Oh Gott, ich langweile Dich sicher mit diesen Geschichten, es tut mir leid, Du hast ja selbst genug um die Ohren.
Genieße Deinen Urlaub, mach Dir nicht allzu viele Gedanken über den Freitag, vergiss ihn einfach.
LG, bis bald
Moni
PS: Ganz zufällig habe ich Fotos von Dir zu Gesicht bekommen. Ich will ja nicht meckern, aber weiße Pants wären besser gewesen … J
Während ich beim Lesen des Textes noch schmunzelte, schlief mir zum Schluss das Gesicht ein – wer hatte meine Fotos denn außer Herbert und seiner Frau noch zu Gesicht bekommen? Konnte ich zu Hause überhaupt noch auftauchen? Musste ich umziehen?
Schlimme Visionen von meinen Eltern, die in der Zeitung zu lesen und zu sehen bekamen, dass ihr Sohn wie ein am Bahnhof vergessenes Fahrrad mit aufgeklapptem Ständer vergebens auf die Abholung wartete, peinigten mich. Sollte ich es mit STS halten und irgendwann dort-, also hierbleiben? Und war dieses Irgendwann jetzt? Auch diese Entscheidung verlegte ich auf die kommenden Urlaubstage – mir würde schon eine Lösung einfallen – ich war ja beispielsweise auch noch niemals in New York gewesen, dahin könnte ich notfalls auch flüchten.
Sabrina oder Linda – was würde ich zuerst lesen? Linda musste noch ein wenig warten, sie war mir aber auch am wichtigsten.
Lieber Klaus,
ich kann gar nicht ausdrücken, wie sehr ich mich schäme. Dafür, was ich Dir angetan habe, dafür mich nicht sofort bei Dir entschuldigt zu haben. Es tut mir leid, es tut mir so wahnsinnig leid. Dass ich so viel – viel zu viel – getrunken hatte, verfluche ich seither, es lässt sich aber leider nicht mehr ändern.
Ich weiß, dass ich Dir nie wieder in die Augen schauen werde können, dass ich nie wieder Deinen Sinn für Humor bewundern werde können, ohne an meine Schandtat zu denken.
Vielleicht kannst Du mir irgendwann verzeihen …
Sabrina
Ich musste erst mal durchatmen, die Ereignisse dieser Nacht spielten sich wieder vor meinem inneren Auge ab. Es hatte sich anfangs so wunderbar angefühlt, so echt, so real. Ach was – vergiss es! Es hatte keinen Zweck, darüber auch nur einen Gedanken zu verlieren. Vergebene Liebesmüh. „Sabrina hat dir am Freitagabend gezeigt, was sie von dir hält. Verbringe deine Zeit mit und vergeude deine Gedanken an die genauso irreale, weil virtuelle Linda!“
Lieber Klaus,
Dein E-Mail hat mich zu Tränen gerührt! Wie können Menschen derart gemein sein? Ich habe mich als Frau für diese Sabrina geschämt – das nennt wohl sich fremdschämen, aber so wie sie Dich an der Nase herumgeführt hat, so schlimm bin ja nicht einmal ich in meinem Leben verarscht worden. (Und glaub mir, das ist mir nicht nur einmal passiert!)
Und dieser Didi …
Ich hoffe, Du kannst Deinen Urlaub trotzdem genießen; ich bin in Gedanken bei Dir.
Linda
Linda, Linda, Linda. Du verstehst mich. Du weißt, wie es mir geht. Du bist die Einzige.
Und Sabrina? Also Courage hat sie, denn so eine Entschuldigung zu schreiben, ist sicher auch nicht einfach.
Ich nahm einen Schluck aus der Flasche und musste feststellen, dass sie bereits leer war. Da musste das zweite Getränklein her. Ich wollte Linda antworten, aber mir fiel irgendwie nichts ein. Also trank ich erst mal – nach wenigen Minuten und Schlucken war das Fläschchen leer. Jetzt spürte ich die Müdigkeit aufsteigen, es war schon drei Uhr vorbei. Ich sollte wohl ins Bett gehen, ein wenig Schlaf würde mir nicht schaden. So raffte ich mich auf und schlurfte durch das einsame Hotel zu meinem Zimmer.
Ah – endlich konnte ich mich mal so richtig ausstrecken, mich ins Bett kuscheln und würde am Vormittag entspannt und nüchtern aufwachen. Das würde ein toller Tag werden, das konnte einfach nur so sein. Nach dem ganzen Scheiß in den letzten Tagen würde wohl auch für mich mal die Sonne aufgehen müssen.
Ich stand vor der Tür, versuchte den Schlüssel ins Schloss zu stecken, aber wie letzte Nacht schaffte ich es nicht. Rick? RICK! „Hat der mich auch heute Nacht ausgesperrt?“
Ich lauschte an der Tür. Zuerst hörte ich nur meinen Atem, aber dann war eindeutig ein Kopulationsgeräusch zu hören. Shit! Diese Wette ging mir jetzt schon auf die Nerven. Ich wollte in mein Bett und klopfte. Nichts. Ich versuchte es stärker. Keine Reaktion. Ermüdet und enttäuscht sank ich vor der Tür zu Boden und kuschelte mich in den Überwurf eines Sessels, der auf dem Gang stand. Ohne T-Shirt wurde es langsam ganz schön frisch.
Irgendwann wurde die Tür meines (!) Zimmers aufgerissen und eine blonde Schönheit stolperte über mich. Da wachte ich auf, hörte ihre Entschuldigung und krabbelte vollkommen betäubt ins Bett, in dem Rick sich breitgemacht hatte. Es musste sich etwas ändern! Dringend. Ganz dringend.
Als ich am Vormittag erwachte, war diese Idee in meinem Kopf. Sie war ja nicht zum ersten Mal erschienen, hin und wieder hatte sie mich bereits besucht. Aber heute sollte es so weit sein. Bisher war ich immer der EAV-Typ gewesen, der eine Änderung seines Lebens immer auf morgen verschoben hatte. „Ich wach auf am Nachmittag, der Sodbrand ist enorm. Ja, gestern war ich wieder groß in Form … Morgen, ja morgen fang ich ein neues Leben an! Und wenn net morgen, dann übermorgen …“, dröhnte es in meinem Kopf.
Aber heute würde ich es tun, heute würde ich mein Leben in die Hand nehmen, heute würde ich es endlich schaffen. Ich würde zum ersten Mal in meinem Leben joggen, laufen, rennen, leichtfüßig dahinschweben. Heute würde ich es tun. Das war doch viel einfacher, als Frauen zu erobern, fürs Laufen braucht man keine Frauen, das können Männer allein. Dafür muss man sich nicht einmal unterhalten, da ist man(n) nicht auf irgendwelche unvorhergesehenen Reaktionen der weiblichen Gegenseite angewiesen.
Da das doch die ursprünglichste Fortbewegungsart des Menschen ist, kann das jeder, also auch ich.
Ich sprang aus dem Bett, Rick beäugte mich gespannt, bevor er mir sein Handy vor die Nase hielt und rief: „Nummer 1! Magst schauen?“ „Danke, die blonde Schönheit ist über mich gestolpert, das reicht mir als Beweis. ‚Trivial Pursuit‘ wirst ja wohl nicht mit ihr gespielt haben, oder?“ Er lachte. „Wie wär’s mit Frühstück?“ Es war zehn Uhr vorbei, die Sonne strahlte vom Himmel. Nein, heute nicht, heute und jetzt werde ich laufen. „Nein, jetzt nicht. Ich gehe joggen!“, antwortete ich bestimmt. Diesmal schüttelte er sich vor Lachen. „Ja klar!“ „Du wirst sehen, dass ich das jetzt mache!“ „Na, der wird sich anschauen, wie ich am Strand vor den scharfen Bräuten auf und ab laufe wie Paavo Nurmi, wie ich meine Kilometer in den Sand stampfe wie die tschechische Lokomotive Emil Zátopek.“ Ich schlüpfte ins Sportgewand, zog meine Sportschuhe an, nahm meine Uhr und sagte gereizt: „In einer Stunde bin ich wieder da.“ Rick grinste. „Magst nicht vorher noch was gegen den Brand tun?“ Gute Idee – ein Glas Wasser sollte reichen.
Endlich vor der Tür, wandte ich mich in Richtung Strand und rannte los. Haile Gebrselassie konnte nicht schneller und ästhetischer unterwegs sein; so fühlte es sich also an, wenn man jegliche Bindung zum Boden verlor, wenn man schwebte. Das Gefühl der Freiheit setzte ja doch schon nach wenigen Metern ein. Was ich noch fühlte, war das Geschwabbel an meinem Bauch, aber was sollte das schon gegen das Runner’s High ausrichten? Am Strand war ich schon einigermaßen außer Atem, ich spürte, wie mein Kopf so richtig heiß lief. Es war ja wohl auch schon ein wenig heiß. Ich wandte mich nach links, bis zum Ende der Liegestuhlreihe lief ich, dann drehte ich um – es sollte nun bis zum anderen Ende gehen. Die erste Kehre erwischte ich wunderbar, aber der Weg zur zweiten erwies sich als unüberwindbar. Ich meine, wenn jemand schon mal am Strand gelaufen ist, der wird wissen, wie das ist, wenn jeder Schritt zur Qual wird, wenn der Atem pfeift und die Muskeln schmerzen. Ich war jetzt seit knappen fünf Minuten unterwegs und musste mich hinsetzen. Ich warf mich vor einer Familie auf den Boden und japste.
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