(1) Die erste Möglichkeit besagt, dass moralische Ungleichbehandlungen von Mensch und Tier nicht begründet werden können. Es gibt keinerlei moralisch relevante Abstufungen zwischen Mensch und Tier – zumindest mit Blick auf eine bestimmte Gruppe von Tieren. Welche Gruppe das genau ist (alle Säugetiere, alle Wirbeltiere usw.), kann sich je nach Moraltheorie durchaus unterscheiden. Eine solche Moraltheorie nennt man egalitaristisch (franz. Égalité, von lat. aequalitas, Gleichheit).
Insbesondere aus egalitaristischen Positionen ist ein Vorwurf gegen all jene erhoben worden, die sich der grundsätzlichen moralischen Gleichstellung von Mensch und Tier verweigern. Es handelt sich hierbei um den sog. Speziesismus-Vorwurf, den der australische Philosoph Peter SINGER populär gemacht hat. Damit ist eine Form der Diskriminierung gemeint, die immer dann vorgenommen wird, wenn das moralische Gewicht des Tieres lediglich aufgrund einer Spezieszugehörigkeit zugunsten des Menschen abgewertet wird. Für SINGER stellt die Spezieszugehörigkeit für eine moralische Berücksichtigung einen ebenso zufälligen wie trivialen Umstand dar wie die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Geschlecht oder einer bestimmten Ethnie. Zwischen Sexismus, Rassismus und eben Speziesismus sehen viele Tierethiker keinen Unterschied.
(2) Die zweite Möglichkeit besagt, dass innerhalb der Gruppe moralisch zu berücksichtigender Lebewesen eine begründbare Hierarchie existiert, was bedeutet: Es gibt durchaus die Möglichkeit, menschliches Wohlergehen stärker zu gewichten als tierliches Wohlergehen und es lässt sich trotz Miteinschlusses vieler Tiere in die Gemeinschaft moralisch zu berücksichtigender Lebewesen die Nutzung von Tieren zu menschlichen Zwecken rechtfertigen. Eine solche Position nennt man Hierarchismus.
Was hierarchische Moraltheorien nun zu leisten haben, ist die Angabe von Gründen für eine solche moralische Hierarchie, also für eine „Abstufung in Bezug auf die moralische Bedeutung“ (Rippe 2003, 410). Wie sich diese Begründungsversuche sortieren lassen, und ob auch die hier vorgestellten, die gegenwärtig Konsens sind, ausreichend differenzieren, darüber besteht durchaus Uneinigkeit.
Damit können wir den Überblick über die Positionen theoretischer Tierethiken für den Moment abschließen.
Systematik der Positionen theoretischer Tierethiken
2.2Positionen praktischer Tierethiken
Mit den praktischen Elementen der Tierethik sind jene gemeint, die unseren tatsächlichen Umgang mit Tieren im gesellschaftlichen Kontext verorten und konkrete gesetzliche Handlungsvorschläge unterbreiten. Dabei sind die Intentionen durchaus unterschiedlich: Geht es den einen um einen möglichst umfassenden gesetzlichen Schutz der Tiere vor Leid (Tierschutzethik), zielen andere auf die völlige Abschaffung jeglichen Tiergebrauchs ab, sei es sofort (Abolitionismus), schrittweise (Reformismus) oder auch ohne notwendigen Verweis auf Recht und Gesetz (Tierbefreiung).
Es gibt allerdings bei den Positionen praktischer Tierethiken ein ziemliches Durcheinander an Begriffen, was vor allem daran liegt, dass die Bezeichnungen Tierbefreiung, Tierschutz oder Tierrechte häufig synonym gebraucht werden. Das hat viele Gründe. Manche dieser Gründe liegen sicher in der Geschichte der jeweiligen tierethischen Bewegungen, also in einer Zeit, die noch keine uns heute bekannte Ausdifferenzierung an Positionen vorzuweisen hatte. Vor diesem Hintergrund ist eine klare begriffliche Unterscheidung unverzichtbar. Die folgende Gliederung soll daher ein Systematisierungsvorschlag für die vier grundsätzlichen Positionen praktischer Tierethiken darstellen.
2.2.1Die traditionelle Tierschutzethik
Das erklärte Ziel der traditionellen Tierschutzethik, die in den 1970er Jahren auch in Deutschland schnell an Gewicht gewann, war und ist, die rechtlichen Bedingungen, nach denen Tiere gehalten werden – sei es zu Nahrungs-, Forschungs- oder Unterhaltungszwecken – möglichst zu optimieren, um so etwas wie eine ‚artgerechte Haltung‘ zu erreichen. Der Grundgedanke ist dabei klar pathozentristisch, was bedeutet, dass die Leidensfähigkeit der Tiere als primäres bindendes moralisches Kriterium anerkannt wird: Im Vordergrund steht das Wohlbefinden der Tiere. Der traditionellen Tierschutzethik ist es um eine möglichst große Leidensfreiheit der Tiere zu tun.
Exemplarisch für diese Position sei der deutsche Philosoph MANUEL SCHNEIDER angeführt, der in seinem Aufsatz Über die Würde des Tieres (2001) zunächst dem Tier einen kreatürlichen Eigenwert zuspricht, es sogar mit einer Würde versieht und die Forderung stark macht, Tiere „um ihrer selbst willen als schützenswert“ (Schneider 2001, 233) zu achten, dennoch aber mit den Worten schließt: „Das Anerkennen eines Eigenwertes des Tieres verbietet uns keineswegs kategorisch jede Form der Instrumentalisierung und Nutzung von Tieren“ (Schneider 2001, 234). Als Begründung führt Schneider an, dass dann nicht nur „jede Form der Domestikation ein Frevel“ sei, sondern auch „höhere Maßstäbe als im zwischenmenschlichen Umgang“ angelegt würden, immerhin lebe auch die menschliche Gesellschaft von „wechselseitigen Indienstnahmen“ (Schneider 2001, 234).
Ähnlich argumentiert der deutsche Philosoph ROBERT SPAEMANN. In seinem Aufsatz Tierschutz und Menschenwürde (1984) richtet sich SPAEMANN ausdrücklich gegen Gewalt an Tieren und verweist auf ihre Schutzbedürftigkeit. Auch (die damals in Deutschland noch legalen) Tierversuche für die Kosmetikindustrie lehnt er hier entschieden ab. In seinen Forderungen indes geht es SPAEMANN aber nicht um eine moralische Gleichstellung von Mensch und Tier, er fordert vielmehr, dass die „Maßstäbe für das ‚unumgängliche Maß‘ an Leiden […] neu gesetzt werden [müssen], und zwar so, dass dieses ‚Nur-Leid-sein‘ des Tieres nicht den wesentlichen Teil seines Lebens definiert“ (Spaemann 1984, 79).
Im Prinzip ist die Grundhaltung der traditionellen Tierschutzethik vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) ideal ins Wort gegossen. Zum Thema Tierschutz heißt es dort: „Der Tierschutz ist als Staatsziel im Grundgesetz verankert und im Tierschutzgesetz grundsätzlich geregelt. Für das BMEL ist das Wohlergehen der Tiere ein wichtiges Anliegen. Das Ministerium entwickelt die bestehenden Vorschriften im Sinne des Tierschutzes stetig weiter“ (BMEL 1). Und zum Thema ‚artgerechte Haltung‘: „Für die deutsche Landwirtschaft sind Tierzucht und Tierhaltung wichtige Standbeine. Die Tiergesundheit ist dabei ganz zentral für das Wohlergehen und die Leistungsfähigkeit der Tiere. Dazu tragen sichere Futtermittel, die verantwortungsvolle Anwendung von Tierarzneimitteln und eine effektive Vorbeugung und Bekämpfung von Tierseuchen bei“ (BMEL 2).
Wir sehen, dass sich ungeachtet des Einsatzes für verbesserte Lebensbedingungen der Tiere an der Grundannahme, dass Tiere menschliches Eigentum sind und ihnen unter gewissen Umständen Leid zugefügt werden darf (etwa durch Tötung in der Nutztierhaltung), nichts ändern muss und im Übrigen auch nicht ändern soll. Die Rechtfertigung speist sich ja gerade aus der erstrebten nachweislichen ‚artgerechten‘ Haltung, ob als Nutz- oder Forschungstier.
2.2.2Abolitionismus
Was der Tierschutz in den Augen vieler Tierethiken nicht beantworten kann, ist die Frage, warum Tiere einen Schutz vor dem Menschen verdienen. Es fehlt der theoretische Unterbau, das Fundament, auf welchem wir schließlich die Praktiken der Nutztierhaltung plausibel als moralisch thematisieren dürfen.
Ein gängiges Konzept besteht darin, Tieren moralische Rechte zuzuerkennen. Zumeist basieren diese Rechte auf der Tatsache, dass viele Tiere ebenso wie Menschen empfindungsfähige Lebewesen sind, denen es besser oder schlechter gehen kann. Manche Tierethiken berufen sich in ihrer Argumentation auf hinreichende Ähnlichkeiten zwischen bestimmten Tieren und Menschen, um Tierrechte zu begründen. Andere sehen allein in der Empfindungsfähigkeit Grund genug, Tieren einen prinzipiellen Anspruch auf Leben und Unversehrtheit zuzuschreiben.
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