ca. 10 % bei schweren Organerkrankungen (Herzinfarkt, Malignome).
Eine mögliche genetische Ätiologie des Störungsbildes wurde explizit kontrolliert in einer Untersuchung von Goldberg et al. (1990) an eineiigen Zwillingen, von denen jeweils einer am Vietnamkrieg teilgenommen hatte. Die Autoren fanden eine Prävalenzrate von ca. 17 % unter den Kriegsteilnehmern im Verhältnis zu 5 % in der Vergleichsgruppe. Wurden nur diejenigen Zwillinge in den Vergleich einbezogen, die einem hohen Niveau von Einsatzstress ausgesetzt waren, so stieg die PTBS-Rate in der Untersuchungsgruppe auf das Neunfache der Kontrollgruppe an.
Grundsätzlich muss mit einer relativ breiten interindividuellen Variation bei der Verarbeitung potenziell traumatischer Situationen gerechnet werden. Wie die Zwillingsstudie nahelegt, bewegt sich der erbgenetisch determinierte Varianzanteil dabei innerhalb enger Grenzen. Umso wichtiger erscheint es auch unter präventiven Gesichtspunkten, dem differenziellen Verlauf der traumatischen Reaktion und den Bedingungen für ihren Übergang in chronische Verläufe, d. h. in den sog. traumatischen Prozess, verstärkte Aufmerksamkeit zu widmen ( Kap. 1.5und 1.6).
1.5 Prävention psychischer Erkrankungen nach Traumatisierungen
Traumatische Ereignisse werden von bis zu 84 % der Bevölkerung zumindest einmal erlebt (Lebenszeitprävalenz) (de Vries & Olff, 2009). Zu psychischen Folgeerkrankungen kommt es allerdings nur bei einer Minderzahl der Betroffenen. Selbst bei schweren Traumatisierungen wie Bürgerkriegen oder Vergewaltigungen, bleiben 50 % und mehr psychisch gesund (S3-Leitlinie PTBS; Flatten et al., 2011) ( Kap. 1.6).
Die Frage nach gesund oder krank hängt wesentlich mit der individuellen Konstellation vielfältiger Schutz- und Risikofaktoren zusammen, angefangen bei den Kontextfaktoren der traumatischen Situation (Bedrohlichkeit, individuelle Bedeutung etc.), biografischen Dispositionen, aber auch der Ressourcenlage der Traumaopfer (zur Bedeutung von Ressourcen siehe auch Kap. 3).
Gut ausgebildete Ressourcen können die Entstehung psychischer Erkrankungen nach Belastungen verhindern oder deren Folgen zumindest abmildern. Sie umfassen beispielsweise Kompetenzen wie die Aufmerksamkeits- und Impulskontrolle sowie Stressbewältigungs-(Coping-)Strategien, die Wahrnehmung und den Umgang mit Emotionen und Körperfunktionen, die Fähigkeit zum Umgang mit Anspannung (zum Beispiel durch Anwendung aktiver Entspannungstechniken) oder auch soziale Kontakte und Kompetenzen.
Insbesondere bei Einsatzkräften wie Polizei, Feuerwehr oder Bundeswehr, aber auch in bestimmten Berufszweigen (z. B. Lokführer) sind traumatische Erlebnisse ein mehr oder weniger vorhersehbarer Teil des Berufsbildes. Für die Ausbildung und Versorgungsplanung dieser Professionen ist daher die Berücksichtigung von Ansätzen für eine gezielte Prävention von Traumafolgestörungen eine besondere Chance. Die häufig vertretene Ansicht, dass eine wiederholte Exposition mit traumatischen Situationen zu einer Prävention im Sinne einer „Gewöhnung“ führt, hat sich nicht halten lassen. Eher muss dann mit einem Symptomanstieg als Ausdruck eines Kumulativeffektes gerechnet werden.
In den letzten Jahren wurde eine Reihe von Techniken aus ressourcenorientierten psychotherapeutischen Verfahren oder Methoden abgeleitet und für präventive Zwecke adaptiert.
Zudem wurden Wirksamkeitsstudien durchgeführt, deren Zahl allerdings im Vergleich zu Therapiestudien eher begrenzt und die Qualität zum Teil sehr wechselhaft ist, so dass auf diesem Gebiet nach wie vor ein erheblicher Forschungsbedarf besteht.
Im Mittelpunkt der durchgeführten Studien stand vor allem der Effekt von Vorbereitungs- und Ausbildungsmaßnahmen vor dem Eintritt einer Belastung (Primärprävention) sowie von Frühinterventionen zeitnah nach einem Ereignis (Sekundärprävention).
Auf das Thema Frühintervention wird im Kapitel 5.1 detailliert eingegangen.
Allgemeine Grundsätze der Primärprävention von Traumafolgestörungen
In den vergangenen Jahren wurde eine Reihe von psychosozialen Interventionen im Hinblick auf ihre Eignung für die Prävention von Traumafolgestörungen nach traumatischen Ereignissen untersucht (Zusammenfassung bei Skeffington et al., 2013); dazu gehörten:
Psychoedukation zum Thema Stress und Stressfolgen;
Stress- und Angstmanagement;
Entspannungstechniken;
Verbesserung von Coping-Strategien;
Wahrnehmung von Körperfunktionen, Emotionen und Gedanken;
Verbesserung von Aufmerksamkeits- und Emotionsregulation.
Im Regelfall werden diese Elemente insbesondere bei Einsatzkräften im Rahmen ihrer Ausbildung oder vor Beginn potenziell belastender Einsätze im Rahmen von Kleingruppen-Veranstaltungen vermittelt, um auch die positive Wirkung des Gruppenzusammenhalts (Kohäsion) zu nutzen und einen gegenseitigen Austausch der Teilnehmer zu fördern. Eine weitere Variante ist die Einbindung von Stressprävention in virtuelle, multimedia-basierte Simulationen von Einsatzgeschehen. Dabei werden einsatznahe Trainingssituationen eingespielt und die Anwendung von Präventionstechniken während der Situation geübt und nachbesprochen.
Spezielle Inhalte und Bewertung präventiver Ansätze
Psychoedukation ist ein verbreiteter Ansatz in der Primärprävention psychischer Belastungen. Sie beinhaltet die Vermittlung von Informationen zu möglichen Stressoren vor, während oder nach den antizipierten Ereignissen. Kernbestandteil ist dabei die Besprechung der individuellen Bedeutung von potenziell kritischen, einschließlich auch traumatischen Ereignissen für die betroffene Person, sowie von möglichen psychischen und körperlichen Reaktionen (Früherkennung) Ergänzend können auch die Erarbeitung von Bewältigungsstrategien und die Vorstellung professioneller Hilfsangebote im Falle von Belastungen oder Erkrankungen hilfreich sein.
Meist wird Primärprävention dieser Art in Vortrags- oder Seminarveranstaltungen durch einsatzerfahrenes, geschultes Personal angeboten. Zusätzlich empfiehlt sich aber auch die Anwendung von Broschüren oder Internet-Angeboten.
Beispielsweise hat die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung verfügbare Materialien in einer „Mediensammlung zum Thema Psychotrauma“ zusammengefasst, die im Internet unter www.dguv.dekostenfrei abrufbar ist.
Die Bundeswehr verfügt mit www.PTBS-Hilfe.deund www.angriffauf-die-seele.deüber zwei online-basierte Portale, die eine Vielzahl an Materialien bereitstellen, unter anderem auch einen Online-Selbsttest und einen Lehrfilm zum Thema PTBS Seit 2016 ist zudem eine App zu diesen Themen kostenfrei erhältlich („Coach PTBS“) (Zu den Einzelheiten siehe auch Kapitel 5.10).
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