Immer noch gedanklich etwas abgelenkt, deckte sie den Tisch. In der Pfanne brutzelte das Fleisch und jeden Moment konnte … Da fiel mit einem lauten Krachen die Haustüre ins Schloss. Michael – ach du liebe Zeit, was war ihm denn jetzt schon wieder in die Quere gekommen?
Im nächsten Moment flog die Küchentür auf, der Schulranzen wurde unsanft abgestellt und Michael flappte sich stumm auf die Bank hinter den Tisch. Es war deutlich sichtbar, irgendetwas musste ihn restlos verstimmt haben. Beide Ellenbogen auf den Tisch und den Kopf zwischen die Hände gestützt ging sein finsterer Blick unter den Augenbrauen durch zu seiner Mutter.
Sie sah ihn prüfend an, das kannte sie ja, dieses plötzliche Aufbrausen, welches zum Glück genauso schnell auch wieder abflaute. Warum nur ließ er sich immer derartig aus der Fassung bringen? „Also, Micha – was ist? Sag schon!“
„Mama, da saß gerade einer am Steg und angelte.“
„Und, du hast ihn gefragt, ob er nicht lesen kann, oder?“
„Ja Mama, hab ich, genau das habe ich zu ihm gesagt, ganz genau so, aber er hat ganz verdutzt rumgeguckt und zurück gefragt, von was ich eigentlich sprechen würde.“ Und dann schlug Michael mit der Faust auf den Tisch. „Mama, unser Schild ist weg! Weg! Es liegt auch nicht im Gras oder Schilf, falls du das meinst, es ist weg, verschwun-den!“
Susanne überlegte, das letzte Mal waren sie im Herbst, etwa Ende November am Fluss gewesen, jetzt war April bald vorbei und sie fragte: „Micha, denk mal nach, im Herbst war doch noch alles in Ordnung, das Schild stand und es war auch nicht wackelig. Und neulich, als du am Steg unser Uferstück bereinigt hast, stand es denn da noch? Und die anderen Hinweise am Parkplatz, waren die auch noch da?“
„Ja klar! Alles war wie immer. Nee Mama, das ist nicht umgefallen, überleg mal, dann müsste es doch irgendwo liegen. Nein, nein das hat jemand verschwinden lassen, mit Absicht!“
„Wozu denn? Welchen Zweck soll das denn haben? Oder, es soll nur ein Streich sein, von Jugendlichen oder so.“
„Mensch Mama – meinst du, die kommen aus dem Ort, laufen fast einen Kilometer, nur für ein Verbotsschild verschwinden zu lassen? So’n Quatsch! Und dann geht auch noch jemand hin und angelt? Rein zufällig oder wie? Das ist doch gewollt!“
Schon komisch, ja . Michaels logischer Gedankengang war nicht vor der Hand zu weisen. Angeln konnte man schließlich am ganzen Fluss entlang, wenn auch nicht so bequem wie vom Steg. Möglicherweise steckte System dahinter. „Sag mal Michael, kanntest du denn den Mann? Ich meine den Angler, und wie hat er reagiert?“
„Genau so sauer wie ich! Er hat seinen Eimer mit den drei gefangenen Fischen in den Fluss gekippt, seine Angel zusammen geräumt, sorry gemurmelt und ist durch den Pfad zurück zum Parkplatz gestampft. Da stand nämlich ein Jeep, der gehörte ihm bestimmt, würde zu ihm passen. Und nein, den hab ich noch nie gesehen.“
Susanne hörte schon nicht mehr so richtig hin und überlegte laut: „Dann werde ich wahrscheinlich nicht drum herum kommen ein neues Verbotsschild zu kaufen, gehe morgen mal in Bergers-Markt .“ Sie sah ihren Sohn an und schlug vor: „Wir sollten aber vielleicht trotzdem erst mal nachsehen, ob die Schilder am Parkplatz noch einwandfrei zu lesen sind oder inzwischen durch Sträucher verdeckt werden. Zu blöd, dass es immer wieder Leute gibt die mein und dein nicht unterscheiden können. Wie sieht es denn überhaupt aus, müssten wir nicht längst wieder die wilden Gewächse schlagen und zum Verbrennen sammeln?“
„Dazu ist es jetzt zu spät, oder zu früh, Mama. Erst müssen die Enten und Vögel flügge sein, die letzten ihre Nester verlassen haben. In fünf oder sechs Wochen geht das frühestens. Bis zum Steg ist alles sauber und der Pfad ist frei, jedenfalls bis hinterm Parkplatz, weiter hab ich mich natürlich nicht umgesehen, konnte ja nicht ahnen was da auf uns zukommt. Es eilt also nicht.“
„Was? Wer hat denn das Stück Pfad sauber gemacht, und sogar hinter Schmitz? Die doch ganz bestimmt nicht“, sagte Susanne erstaunt.
Michael hob die Schultern. „Wenn wir das wüssten Mama, dann wüssten wir wahrscheinlich auch, wer das Schild geklaut hat!“ Auch wenn er vorläufig noch nicht so recht den Sinn dafür erkennen konnte, außer vielleicht: Wegen unerlaubtem Angeln? Wofür sonst? Eines war ihm vollkommen klar: „Unser Schild ist geklaut! Glaub‘s mir, Mama.“
Susanne hielt das von ihrem verstorbenen Mann so geliebte Endgrundstück am Fluss hoch in Ehren, auch wenn sie sich seit Jahren eher selten dort aufhielt. Da waren so viele Erinnerungen, die sie immer noch traurig stimmten. Ich muss mich endlich wieder kümmern, nicht alles Micha überlassen , entschloss sie sich und schüttelte den Kopf, welch ein verrückter Tag .
Damals, als die Gemeinde das breite Flussufer den wenigen anliegenden Grundstückbesitzern zum Kauf anbot, griff Mark Schnells sofort zu, das kam ihm vor wie gesucht und gefunden. Ein Stück eigener Fluss, die Füße hinein baumeln lassen und angeln. Sogar das Stück hinter dem Weber-Besitz kaufte er mit, denn die allein stehende Frau Weber sah keine Verwendung dafür. Im Gemeindebüro begrüßte man es, dass in der abseits gelegenen Kleinsiedlung Bergstraße Interesse für die Uferstücke bestand. Es wurde sogar an der etwa 900 Meter langen, sich windenden Wiesen- und Ackerstrecke unmittelbar am Fluss entlang, ein Fußweg eingerichtet. Allerdings entwickelte der sich inzwischen mehr und mehr zu einem Trampelpfad. Und damit dieser Weg nicht nur von den Anliegern genutzt werden konnte, wurde an der Straße ein kleiner Parkplatz geebnet, direkt angrenzend an das Anwesen der Familie Schmitz. Es gab damit nicht nur für Anlieger die Möglichkeit, entlang dem Fluss die Haupt-Ortschaft fußläufig zu erreichen, sondern auch für Jedermann, Ausflügler oder Spaziergänger. Der Parkplatz wurde zwar nur grob mit Schotter aufgefüllt, er war auch schon längst mit Gras und Moos überwuchert, aber das störte die seltenen Besucher, ebenso Angler und Schwimmer, die ab und an von außerhalb gerne diese Möglichkeiten nutzten, nicht. Hinweisschilder am Parkplatz zeigten mit Pfeilen den nach rechts führenden Fuß- oder Spazierweg in den Ort. An dieser gesamten Strecke war Angeln erlaubt. Ebenso auch an einer besonders seichten Stelle das Baden. Der nach links zeigende Pfeil kennzeichnete die Privatgrundstücke, mit zusätzlichem Vermerk: Kein Durchgang! Obwohl dies sehr deutlich angezeigt und erkennbar war, kam es in den ersten Jahren oft vor, dass Fremde neugierig auf den privaten Uferstreifen herumliefen, sogar mehrmals bis in die Gärten vordrangen. Herr Schmitz Senior war darüber mehr als verärgert, er grenzte kurzerhand sein Doppelgrundstück bis an den Pfad mit einem Wildzaun ab. Das Schmitz-Grundstück war besonders betroffen gewesen, denn einige Male muteten Plünderer seinem Garten Besuche zu, hinterließen nicht nur ihre Spuren, sondern ließen wie selbstverständlich einiges mitgehen. Zusätzlich befestigte er noch ein kleines Schild an diesem Drahtzaun, nur mit dem einzigen Wort „ privat“dick und fett gedruckt. Danach wurde es etwas besser. Es gab zwar leider noch vereinzelt unverschämte Menschen, die es auch weiterhin nicht schafften anderer Leute Eigentum zu achten, doch weiter wie zum Grundstück der Schnells führte der Pfad ohnehin nicht und so glaubte man, irgendwann werde es hoffentlich uninteressant, die Privatgegend zu erkunden.
Mark Schnells Versuch, den Teil hinter dem Weber-Grundstück als Liegewiese urbar zu machen, schlug fehl. Die Schilf- und Binsengewächse, die hohen, harten Stauden waren stärker. Der Wildwuchs würde nie vollständig zu bremsen sein, aber das beabsichtigten sie auch nicht wirklich. Mark pflasterte mit Naturplatten einen Fußweg durch das gesamte Grundstück vom Haus bis zum Fluss, über den man bequem und trockenen Fußes direkt zum Ufer gelangte, oder umgekehrt. Am Ufer verankerte Mark den breiten Holzsteg, den er mit Michaels Hilfe selbst zimmerte und imprägnierte, der auf Stahlstelzen stehend bis in den Fluss hinein reichte. Als Mark noch lebte, beschäftigten sie sich fast jeden Abend und an den Wochenenden der wärmeren Jahreszeit hier oder ruhten sich einfach nur aus. Susanne fand zu ihrem Hobby zurück, nach langer Zeit. Sie malte wieder. Mark gefielen ihre Bilder, ihre Heidelandschaften. Irgendwann einmal fragte er sie: ‚Warum malst du nicht mal diese Landschaft hier?‘ Damals sagte sie lachend: ‚Vielleicht später, erst muss ich meine uralten Erinnerungen festhalten‘. Wie hätte sie ahnen sollen, dass Mark dieses in Aussicht gestellte Gemälde niemals solange er lebte würde sehen können. Mark liebte Susanne, aber: ‚Uralte Erinnerungen? Du bist gerade was über dreißig‘, war seine verständnislose Reaktion gewesen. Und Susanne konnte heute noch über ihren Realisten lächeln. Sie saß stundenlang an einem Bild und vergaß die Wirklichkeit. Der Realist Mark fand indessen die hohen Erlen, die Trauerweide mit tief herab hängenden Zweigen und die alte Birke mit dem inzwischen recht knorrigen Stamm, romantisch. In all dem entdeckte er mit der Zeit den Ausgleich zu seinem stressigen Architekten-Beruf. Das war sowieso ziemlich erstaunlich gewesen, wie unkompliziert sich dieser Stadtmensch der ländlichen Gegend so schnell anpassen konnte. Und doch, auch Mark empfand diese Neugierde verschiedener unhöflicher Leute nicht gerade lustig. Und eines Tages kam ihm der Gedanke, den unerwünschten Besuchen endgültig ein Ende zu bereiten. Umgehend ließ er in der Stadt ein Schild anfertigen, dessen Text jedem normalen Leser verständlich sein dürfte. So jedenfalls glaubte Mark.
Читать дальше