Da beschlossen sie, einen Beamten im Krankenhaus vor der Zimmertüre bei Frau Haas zu postieren, falls der Ehemann irgendwie den Aufenthalt seiner Frau herausfinden konnte und ihr tatsächlich nach dem Leben trachten sollte, aus welchem Grund auch immer. Die Fahndung nach ihm war jedenfalls bisher völlig ergebnislos verlaufen. Später stellte sich die Vorsichtsmaßnahme auch als überflüssig heraus. Andererseits hatte sie auch etwas Guten, denn der Wachmann vor der Türe konnte zur gegebenen Zeit schnelle Notizen machen, die alle bisherigen Recherchen über den Haufen warfen.
Weiterhin suchte die Kripo in den Papieren der Familie Haas nach irgendwelchen Anhaltspunkten einer neuen Arbeitsstelle des Herrn Haas oder nach Verwandten. Schon alleine des Kindes wegen musste sich jemand finden lassen. Susanne Schnells erklärte sich zwar vorläufig bereit, die kleine Nachbarin in ihre Obhut zu nehmen, dies konnte jedoch nur eine vorübergehende Lösung sein. Susanne war es gelungen, Rosi durch liebevolle Zuwendung abzulenken von ihrem erlebten Grauen, wobei das Kind irgendwann erklärte: „Richtig heiße ich Rosanna, aber Papa sagt immer Rose. Ihr dürft aber Rosi sagen, wenn Mama gut gelaunt war, sagte sie das auch zu mir.“
Mal abgesehen von den Worten: ‚Wenn Mama gut gelaunt war‘, sprach Rosi in Vergangenheitsform von ihrer Mutter, also dachte sie immer noch ihre Mutter sei tot? In ihre Erinnerung mischte sich offensichtlich auch älter Erlebtes mit dem vom Tattag. Da zeitlich nichts übereinstimmte, konnte der Au-Schrei ihres Vaters sowieso nur von einem anderen Tag in ihrer Erinnerung existieren, sofern man das fehlende Auto bedachte. So jedenfalls stellte es sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt dar.
Sonntagmittag erwachte Siglinde Haas endlich. Sie erkannte das Krankenhauszimmer sofort und war auch erstaunlicherweise augenblicklich hellwach. „Was mache ich hier, was soll das?“, schrie sie und begann fluchend zu randalieren.
Es war schwierig für die Krankenschwester, die erschreckt zu Hilfe eilte, die Patientin zu halten und sie rief lautstark nach ihrer Kollegin und dem Arzt. Der herbeieilende Stationsarzt warf nur einen Blick auf die verworrene Situation und ordnete an, noch mal ein starkes Mittel zur Beruhigung der Infusion beizugeben. Dies hörte Frau Haas und bevor es dieses Mal dazu kommen konnte, riss sie sich die Kanüle aus dem Arm, womit sie sich zusätzlich selbst verletzte. Zwei Schwestern hatten alle Hände voll zu tun, um die neue Blutung zu stillen und gleichzeitig die sich wie wild gebärdende Patientin zu bändigen.
„Weg da, geht weg“, keifte Frau Haas, „ich will nach Hause, ich muss zu ihm. Diesmal mache ich endgültig Schluss, jetzt ist es aus mit ihm!“
Der Polizist, er stand in der offenen Türe, notierte das eifrig auf seinem Block, drückte gleichzeitig die Kurzwahltaste auf seinem Handy fürs Kommissariat und leitete damit live dieses Spektakel an die einzig richtige Stelle weiter.
Der Arzt machte kurzen Prozess. „Los, wieder fixieren!“, rief er ärgerlich. Worauf Frau Haas gewaltsam ins Bett gedrückt und durch einen breiten Gurt festgehalten wurde. Im Augenblick gab es nur diese eine Möglichkeit, um sie vor sich selbst zu schützen. Das durfte sie sich nun selbst zuschreiben. Außerdem, ihre Drohungen konnten sich eventuell auch ganz schnell hier auf das Krankenhauspersonal ausweiten, denn rasende Menschen haben bekanntlich eine ungeahnte Kraft! Dennoch, trotz ihrer jetzt eingeschränkten Bewegungsfreiheit schrie und tobte sie völlig außer Kontrolle weiter. Laufend brüllte sie die fast identischen Worte: „Lasst mich nach Hause, ich muss zu ihm! Jetzt ist endgültig Schluss mit ihm“ oder auch, „ich mache ihn fertig, diesen Nichtsnutz!“
Der Versuch, dieser wütenden Patientin Haas keine weiteren Beruhigungsmittel zu verabreichen, war damit fehlgeschlagen. Die Kommissare mussten sich weiterhin gedulden. Wenigstens schaffte man es nun auf diese Weise, ihr erneut ein Mittel zu spritzen, welches sie innerhalb weniger Sekunden außer Gefecht setzte. Die neue Wunde am Arm, ebenso die erneut blutende Wunde im Nacken wurden versorgt.
Diese derartig heftigen Worte, von Frau Haas hinaus geschrien, ihr dringendes Bedürfnis sofort nach Hause zu müssen um Schluss ‚mit ihm‘ zu machen, sorgten für eine sofortige Wende in der polizeilichen Untersuchung. Mit den aus ihren harten Worten resultierenden Infos, brachte jetzt der vor Ort postierte Beamte, unkompliziert und direkt zum Mithören über sein Handy, völlig neue Überlegungen ins Rollen. Ganz unvermittelt entstand ein vollkommen anderes Bild.
„Sag mal Hans“, sprach die Kommissarin ihren Kollegen an. „Dieses Hackmesser wurde doch neben der Terrasse gefunden, nahe der Stufen, die in den überwucherten Garten führen. Was, wenn es nicht weg geworfen wurde, wie wir es bisher annahmen, sondern, was weiß ich wie sie das Beil an sich gebracht hätte, irgendwie? Nur mal so angenommen, der Krach in der Küche ging draußen weiter, sie erwischte ihn, ließ das Ding fallen, konnte trotz ihrer Wunde auch wieder bis in die Küche gelangen, ehe sie umkippte. Die Finger- und Handabdrücke waren doch teilweise verwischt! Die Spurensuche hätte in das Gestrüpp ausgedehnt werden müssen, Hans! Das haben wir versäumt!“
Löffler versuchte den Gedanken seiner Kollegin zu folgen. „Du meinst, wenn die Frau unbedingt nach Hause will um mit ihm Schluss zu machen? Wie meint sie das denn? Und was heißt, ihn fertig machen? Mein Gott, wo ist denn der Mann? Er wird am Ende stärker verletzt sein, wie wir dachten und gar nicht das Weite gesucht haben! Hat sie ihn da an der Treppe erwischt? Aber da waren doch keine Blutspuren! Und die Frau, woher hat sie die Wunde? War er das wirklich? Verstehe ich nicht! Oder, wenn du Recht hast, konnte er durch das Gebüsch davonkommen? Ohne Blutspuren? Vielleicht war seine Wunde auch nur oberflächlich und deshalb gab es keine Spur? Aber das Auto? Wo zum Teufel ist dieses verdammte Auto hin? Ist er durch die hinter dem Grundstück liegenden Wiesen damit abgehauen, oder stellte er irgendwo vorher das Auto ab?“ Kommissarin Schneider sah ihren Kollegen Löffler an, kam ihnen gerade der gleiche Gedanke in den Sinn? Wortlos legten sie ihre Halfter mit Waffen an und rannten los.
„Tobias, wir brauchen Verstärkung, auch noch mal die Spusi und den Arzt, wir sind in der Bergstraße 4 bei Haas, es gibt neue Erkenntnisse!“ Löffler rief es im Hinauseilen einem weiteren Kollegen zu. Der wusste was in solchen Fällen zu tun war und würde sofort alles Nötige veranlassen.
„Wo ist Wolfgang?“ Kommissar Löffler sah sich um, und als er den Jungen am Getränkeautomat sah: „Aha, los zieh deine Jacke über, komm mit! Kannst noch was lernen!“ Ja, er wollte den jungen Anwärter vom Kommissariat dabeihaben und es sollte sich später auch noch herausstellen, dass genau diese Anordnung als besonders wertvoll bezeichnet werden konnte.
Diesmal schalteten sie Blaulicht und Sirene ein, erschreckten damit die gesamten Bewohner der Siedlung. Spätestens mit Eintreffen weiteren Einsatz- und dem Notarztwagen sammelten sie sich auf der Straße. Selbst die beiden ältesten Herren, Schmitz und Scholz, standen dabei. Aufgebrachte, teils hörbar verärgerte Stimmen waren zu hören. Manche Leute wirkten auch irgendwie verschlafen. Nachbarn, die sich bisher nur wenig kannten, sie redeten nun mit einander, erlebten Gemeinsames, zumindest reichte es aus, bis zur allgemeinen Empörung. Sensationshungrig vermutete ohnehin jeder etwas Anderes oder glaubte gar zu wissen, was Sache war. Die Satz- und Wortfetzen schwirrten nur so durch die Gegend. Doch eigentlich fühlten sie sich mehr in ihrer gewohnten Sonntagsruhe gestört, das erkannte man nun deutlich aus etlichen verärgerten Bemerkungen: „Was machen wir eigentlich hier?“ – „So was gab es hier noch nie!“ – „Diese unmöglichen Haas!“ – „Verkommene Leute, ein Schandfleck in der ganzen Siedlung!“ – „Immer ist es nur dieses Haus.“ – „Dreckiges Pack!“ – „Die wollen Ökos sein? Seht euch den Garten an, dann wisst ihr alles.“ – „Ökos? Eher Schlamper, denkt mal wie es im Haus ist, da stinkt es doch wie die Pest!“
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