiundneunzig oder achtundneunzig Prozent waren, spielt nicht einmal ansatzweise eine Rolle. Eine Giftmischerin ist sie, zudem eine fähige.
Das sollte man wissen.
… ein weiterer Grund, die oben genannten Bücher zu lesen, denn Lesen bildet. Wissen kann man nie genug.
Guten Appetit! Wir treffen uns auf einen Drink in Donnas Kaschemme. Ob giftig oder nicht.
Prost.
1 »Wer gesund lebt, ist selber schuld: Was uns Gesundheitsapostel verschweigen.« BLV, ISBN 978 3 835 40651 3
2 »Wer gesund isst, stirbt früher: Tatsachen und Trugschlüsse über unser Essen.« BLV, ISBN 978 3 835 40312 3
3 »Wer hat das Rind zur Sau gemacht?: Wie Lebensmittelskandale erfunden und benutzt werden.« Rowohlt-Taschenbuch, ISBN 978 3 499 62760 6
4 »Opium fürs Volk: Natürliche Drogen in unserem Essen.« Rowohlt-Taschenbuch, ISBN 978 3 499 62635 7
5 »Wie man Männer in Schweine verwandelt und wie man sich vor solch üblen Tricks schützt: Rauschpflanzen und Gifte in antiken Mythen und Sagen.« Hirzel, ISBN 978 3 7776 2842 4
Gisbert Haefs – Die Zwerge von Zülpich
Bekanntlich gibt es keine Zwerge, außer in privaten Vorgärten, der Politik und anderen Sperrbezirken. Und eigentlich ist das hier eine traurige Menschengeschichte. Da ich für Traurigkeit aber nicht zuständig bin, fangen wir einfach mit den Zwergen an.
Um die möglichen Missverständnisse gleich zu kräftigen: Es ist hier nicht die Rede von Liliputanern, Kleinwüchsigen, vertikal Geforderten, sondern von Zwergen, Gnomen, Kobolden, Wichteln und Heinzelmännchen. Wenn Sie denen passende Namen geben wollen, schauen Sie in der Edda nach, wie Tolkien; es ist aber müßig, weil es sie, wie gesagt, nicht gibt.
Gundolf ist im Prinzip ein Riese (die gibt’s aber auch nicht), und weil er nicht so heißen will, wie er heißt, nennt er sich Kuno. Vielleicht haben die Eltern ihn Gundolf genannt, weil der Großvater so hieß oder ein netter Onkel.
Bei Kirspenich, nicht weit von Zülpich, gibt es einen Zwerchberg, der wahrscheinlich so heißt, weil er quer steht. Natürlich gibt es andere Worterklärungen, und besonders beliebt ist jene, deren Ergebnis die Schreibweise Zwergberg ist. Was allerdings in der Eifel nichts an der Aussprache ändert.
Gundolf alias Kuno sagt, er sei mit seinem Vater früher oft in der Gegend spazieren gegangen, und vielleicht komme sein Hang zu Zwergen daher. Frühkindliche Prägung, wissen Sie; manche rennen ihr Leben lang hinter Graugänsen her, andere suchen bis zum Abwinken Zwerge.
Aber genug der Erklärungen, die ohnehin alle an den Haaren herbeigezogen sind, die Kuno fehlen. Er ist seit Jahren kahl, und zwar völlig, und glatzköpfige Riesen namens Gundolf, die überall Zwerge vermuten, haben’s im wirklichen Leben schwer. Gundolf leidet darunter; niemand nimmt ihn richtig ernst, weder beruflich noch privat. Beruflich ist das kein Wunder; er ist städtischer Beamter, und wer nimmt die schon ernst? Nicht einmal seine Kollegen achten besonders auf ihn, weil er bei jedem größeren Bauvorhaben, sobald die Erdoberfläche angekratzt werden muss, einen Antrag auf Suche nach unterirdischen Gängen oder Behausungen stellt. Andere mögen eine besondere Wühlmausart schützen wollen oder nach speziellen Grottenolmen des Typs Axolotlus Tolbiacensis suchen. Gundolf Kuno dagegen sucht Zwerge. Inzwischen haben sich die Kollegen daran gewöhnt und lächeln nur noch matt; schlimmstenfalls gönnen sie ihm ein kleines Lachen, kaum umfangreich genug, einen Zwerg einzuwickeln.
Er sucht Zwerge und züchtet Brieftauben, hätte aber gern größere. Möglicherweise will er sie, wenn er mit seinem Hauptanliegen irgendwann Erfolg hat, als Reittiere für die Zwerge abrichten, wiewohl die schwedische Variante bekanntlich Wildgänse vorzieht. Aber lassen wir das ebenfalls beiseite; wer weiß denn schon, wie groß Zwerge werden.
Ob es an den Zwergen oder den Brieftauben liegt, ist nicht recht klar; vielleicht hat es auch mit dem leichten haut goût zu tun, der ihn wie ein mobiler Käfig umgibt, seit er vor Jahren das Duschen weitestgehend einstellte, weil es ihm zu nass ist. Angeblich sind Zwerge ja auch wasserscheu. Egal, woran es liegt, Kuno ist es nie gelungen, sich der Damenwelt aufzudrängen. Keine Ahnung, ob es in Zülpich und Umgebung ohnehin einen Männerüberschuss gibt, aber wahrscheinlich hätte Kuno auch in extremen Mangelgebieten kaum Chancen. Jedenfalls nicht ohne Einweichen, Vorspülen und Schleudern.
Insgesamt hat er etwas von jener Sorte Mann, die in schlechten Filmen oder der schlechteren Realität auf Kunstmaler macht, insgeheim an einem Primzahlengesetz herumbastelt oder an öden Wochenenden versucht, aus körpereigenem selbstgemolkenen Plasma die ultimate Vernichtungswaffe zu bauen. Da er das aber nicht an jedem Wochenende tun mag, besucht er manchmal einen anderen Sonderling, der ebenfalls Tauben dressiert, nicht besonders gut riecht und keine Hemmungen hat, sich mit Kuno an ein Schachbrett zu setzen.
Dieser Bekannte – ach was, nennen wir ihn Freund, es gibt ja keine Konkurrenz, die sich beschweren könnte – wohnt in der Nähe von Bürvenich, und jetzt kommen wir zum eigentlichen Anlass dieser Geschichte. Der Freund heißt Karl-Heinz, ich habe ihn zufällig vor Jahren kennengelernt, als er mir eine Beule in den Wagen fuhr, und weil er so schön verrückte Geschichten erzählt, besuche ich ihn manchmal in Bürvenich. Am liebsten, wenn ich Schnupfen habe; dann kann ich ihm zuhören, ohne ihn zu riechen.
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