Brigitte Jünger
wurde 1961 in Köln geboren. Sie studierte Germanistik, Kunstgeschichte und Psychologie und arbeitet als Autorin und freie Journalistin für mehrere Rundfunkanstalten in Deutschland. Sie macht Hörfunkbeiträge zu Themen wie Musik, Kunst, Religion, Zeitgeschichte, Naher Osten und das Zusammenleben verschiedener Kulturen.
Seite 41: Reiner Kunze, rudern zwei. Aus: ders., gespräch mit der amsel
S.Fischer Verlag GmbH, Franfurt am Main 1984
ISBN 978-3-7026-5959-2
eISBN 978-3-7026-5960-8
1. Auflage 2021
Einbandgestaltung: b3k
© 2021 Verlag Jungbrunnen Wien
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Brigitte Jünger
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
Kapitel 47
Kapitel 48
Kapitel 49
Kapitel 50
Kapitel 51
Kapitel 52
Kapitel 53
Kapitel 54
Kapitel 55
Kapitel 56
Kapitel 57
Kapitel 58
Kapitel 59
Kapitel 60
Kapitel 61
Kapitel 62
Kapitel 63
Kapitel 64
Kapitel 65
Kapitel 66
Kapitel 67
Kapitel 68
Kapitel 69
Kapitel 70
Kapitel 71
Kapitel 72
Kapitel 73
Kapitel 74
Kapitel 75
Kapitel 76
Kapitel 77
Kapitel 78
Kapitel 79
Kapitel 80
Kapitel 81
Kapitel 82
Kapitel 83
Kapitel 84
Kapitel 85
Kapitel 86
Kapitel 87
Kapitel 88
Kapitel 89
Kapitel 90
Kapitel 91
Kapitel 92
Kapitel 93
Kapitel 94
Kapitel 95
Kapitel 96
Kapitel 97
Kapitel 98
Kapitel 99
Kapitel 100
Kapitel 101
Kapitel 102
Kapitel 103
Kapitel 104
Kapitel 105
Kapitel 106
Kapitel 107
Kapitel 108
Kapitel 109
Kapitel 110
Kapitel 111
Kapitel 112
Kapitel 113
Kapitel 114
Kapitel 115
Kapitel 116
Kapitel 117
Kapitel 118
Kapitel 119
Kapitel 120
Nachwort
Felix war der Letzte, der das Schwimmbad verließ. Er rannte die Treppen zum Ausgang hinunter, nahm immer zwei Stufen gleichzeitig. Die schwere Glastür fiel mit einem lauten Knall hinter ihm ins Schloss. Da hatte er die Straße schon erreicht, schlug nach wenigen Metern einen Haken nach rechts und bog unmittelbar danach in die nächste Querstraße ein. Niemand weit und breit! Waren sie alle schon weg? Felix wunderte sich nur kurz, denn im nächsten Moment fuhr der Bus, auf den er sonst immer warten musste, in die Haltestelle ein. Ungeduldig starrte er auf die sich langsam und ächzend öffnende Fahrzeugtür, sprang hinein und stürmte sogleich nach hinten durch.
„He, Freundchen! Fahrausweis?“
Felix stoppte abrupt, kramte seinen Schülerausweis aus der Jackentasche und ging zurück nach vorne.
„Auch wenn’s die letzte Fahrt ist, umsonst ist der Tod“, sagte der Busfahrer, warf einen kurzen Blick auf Felix’ Ausweis und nickte dann, weil alles okay war.
Die Letzte? Wieso die Letzte? Jetzt erst bemerkte Felix, dass der Bus leer war wie sonst nie. Er ließ sich auf einen Sitz in der letzten Reihe fallen und fühlte sich plötzlich merkwürdig ausgebremst. Vielleicht hätte er nach Hause laufen sollen. Jetzt saß er hier fest und kam sich vor, als hätte er das normale Raum- und Zeitkontinuum verlassen und wäre unvermittelt in eine andere Galaxie katapultiert worden. Alles fühlte sich anders und fremd an, und doch gab es auch hier einen Bus, den Fahrer, die blauen Sitze, die gelben Stangen und die grauen Haltegriffe, die von oben herunterbaumelten. Felix begann sie abzuzählen, sprang mit den Augen von Griff zu Griff, immer weiter nach vorne, wo es schwer wurde, die einzelnen Dinger auseinanderzuhalten. Waren das zwei oder war es nur einer, da rechts, fast beim Fahrer? Egal, Felix wanderte auf der linken Seite zurück, es kam nicht drauf an. Vierundfünfzig? Er startete seine Abzähltour noch einmal. In der Dämmerung nahm er die Felder, die draußen vorbeizogen, nicht wahr. Er zählte weiter, unterbrochen nur von der Stimme der Haltestellenansage, die ihn jedes Mal zusammenzucken ließ. Wieso war sie so viel lauter als sonst? Der Bus erreichte die nächste Ortschaft und der Fahrer schaltete in der Kurve einen Gang hinunter. Kein Mensch weit und breit. An der nächsten Haltestelle wurde der Bus nur langsamer, er hielt gar nicht mehr richtig an, denn kein Mensch wollte hinein oder hinaus. Lavendelweg. Nicht meine . Er hätte jetzt aussteigen können, um wenigstens das letzte Stück zu laufen, doch da gab der Bus schon wieder Gas. Zu spät. Lauter falsche Entscheidungen . Felix schaute aus dem Fenster und wünschte sich plötzlich, es würde immer so weitergehen, fahren, schauen, zählen. Ein Leben im Unterwegs, eingefroren auf drei unvermeidliche Tätigkeiten, die ihn zu einer neuen Spezies machten, einem komplett leeren Augenwesen, das ohne jeden Gedanken an ein Vorher und ein Nachher auskam.
Dahlienweg. Warum ist die Tonbandstimme heute nur so laut? Felix drückte schnell auf den Aussteigeknopf. Im nächsten Moment bremste der Bus und das zischende Geräusch der Türen schnitt ihm ins Trommelfell. Er ging ein paar Schritte, dann schrie die Amsel ihren Abendruf aus den Bäumen herüber, den sie der Welt bei einbrechender Dunkelheit hinterließ. Wer hat all die Geräusche so hochgetunt?
Felix bog in den Geranienweg ein und begann die Platten auf dem Gehweg zu zählen. Zufällig traf sein Blick das Straßenschild, und während er weiter zählte, kam ihm ein anderer Gedanke in den Kopf. Er erinnerte sich, dass er früher immer gedacht hatte, es hieße Geraniehnweg anstatt Gerani-enweg. Dabei war er damals schon im zweiten Schuljahr. Gerade hierhergezogen und neu. Mit hochgezogenen Schultern lief er weiter die stille Straße entlang. Dreiundsechzig . Die Einfamilienhäuser klebten aneinander wie Streichholzschachteln in der Verpackung. Typisch Vorort, verschlafene Ödnis. Er hatte schon damals gewusst, dass er sich nie daran gewöhnen würde. Nicht meine Entscheidung! Pah, selbst die Worte in seinem Kopf klangen lauter als sonst. Links tauchte der Magnolienweg auf. Diese bescheuerten Blumen . Felix begann von Neuem zu zählen, auch wenn er die Platten kaum noch richtig sehen konnte. Alles war besser, als an das Schwimmbad zu denken. Die Dusche. Vierunddreißig, fünfunddreißig, sechsunddreißig . Es kostete Mühe, aber es funktionierte. Noch vier Häuser, dann hatte er seine Schachtel erreicht. Sie lag fast vollständig im Dunkeln. Ein dünner Lichtstreifen aus dem Inneren bahnte sich seinen Weg bis zum Küchenfenster, das neben der Haustür lag. Mama saß vor dem Fernseher. Felix schloss vorsichtig die Tür auf und versuchte leise zu sein.
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