»Was hat sie vor?«, flüsterte ich, als sie plötzlich ebenfalls loslief, direkt auf ihn zu und dann sprang. Zwar bekam Cadan ihr Oberteil mit seinen Zähnen zu fassen, dennoch flog sie über ihn hinweg, rammte ihm ihr Messer zwischen seine Rippen und rollte sich am Boden mit einer Vorwärtsrolle ab. Anscheinend traf er sie jedoch schlimmer als vermutet, denn sie schlug hart auf den Boden auf, kam aber trotzdem sofort wieder auf die Füße. Blut tränkte inzwischen ihr Oberteil, sie aber schien es nicht einmal zu bemerken. Cadan hingegen hatte sich zurückgewandelt und zog ächzend das Messer aus seinem Körper heraus.
»Ich habe dich schon wieder unterschätzt.« Er musterte sie, betrachtete sie scheinbar neugierig.
»Sam«, rief Leif plötzlich und rannte auf sie zu. Sie steckte ihr Messer weg, stellte sich vor Cadan und beobachtete jede seiner Bewegungen misstrauisch. Er hielt noch immer ihr Messer, fasste nun jedoch die Klinge und reichte es ihr schließlich mit dem Griff voran. Sie nahm es ihm ab, als er unerwartet schnell hochschoss, sie mit einem Würgegriff packte und fixierte. Sie reagierte allerdings ebenso rasch und presste ihm die Klinge an seinen Schritt. Erschrocken zuckte Cadan zusammen. »Eine einzige Bewegung und du bist nicht länger ein Dunkelelb«, zischte sie.
»Ich würde sagen, eindeutig unentschieden«, rief Issy. Allgemeines Gelächter erklang, dennoch ließ Cadan sie nur langsam los, stieß sie schließlich von sich und wandte sich ab. Sorgfältig verbarg sie beide Messer wieder in ihren Stiefeln, beobachtete Cadan aber fortwährend aufmerksam. Als Leif auf sie zugelaufen kam, ging sie ihm entgegen, ergriff lächelnd seine Hand und zog ihn mit sich fort.
»Was machst du denn hier? Bei einem Kampf habt ihr Kleinen nichts zu suchen«, schimpfte sie milde.
»Achtung!«, schrie Mael plötzlich. Sie reagierte sofort. Pfeilschnell schob sie Leif hinter sich, schützte ihn mit ihrem Körper. Ein Dolch traf sie direkt in den Oberschenkel, doch sie ließ sich nichts anmerken, fasste Leif am Kinn und sagte etwas zu ihm, erst lächelnd, dann wesentlich energischer. Schließlich nickte er und lief los, fort von dem Kampfplatz, in Richtung Schloss.
Erst als er aus ihrem Blickfeld verschwunden war, wandte sie sich um. Scheinbar ohne Schmerzempfinden zog sie die Klinge heraus, sank in einer geschmeidigen Bewegung in einen Spagat und warf den Dolch zurück. Sie traf Cadan gezielt ebenfalls ins Bein und die Klinge drang tief ein. Anmutig erhob sie sich, obwohl ihre Wunde sichtbar blutete, und trennte in aller Seelenruhe einen Ärmel von ihrem Hemd, band damit ihren Oberschenkel ab. Gemächlich ging sie auf Cadan zu, der noch immer schockiert am Boden kauerte.
»Steh auf, du elender Bastard. Du hast jegliches Recht auf Rücksicht verloren. Du bist einfach nur erbärmlich.« Sie spuckte ihm ins Gesicht. »Du hast es in Kauf genommen, dass Leif verletzt wird und dafür wirst du büßen.« Ängstlich wich Cadan vor ihr zurück. Nicht nur er nahm die Veränderung ihrer Haltung, ihrer ganzen Ausstrahlung wahr.
Fand sie eben noch einfach nur Gefallen an dem Kampf und strahlte pure Konzentration aus, so wirkte ihre Mimik nun vollkommen erstarrt und ihre Entschlossenheit, ihn zu töten, unmissverständlich. Blut quoll stetig aus der Wunde an ihrem Bein und auch ihr zerrissenes Oberteil tropfte blutdurchtränkt, doch es schien sie in keiner Weise zu beeinträchtigen.
Schwerfällig erhob sich Cadan und wich humpelnd weiter zurück. Sam aber setzte unerbittlich nach, schlug zu und traf mit voller Wucht seine Wange. Er schrie vor Schmerz und fiel erneut zu Boden.
»Es tut mir leid, ich wollte das nicht. Ehrlich«, wimmerte er, doch sie packte sein Haar und zerrte ihn hoch.
»Es tut dir leid? Ehrlich? «, schrie sie. »Und wenn Leif jetzt tot wäre? Würde es dir dann ebenfalls einfach nur leidtun , du verdammter Bastard?« Sie ließ ihn los und gab ihm einen Schubs. »Du kannst froh sein, dass nicht ich dein Oberhaupt bin, denn ich würde dich töten. In meinen Augen bist du nichts weiter als jämmerlicher Abschaum. «
Sie sah auf, blickte mich direkt an und hielt meinen Blick fest. Schließlich schüttelte sie den Kopf und ging einfach davon. Nachdenklich sahen wir ihr hinterher.
»Ich denke, damit erübrigt sich wenigstens eine Frage«, flüsterte Mael. »Dass es tatsächlich ihre Erfüllung ist, wage ich zu bezweifeln, aber sie ist sehr wohl in der Lage, jemanden ohne Schwierigkeiten zu töten.« Ich erschauderte und sah ihr nach. Er hatte recht.
»Gin, Raoul, schnappt euch Cadan und sperrt ihn ein. Er wird sein Zimmer nicht verlassen und niemand geht hinein.« Sie nickten, stellten ihn unsanft auf die Füße und zerrten ihn zum Schloss. Kein Clanmitglied würde für ein solch niederträchtiges Handeln Verständnis zeigen. Dass er hinterrücks zuschlug und außerdem die Verletzung eines Kleinen in Kauf nahm, würde ihm hier niemand verzeihen.
Als wir zu Umi kamen, hörten wir sie bereits schimpfen. »Ich hätte ihn umbringen sollen, verdammt. Leif geht es dir wirklich gut?«
»Ja, du hast mich gerettet. Nicht nur Jul, sondern jetzt auch mich.« Er strahlte, als wir gerade die Räume der Heiler betraten.
»Oh, na bravo, auch das noch«, rief Sam genervt. Wir stockten mitten im Schritt.
»Halt still und zetere nicht so rum. So kann ich nicht arbeiten«, schimpfte Umi.
»Ich habe dir gesagt, dass ich es auch allein versorgen kann. Stattdessen sitze ich jetzt hier und muss mich auch noch von den beiden dort anstarren lassen.« Sie drehte ihren Kopf zu uns. »Habt ihr genug gegafft?«
Hastig wandten wir den Blick ab. Nun hatten wir ihre Narben mit eigenen Augen gesehen und mir lief es eisig den Rücken hinab. Nicht dass Sam durch sie entstellt oder hässlich wäre, ihr Körper war unfassbar gut proportioniert, doch die Vielzahl der Narben erschütterte mich.
»Was ist mit dir geschehen?«, fragte ich flüsternd, konnte einfach nichts dagegen tun und sah ihr direkt in die Augen. Sie hielt meinen Blick fest und lächelte kalt.
»Das Leben. In all seinen wundervollen, unglaublich vielfältigen Facetten«, antwortete sie sarkastisch. »Ich lass auch gleich noch meine Hose runter, also bitte bleibt, damit ihr euch endlich ein vollständiges Bild von mir machen könnt.«
Mael betrachtete sie seltsam angerührt. »Warum bist du so?«, fragte er leise.
Verächtlich sah sie von mir zu ihm, lachte noch eisiger als zuvor. »Kannst du auch mal eine andere Platte auflegen? Ihr nervt, alle beide, also verschwindet endlich.«
Umi wickelte einen Verband um ihren Bauch und Sam erhob sich, zog ihre Hose aus und legte sich hin. »Das Messer hat die Blutbahn zum Glück verfehlt. Aber es ist eine tiefe Fleischwunde, die ich nähen muss.« Während Umi die Wunde gewissenhaft reinigte, ging ich auf sie zu, ergriff ihre Hand und hielt sie fest, wie sie es bei Jul getan hatte. Erschrocken riss sie ihre Augen auf, musterte mich irritiert und versuchte, sich zu entziehen, doch ich ließ einfach nicht los. Mael trat an ihre andere Seite, folgte meiner Geste und drückte aufmunternd ihre andere Hand. Entschlossen sahen wir auf sie hinab und gaben ihr damit zu verstehen, dass wir für sie da waren.
Sie lachte, erst spöttisch, dann hörbar unangenehm berührt. »Seid ihr jetzt vollkommen irre? Was soll das?« Ihre Stimme zitterte und erneut versuchte sie, sich loszumachen. Wir aber hielten sie fest, die ganze Zeit, während Umi die Wunde vernähte, und ließen sie nicht los.
»Du wirst nie wieder allein sein.« Ich meinte es ernst.
Читать дальше