Er schaltete das Licht ein und sah sich um. Bisher hatte Kiljan es jedes Mal verhindert, dass das Zimmer geräumt und jemand anderem zugeteilt wurde. Als sie jünger waren, hatte er wie ein Wahnsinniger getobt und war schier außer sich geraten. Mittlerweile genügte ein Blick von ihm und die Diskussion war augenblicklich im Keim erstickt. Mael seufzte. Er hatte etwas gesehen, damals, bevor er einen Schlag auf den Kopf bekam, doch er erinnerte sich einfach nicht mehr daran. Noch immer hoffte er, dass das Erlebnis in sein Gedächtnis zurückkehrte, bisher jedoch vergeblich.
Er löschte das Licht und ging hinaus, schlich sich zu der Eiche und betrachtete sie. Kiljan trat auf ihn zu und tat es ihm nach.
»Irgendetwas übersehen wir. Warum ist sie hierhergekommen?«, flüsterte Mael. Kiljan klopfte ihm auf die Schulter und wankte zurück ins Schloss. Er hatte eindeutig zu viel getrunken. Er fühlte sich trotz allem zu ihr hingezogen, doch er kämpfte nicht nur gegen sich selbst, sondern vor allem gegen sie. Sie gab ihm gar keine Gelegenheit.
Fluchend taumelte er in das Zimmer seiner Gefährtin, die niemals zurückkehren würde. Noch immer drückten ihn diese Gefühle unaufhaltsam nieder. Er gab seinem Drang nach, legte sich in das Bett, das ihr einst gehörte, und weinte sich stumm in den Schlaf.
Sam
Die nächsten zehn Tage verliefen im gleichen Muster. Ich ging den beiden, so oft es möglich war, aus dem Weg und erledigte meine Aufgaben mit den Kleinen. Ich war mir stets bewusst, dass sie mich nicht aus den Augen ließen, selbst wenn ich lief, trainierte oder meditierte. Abends lief ich viel, konnte diese Ruhe und diese Untätigkeit kaum noch ertragen. Am schlimmsten jedoch waren die Abendessen, die in einem großen Saal stattfanden. Bei jedem Bissen folgten mir die Blicke der anderen, und es wurde unerträglich. Jedes Mal setzten Mael und Kiljan sich zu mir, doch ich war noch nie besonders gut in stumpfer Konversation. So genoss ich seitdem mein Essen irgendwo abseits im Wald oder auf der Lichtung. Auch jetzt folgten sie mir, und ich stöhnte innerlich.
Inzwischen hatte ich es aufgegeben, mir selbst etwas vorzumachen. Die Verbindung zwischen Kiljan und mir bestand noch immer, doch ich kämpfte dagegen an und ließ keine Annäherung zu. Ich wollte an meinem Plan festhalten, zu viel hatte er mich bereits gekostet, zu weit war ich gekommen.
Ich muss ihn unbedingt zu Ende führen, das habe ich mir einst geschworen und das bin ich mir selbst schuldig. Gleichgültig was noch geschieht, ich werde erst meinen Frieden finden, wenn der letzte der Zwölf von meiner Liste gestrichen ist.
Kiljan und Mael setzten sich zu mir, doch ich ignorierte sie, so gut es ging. Mein Blick aber glitt immer wieder verstohlen zu dem Dunkelelben mir gegenüber, und ich fluchte innerlich. Als wäre das alles nicht schon schlimm genug, kämpfte ich nun auch noch gegen mich selbst.
»Kommt ihr euch inzwischen nicht auch langsam vor wie zwei Stalker? Das muss doch auf Dauer langweilig sein, und ihr habt bestimmt spannendere Freunde. Oder seid ihr dermaßen knapp an Dunkelelbinnen, dass ihr schon so verzweifelt seid und mir deswegen ständig eure Aufwartung macht?«, fragte ich herausfordernd und hoffte, sie würden endlich verschwinden, wenn ich nur beleidigend genug wäre.
Mael lachte, doch Kiljans Blick funkelte aufgebracht. Er war ein unglaublich schöner Dunkelelb, strahlte in einer Mischung aus Selbstbewusstsein und Kraft. Doch über alldem lag ein Hauch von Leidenschaft und ließ erahnen, was für ein herzlicher, sensibler Dunkelelb er sein konnte. Dazu die seidigen, schwarzen Haare, eine Körpergröße von gut 1,85m und ein wohlgeformter Körper, aus dessen Gesicht seine moosgrünen Augen mich zu verschlingen drohten. Jetzt gerade allerdings wartete ich auf die Blitze, denn sie funkelten sichtbar wütend. Ich traf wohl irgendeinen Nerv, ohne es zu ahnen.
»Sei unbesorgt, es gibt genügend, die sich uns freiwillig hingeben«, lachte Mael, doch ich erbleichte, spürte es, konnte meine Reaktion jedoch nicht mehr schnell genug vor ihnen verbergen. Damit hatte er unbewusst meinen Nerv getroffen.
Hastig erhob ich mich und verfluchte mich. Ich war einfach ständig zu abgelenkt von anderen Dingen, nicht ausreichend auf mich selbst konzentriert, und nun schoben sich unablässig Erinnerungen in den Vordergrund, ohne dass ich noch die Macht besaß, sie zurückzudrängen.
Plötzlich wurde sie bleich, erhob sich hastig, schulterte ihren Rucksack und lief los. Kiljan und Mael waren so überrascht, dass sie einen Moment brauchten, um zu reagieren.
»Was war denn das? Was habe ich denn gesagt?«, fragte er erst irritiert, dann aber zunehmend besorgt. Kiljan starrte zwischen die Bäume, ebenso verwirrt, wie Mael, und grübelte. Er hatte das Gefühl, dass er nichts anderes mehr tat, seitdem sie aufgetaucht war. Ständig kreisten seine Gedanken einzig und allein um sie.
»Warte«, rief er plötzlich, obwohl er nicht sicher war, ob sie ihn überhaupt noch hören konnte, und nickte Mael zu. Sie liefen los, ihr hinterher, doch schon nach einigen Minuten blieben sie stehen, horchten und sahen sich suchend um. Sie war verschwunden.
»Was habe ich gesagt?«, wiederholte Mael seine Frage, vollkommen sicher, dass er für ihre Reaktion verantwortlich war, es aber noch immer nicht verstand.
»Dass es genügend gibt, die sich uns freiwillig hingeben«, wiederholte Kiljan nachdenklich, sah sich aber noch immer suchend um. Schließlich gab er es auf und betrachtete Mael gedankenverloren.
»Aber ich verstehe das nicht. Sie wurde vor unseren Augen blass wie eine Wand. Zwar wollte ich endlich mal eine echte Reaktion von ihr provozieren, doch so habe ich mir das nicht vorgestellt.« Bestürzt blickte Mael zu Kiljan, der ebenso ratlos wie er selbst zu sein schien.
»Ich wünschte, sie würde uns mehr vertrauen. Komm, das ist sinnlos. Wir müssen noch zu Cadan, und ich denke, wir finden Sam nicht, solange sie nicht gefunden werden will.« Mael nickte und gemeinsam machten sie sich auf den Weg zurück zum Schloss.
Sie bemerkten Sam nicht, die nur zwei Meter von ihnen entfernt, auf einem Baum hockte, und kaum zu atmen wagte. Erleichtert, dass sie sich endlich auf den Weg machten, zwang sie sich selbst dazu, noch einige Momente still zu verharren, erst danach kletterte sie vorsichtig an dem Stamm hinab und glitt auf den Boden, bis sie saß.
Inzwischen zitterte ihr ganzer Körper, und sie schaffte es nicht mehr, die Bilder zurückzudrängen. Sie griff nach dem Messer in ihrem Stiefel, denn sie wusste, dass ihr nicht mehr viel Zeit blieb, bis die Erinnerungen sie überrollen würden, und schnitt sich in einer graden Linie langsam in den Arm. Blut quoll aus der Wunde hervor. Sie hieß den Schmerz willkommen, sah zu, wie es sich seinen Weg bahnte und schließlich auf den Boden tropfte. Sie ritzte sich, mehrmals hintereinander, wiederholte es an ihrem anderen Arm, langsam und hochkonzentriert.
Schon während des letzten Schnittes stöhnte sie erleichtert auf, ließ den Kopf nach hinten sinken, bis er an dem Stamm lehnte. Zufrieden blickte sie in den Himmel, lächelte plötzlich. Sie hatte ihre Erinnerungen, die Bilder davon, besiegt, gerade noch.
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