Kurz nach neun kam sie. Sie trug einen Trainingsanzug und Turnschuhe und sah aus, als wollte sie joggen gehen oder als käme sie gerade von einer Laufrunde. In der Hand trug sie ein weißes Handy, das doch recht klobig wirkte.
„Tolles Teil!“, scherzte ich. Sie gab mir zu verstehen, dass dies das Babyphone sei, mit dem sie ihren Sohn überwachte. Der schlief nämlich bereits und sie lasse ihn ungern allein im Zimmer. Man wisse ja nie, was da so alles passieren würde. Sie brauche nur an die kleine Maddie zu denken, die aus dem Hotelzimmer der Eltern entführt worden war.
„Du siehst aber gut aus heute Abend!“, meinte sie dann. Ich merkte, wie mir das Blut in den Kopf schoss und der Schweiß auf die Stirn. Ich hätte vielleicht ein drittes Mal duschen sollen!
„Danke, du auch!“, antwortete ich verlegen. „Also wenn ich gewusst hätte, dass du dich so in Schale wirfst, hätte ich mich auch anders angezogen“, legte sie nach. Meine Verlegenheit stieg und stieg.
Sie bestellte sich einen Aperol Spritz und dann plauderten wir los über Gott und die Welt. Ich wollte sie ablenken, wollte ihren Blick und ihre Gedanken von ihrem Mann lösen. Das hatte ich mir vorgenommen. Wenn ich sonst schon nichts konnte, dann musste ich das versuchen. Das war ich ihr schuldig. Sie trank recht schnell und bestellte sich sogleich einen zweiten Aperol. Als wir miteinander anstießen, tauchte plötzlich Steve auf. Er war betrunken und sah drein wie ein niedergeschlagener, geprügelter Hund. Neben mir war Platz, er lehnte sich an die Bar.
„Verdammt, Rick ist sicher auf der Pirsch, oder?“ Ich musste ihm sagen, dass Rick schon längst aufgebrochen war. „Shit. Ich wär ja auch unterwegs, aber die Lina, die spinnt plötzlich rum. Das kannst dir nicht vorstellen!“ „Echt? Was ist los?“ „Na ja, sie zickt wegen dieser Wette. Ich solle sie bleiben lassen, ich stelle mich an wie ein Dreijähriger, ich breche ihr das Herz, wenn ich das mache. Das Schlimme ist ja, dass das bisher nie ein Problem gewesen ist. Wir hatten eine offene Beziehung, für mich war da immer alles offen.“ Ich klärte Sarah über die Wette der beiden auf, sie verzog ihren süßen Mund zu einem zaghaften Grinsen. „Diese Buben …“ Mehr war ihr nicht zu entlocken.
„Sie will mich jetzt nur für sich haben, ohne andere Frauen. Wie soll denn das gehen?“ Er schluchzte, trank sein Bier aus und schaute in Richtung Meer.
Sarah legte plötzlich los, auch sie hatte bereits das dritte Getränk in Händen und war hörbar leicht beschwipst. „Also, mein Mann kannte nur zwei Stellungen, alles andere war für ihn nicht zu machen. Und wenn er die zwei wenigstens beherrscht hätte, dann wäre ich ja glücklich gewesen. Oben, unten. Oben, unten. Und immer in der Reihenfolge, ich wusste ja schon, wenn er nur seinen „Ich hätte jetzt gern Sex“-Blick auflegte, was folgte. Er hat der Einfachheit halber den einzelnen Abwechslungen Nummern gegeben und nur mehr die Nummer angesagt. Weil er meist schon oben nicht mehr konnte, hat er sich das unten für die drei Tage später stattfindende Runde aufgespart. Alle zwei bei einem Mal hat er nur einmal geschafft, da hat er dann jahrelang von seinen Fähigkeiten geschwärmt. Und was ihr Männer für eine Obsession mit dem Blasen habt, konnte ich noch nie verstehen. Ist das so toll, so erfüllend, dass das alle immer wollen?“ Sie blickte mich an, ich riss die Augen auf, trat unmerklich einen Schritt zurück, wurde ganz rot und stotterte: „Na ja, ja, doch. Sicher, ist so.“ „Hallo? Diese Frau spricht so offen über Sex, da werde ich rot dabei. Wie soll ich denn diese Frage beantworten? Ich habe keine Ahnung.“
Steve hatte Sarahs Frage auch gehört und blickte sie nun sichtlich interessiert und alkoholisiert brünstig an. „Ja, das ist super!“, lallte er mit hörbarem Zittern in der Stimme. „Also meine erste Erfahrung damit machte ich mit siebzehn – auf einem Rockfestival. Da habe ich auch meine Unschuld verloren. Das Ganze hat, glaube ich, genau fünf Sekunden gedauert. Also das Unschuldverlieren. Das Blasen war dann einen Tag später.“ Er lachte, ich staunte. „Es ist anscheinend wirklich noch kein Meister vom Himmel gefallen.“ „Ich war fertig, bevor es richtig losgegangen ist. Mann, war mir das peinlich, aber das Mädchen war so betrunken, die hat das nicht einmal richtig bemerkt!“ „Mein Mann war auch oft schon ausgelaugt, bevor ich überhaupt wusste, was er von mir wollte“, krächzte Sarah, nur um dann von einem Moment auf den anderen zu weinen zu beginnen. „Das muss wirklich frustrierend sein!“, lispelte Steve. „Vielleicht kann ich dir ein wenig helfen?“ In meinem Inneren brach ein Sturm los, ich hätte dem Oberanimateur am liebsten meine Faust in die Zähne gerammt, ich herrschte ihn an, dass das jetzt aber so was von unpassend gewesen war. „Wieso?“
Oh Gott, der Besoffene checkte aber auch gar nichts mehr. Sarah stand auf, bedankte sich bei mir für die Drinks, die ich ja ohnehin nicht bezahlt hatte, und meinte in aller Ruhe zu Steve: „Damit du eines weißt, ich lasse mich auf keinen Fall in eure Wette einbauen. Auf keinen Fall! Verstanden?“ Da war der Krankenhauston wieder, mir lief eine Gänsehaut über den Rücken. Da möchte ich aber nicht unartiger oder lästiger Patient sein. Auch Steve verstand jetzt, gab klein bei und verabschiedete sich.
„Ich habe gesehen, dass du heute joggen warst. Hast Lust, mit mir morgen eine Runde zu drehen? Ich bin aber doch ein wenig außer Form, du wirst dich also zurückhalten müssen!“ Hatte sie mich wirklich gesehen? Das mussten meine guten Sekunden am Beginn gewesen sein.
Natürlich sagte ich zu.
Am nächsten Morgen trafen wir uns um acht, Sarah sah einfach zum Anbeißen aus in ihrem Fitnessdress, in kurzen Tights und mit einem hautengen Shirt. Mir lief das Wasser im Mund zusammen, leider war ihr kleiner Sohn dabei, der uns mit seinem Fahrrad begleiten sollte.
„Nein, mir macht das nichts aus, dass Max mit dabei ist.“ „Die Animateure sind um die Uhrzeit noch nicht im Dienst, sonst könnte er ja ein wenig spielen. Er hat aber versprochen, brav neben uns herzufahren. Nicht wahr, Max?“
Der Kleine nickte bockig und startete los wie Lance Armstrong in seinen besten Dopingzeiten. Sarah sprintete hinterher. Bis ich richtig verstand, was passierte, waren die beiden schon ein gutes Stück unterwegs. Mir gefiel ja der Ausblick auf Sarahs Hintern, aber ganz so weit zurück wollte ich auch nicht bleiben. Der kleine Max trat in die Pedale wie ein Fahrradprofi bei der Tour de France und war wohl gerade dabei, den Etappensieg in Alpe d’Huez zu holen, so strampelte er. Sarah sprang ihm locker hinterher, während ich schon nach wenigen Metern aus dem letzten Loch pfiff. Das war wohl nichts mit einem gemütlichen Lauf, bei dem wir uns unterhalten konnten.
Nach, so glaube ich, zwanzig Kilometern machten Max und Sarah eine Pause und ich wäre beinahe ins Koma gefallen.
„Mama! Der Mann ist aber sehr langsam. Nicht einmal Oma schnauft so, wenn sie laufen muss!“ Der kleine Bengel war ja ganz schön frech.
„Du läufst wohl nicht so oft, oder?“ „Na ja, nein. Habe gerade erst begonnen“, japste ich.
„Dann sollten wir lieber umkehren, denn mehr als fünf Kilometer werden wir dir nicht antun.“ „Fünf haben wir schon?“ „Nein, das waren jetzt circa zweieinhalb. Den Rückweg müssen wir noch addieren.“ Oh Gott, noch einmal diese Strecke.
„Komm schon!“ Sarah gab mir einen Klaps auf den Hintern. Das gab mir Kraft, sehr viel Kraft, und vor allem spürte ich wieder einmal mein Hirn in die Hüfte rutschen. Ihr knackiger Po bewegte sich vor meinen Augen auf und ab, hin und her – das war ein wirklich hypnotisierender Rhythmus. So sollte man immer laufen, so ein Lauf beruhigt alle Männerhirne in gewisser Weise. Obwohl das Wort beruhigen hier falsch ist, so ein Lauf lässt Männerhirne sich konzentrieren – auf eine Sache. Das ist noch besser als die Cocktails. So ein Lauf mit diesem Ausblick weckt in jedem Mann Mahatma Gandhi, da gäbe es keine Kriege, nur mehr Friede und Meditation. Vor Gandhi käme vielleicht noch Hugh Hefner, nein, sicher. Aber nach Hefner Gandhi. Unbestritten.
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