6.1 Allgemeine Grundsätze der Begutachtung von Traumafolgestörungen
6.2 Spezielle gutachterliche Fragestellungen
Entschädigungsrecht
Strafrecht
Dienst- und Erwerbsfähigkeit
Ausländerrecht
6.3 Fragen zu Kapitel 6
Anhang
Weiterführende Internetadressen
Literatur
Sachregister
Hinweise zur Benutzung dieses Lehrbuches
Zur schnelleren Orientierung werden in den Randspalten Piktogramme benutzt, die folgende Bedeutung haben:
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Begriffserklärung, Definition |
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(Fall-)Beispiel |
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Literaturempfehlung |
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Informationsquelle |
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Forschungen, Studien |
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Fragen zur Wiederholung am Ende des Kapitels |
1 Einführung – Epidemiologie, Prävention und Pathogenese
Wie die verschiedenen somatischen Systeme des Menschen in ihrer Widerstandskraft überfordert werden können, so kann auch das seelische System durch punktuelle oder dauerhafte Belastungen in seinen Bewältigungsmöglichkeiten überfordert und schließlich traumatisiert, d. h. verletzt werden. Von dem was geschieht, wenn eine solche Verletzung eingetreten ist, oder was zur Heilung geschehen sollte, handelt eine psychologische und psychosomatische Traumatologie als Lehre von Struktur, Verlauf und Behandlungsmöglichkeiten seelischer Verletzungen und ihrer Folgen.
In einer ersten Arbeitsdefinition kann ein psychisches Trauma daher als seelische Verletzung verstanden werden (von dem griechischen Wort Trauma = Verletzung), wobei zentral ist, dass diese von außergewöhnlicher Bedrohung ist oder ein katastrophales Ausmaß hat, das nahezu bei jedem tief greifende Verzweiflung auslösen würde.
1.1 Allgemeines zur Psychotraumatologie
Die Beobachtung, dass extreme Ereignisse ebenso extreme Reaktionen verursachen, ist bereits sehr alt. Gleiches gilt für die ersten systematischen Beschreibungen der Symptome, die nach traumatischen Erlebnissen auftreten, wie sie beispielsweise noch aus dem Ende des 19. und Anfängen des 20. Jahrhunderts von Beteiligten schwerer Unglücke, Soldaten der beiden Weltkriege und Überlebenden des Holocausts vorliegen. Es gab eine Reihe von Bezeichnungen wie Kriegs- oder Gefechtsneurose, Granatenschock („Shell Shock“) oder Kampfesmüdigkeit. Aber auch Opfer von sexuellen Übergriffen wiesen ein vergleichbares psychisches Störungsbild auf (Herman, 1993), und in ihren Beschreibungen finden sich die typischen Symptome, die noch heute als charakteristisch für Reaktionen auf traumatische Erlebnisse betrachtet werden:
ungewolltes Wiedererleben von Aspekten des Traumas, z. B. in Form von „Flashbacks“ (auch „Nachhallerinnerungen“; das plötzliche und häufig intensive Wiedererleben früherer Erlebnisse und der damit verbundenen Emotionen) oder Albträumen;
Anzeichen einer erhöhten Erregung, z. B. Schreckhaftigkeit und Schlafstörungen;
Vermeidung von Situationen, Gesprächen und anderen Reizen, die an das Trauma erinnern.
Hinzu kommt emotionale Taubheit, die sich in Interessenlosigkeit oder Entfremdung von anderen Menschen ausdrücken kann.
Im Jahr 1980 hat die Amerikanische Psychiatrische Gesellschaft die posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) in ihr Krankheitsklassifikationssystem (DSM-III) aufgenommen. Seit den frühen 1990er Jahren ist die Diagnose auch im Internationalen Krankheitsklassifikationssystem (ICD-10) der Weltgesundheitsorganisation vertreten. Inzwischen hat sich die Psychotraumatologie zu einer eigenen wissenschaftlichen Disziplin entwickelt.
Psychotraumatologie kann definiert werden als die „[…] Erforschung seelischer Verletzungen in Entstehungsbedingungen, aktuellem Verlauf sowie ihren unmittelbaren und Langzeitfolgen“ (Fischer & Riedesser, 2009, S. 392).
Zu den Meilensteinen neuer Disziplinen gehört die Gründung wissenschaftlicher Fachgesellschaften (im deutschsprachigen Raum z. B. das Deutsche Institut für Psychotraumatologie ( www.psychotraumatologie.de) sowie die Deutschsprachige Gesellschaft für Psychotraumatologie ( www.degpt.de), für internationale Fachgesellschaften siehe z.B. International Society for Trauma Stress Studies ( www.istss.org), European Society for Trauma Stress Studies ( www.estss.org) und Fachzeitschriften (z.B. Trauma ( www.asanger.de/zeitschriftzppm/), Trauma & Gewalt ( www.klett-cotta.de/zeitschrift/Trauma_Gewalt/7821), Journal of Traumatic Stress ( http://www.istss.org/education-research/journal-of-traumatic-stress.aspx).
1.2 Definitionen und Begriffsbestimmungen
Die Psychotraumatologie hat sich inzwischen ausdifferenziert in die Allgemeine und Differenzielle Psychotraumatologie sowie die Spezielle Psychotraumatologie.
Die Allgemeine Psychotraumatologie behandelt allgemeine Gesetzmäßigkeiten traumatischen Erlebens und dadurch bedingten Verhaltens, die Differenzielle Psychotraumatologie befasst sich mit interindividuellen und intersituativen Unterschieden und Dispositionen von Traumaerleben und -verarbeitung. Die Spezielle Psychotraumatologie ist auf typische Situationen ausgerichtet wie Gewaltkriminalität, sexueller Kindesmissbrauch etc.
Traumaspektrum
Durch die intensive Beschäftigung mit psychischer Traumatisierung seit einigen Jahrzehnten hat sich das Wissen inzwischen sehr vergrößert. So weiß man beispielsweise heute, dass es nicht lediglich die sog. Posttraumatische Belastungsstörung als Folgeerkrankung nach einem potenziell traumatischen Erlebnis gibt. Vielmehr kann man von einem „Traumaspektrum“ aus Störungsbildern sprechen, bei denen eine psychotraumatische Verursachung diskutiert wird oder bereits nachgewiesen ist (Kap. 2.4). Ihnen gemeinsam ist eine psychische Traumatisierung, die sich nach Fischer und Riedesser (2009, S. 395) wie folgt definieren lässt:
„Psychische Traumatisierung ist ein vitales Diskrepanzerlebnis zwischen bedrohlichen Situationsfaktoren und den individuellen Bewältigungsmöglichkeiten, das mit Gefühlen von Hilflosigkeit und schutzloser Preisgabe einhergeht und so eine dauerhafte Erschütterung von Selbst- und Weltverständnis bewirkt“.
Situationstypen
Heute zählen nach den Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachverbände (Flatten et al., 2011) zu den traumatischen Ereignissen:
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