Stefan Paul
unschuldig, wenn du träumst
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Inhaltsverzeichnis
Titel Stefan Paul unschuldig, wenn du träumst Dieses eBook wurde erstellt bei
Prolog Prolog unschuldig, wenn du träumst von Stefan Paul Prolog Ich erwache, mein Gesicht ist nass. Ich habe genug von all den Träumen. Ich gehe an den Kleiderschrank und überprüfe, ob die Waffe geladen ist. Ich steckte mir den Lauf in den Mund und fühle die endgültige Kälte des Metalls. Ich setze mich auf das Bett, um nicht im letzten Moment noch zu stürzen. Dann drücke ich ab.
Der neue Flur
Das Alleinsein
Die Hoffnung
Der Abend
Die Farben der Liebe
Der Unfall
Die Verzweiflung
Die Angst
Der Tod
Das letzte Kapitel
Impressum
Prolog
unschuldig, wenn du träumst
von Stefan Paul
Prolog
Ich erwache, mein Gesicht ist nass. Ich habe genug von all den Träumen. Ich gehe an den Kleiderschrank und überprüfe, ob die Waffe geladen ist. Ich steckte mir den Lauf in den Mund und fühle die endgültige Kälte des Metalls. Ich setze mich auf das Bett, um nicht im letzten Moment noch zu stürzen. Dann drücke ich ab.
Der neue Flur
Lächelnd betrete ich meine neue Wohnung. Der Umzug ist gut verlaufen. Problemlos. Ein paar Menschen haben in ein paar Stunden nützliche Dinge transportiert und solche, an denen mir etwas liegt. Inzwischen sind alle gegangen, allein erkunde ich die noch wenig vertraute Umgebung. Den sechs Schritte langen Flur säumt eine Ballettstange. Auf der Reise vom Wohnzimmer in die Küche umfasst meine linke Hand das runde, raue Holz. „Linkerhand finden sie das geräumige Schlafzimmer, drei Schritte weiter auf ihrer rechten Seite erstreckt sich ein ozeanfarbenes Badezimmer mit Duschwanne.“ Welche Farbe hat noch gleich der Ozean?
Die Küche bietet ausreichend Raum für einen Tisch und zwei Stühle. Durch eine geöffnete Glastür betrete ich den Balkon. Er erstreckt sich über einen Meter weit in den mit Vogelstimmen gefüllten Innenhof. Auf dem Rückweg greift meine rechte Hand nach dem abgerundeten Holz. Es endet an der Tür zum Schlafzimmer. Vier Schritte weiter – ich befinde mich im Wohnzimmer - trifft mich ein wärmendes Sonnenlichtbündel. Ich finde einen Stuhl, auf den ich mich setze.
Am Winterabend meiner ersten Wohnungsbesichtigung schneit es stark. Der Weg zu ihr führt mich durch eine stille Welt voller Gedanken an Kindertage. Das Haus begegnet mir freundlich. Ich fühle mich in meinem zukünftigen Zuhause sehr behaglich. Meine Vormieterin erzählt mir leise Schneegeschichten. Eine Gänsehaut bildet sich auf meinem Rücken. Ihre Stimme klingt sanft und beruhigend, gern würde ich die Nacht mit ihr verbringen.
Das Wohnzimmer erscheint mir riesig. Es hallt darin wider, sobald ich Geräusche mache. Wahrscheinlich, so denke ich in meinem Kopf, wahrscheinlich kommt es mir nur so geräumig vor, weil ich zuvor ein winziges Zimmer bewohnte, durch das Busse und Lastwagen direkt hindurch fuhren: Lärm und Vibrationen verbreitend. An die Geräusche gewöhnte ich mich bald. Diese dumpfen Vibrationen jedoch, die einem durch alle Knochen fuhren, einen nachts aus den Träumen rissen und die vor einiger Zeit meine Nachbarin töteten, sie vertrieben mich letztlich. Ich bin natürlich nicht vollkommen sicher, dass die alte Frau von den Vibrationen getötet wurde. Ich weiß nicht einmal, ob sie wirklich gestorben ist. Aber wenn, so vermute ich, dann sicher an diesen unglaublich ungesunden Vibrationen.
Die neue Wohnung hingegen ist weder zu klein, noch ist sie in irgendeiner Weise, die ich wahrnehmen würde, unangenehm. Keine Vibrationen. Vor dem Haus führt eine schmale Straße entlang, in die hinein sich nur selten ein Lastwagen verirrt. Dies ist der ideale Ort für mein Vorhaben. Hier wird es in angemessenem Rahmen geschehen. Ich wähne mich in einer Umgebung voller Harmonie. Jede meiner Bewegungen geschieht entlang eines runden, glatten, warmen Holzkörpers, der zwischen den Räumen meiner neuen Welt eine Verbindung herstellt.
Während ich hier sitze, auf diesem Stuhl in der Geborgenheit meines Wohnzimmers, sehe ich mich auf einer Nussschale inmitten des Indischen Ozeans. Winzige, salzige Wellen treffen auf schweres, festes Holz und hinterlassen glockenhelle Töne. Bevor die Wellen vergehen, werfen sie das Licht der Sonne in meine Augen: grell, gleißend. Worte für eine Sinneswahrnehmung, die auf dem unscheinbaren Fischkutter an jenem Tag durchaus schmerzhaft gewesen sein mochte, die mir jedoch nun, da sie als Erinnerung wiederkehrt, ein jede Faser meines Körpers durchdringendes Wohlbehagen schenkt.
In der Nacht vernehme ich das Glucksen der geschmeidigen, verspielten Wellen noch deutlicher als am Tage. Wir angeln in der Dunkelheit, nur ein paar Taschenlampen durchbrechen sie manchmal. Unsere mit Fischabfällen beköderten Haken stellen, an lange Schnüre geknotet, den Fischen des Korallenriffs nach. Wir bewegen die Köder, indem wir die Angelschnüre durch das Wasser gleiten lassen. Auf und ab. Immer wieder. Gewitter grünlichgelber Lichtreflexe entladen sich inmitten eines schwarzen Ozeans. Sie werden von einzelligen Algen erzeugt. Mit offenem Mund staune ich über die Wunder dieser Welt. Das Leuchten entsteigt geräuschlos der vollendeten Finsternis. Unvermittelt ruckt etwas an meiner Leine. Jemand. Ein roter Zackenbarsch mit blauen Tupfen hat sich in meinen Köder verbissen. Der silberne Angelhaken steckt tief in einem stummen Maul voller scharfer Zähne. Der Fisch kämpft wild um sein Leben. Aber er verliert den Kampf, weil wir ihn essen wollen. So ist das Leben nun einmal. Und der Tod.
Während eines nächtlichen Tauchgangs beobachte ich die ehemaligen Mitbewohner des Barsches. Farbenfrohe Fische schwimmen träge zwischen sternförmigen Seelilien umher. Andere schlafen inmitten der Korallen, in einen Kokon aus Schleim gehüllt, der ihren Geruch überdecken und sie so vor den Angriffen der stets hungrigen Haie bewahren soll. Die Lebewesen erscheinen im Lichtkegel meiner Taschenlampe und sie verschwinden, sobald ich sie lösche. Mich fasziniert diese fremde Welt, in der ich schweben und sie dabei beobachten darf, wie sie funktioniert. Was kann es Schöneres geben? Meine stille Frage beantwortet sich nur einen Augenblick später: ich durchbreche die Wasseroberfläche und betrachte, auf dem Rücken treibend, Milliarden funkelnder Diamanten auf einem schwarzen Tuch aus Samt.
Wann war das geschehen? Wie war ich dorthin gelangt? Mein Zeitgefühl hat mich verlassen. Nur daran erinnere ich mich: ich habe diese Dinge zu einer Zeit gesehen, in der ich nicht allein war. Zu einer Zeit, während der ich gelebt habe. Vorher habe ich auch manchmal gelebt und auch danach, aber wirklich und dauernd am Leben war ich nur in der Zeit mit ihr gewesen.
Der Sonnenstrahl ist inzwischen fortgewandert und hat mich fröstelnd zurückgelassen. Durch die unkontrolliert über mich hereinbrechende Vergangenheit beunruhigt, will ich mich mit anderen Dingen beschäftigen. Ich ziehe es vor, den Erinnerungen zu entgehen. Nachdem ich einige Kartons geöffnet und wieder geschlossen habe, gehe ich durch die Räume der Wohnung und prägte mir alle Entfernungen genau ein. Dies wird die dominierende Beschäftigung meiner kommenden Tage sein: das Studium der wesentlichen Entfernungen.
An einem der folgenden Tage ergreift mich die Abenteuerlust und ich verlasse das Haus. Es sind vierzig Schritte bis zum Gemüsehändler, sechzig weitere und ich erreiche den Bäcker. Doch Achtung: nach dreiundvierzig Schritten habe ich eine Straße zu überqueren. So viel weiß ich bereits seit einiger Zeit. Elisa, die sanfte Vormieterin, hat mich einmal bis dorthin begleitet.
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