Paul Stefan Wolff
Hanna im Herzland
Zugang zur anderen Welt
Dieses ebook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
Titel Paul Stefan Wolff Hanna im Herzland Zugang zur anderen Welt Dieses ebook wurde erstellt bei
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Impressum neobooks
für Anne Galbur, geb. Wolff
1938 - 2018
für die Hundelady, die vor meinem Fenster ihren Hund Gassi führt 2017 - 2018
„Herzen stehen am Anfang des Weges des Blutes“, sagte die etwa 30jährige Frau. „Menschen und überhaupt alle Menschen denken wie der Kopf. Und für den Kopf ist das Blut einfach da. So sehen sie es mit der Liebe. Es ist da oder nicht da. Aber man sollte so denken, wie Herzen denken. Sie pumpen und sehen, es kommt schon dort an, wo es ankommen soll. Und zwar: überall. Denke, wie ein Herz, liebe und es wird ankommen: überall, wo der Weg frei ist. Meine Großmutter hatte einen Schlaganfall, das ist eine Venen-verengung im Gehirn. Dadurch kommt die Liebe nicht mehr überall hin. Du verstehst“, sie lächelte. „Diese Welt ist ein wandelnder Schlaganfall.“ Sie lachte. „Denke wie ein Herz, befehle der Liebe nicht, wo sie hin soll. Sie wird überall hinkommen, wo Menschen frei sind, es zu empfangen. Zwinge sie nicht, „Ich liebe dich“ ist das am meisten missbrauchte Druckmittel der Welt – ist so. Es unterstellt eine Erwartung. Wie „Verzeih mir“ ein Druck aufbaut, dass man verzeiht. Doch Verzeihen geht nicht auf Druck. Pumpe wahre uneigennützige Liebe rein – und das Organ wird funktionieren. Zu viele Menschen denken wie ein Organ, denken: Hilfe, kommt denn auch jetzt, und noch morgen genug Blut zu mir? Zu viele Menschen denken wie ein Organ. Denke du aber wie ein Herz, das ist schwer zu lernen, aber es ist der einzige Weg, um glücklich zu werden. Freue dich, dass du es bist, der den Laden am Laufen hält - und pumpe. Und manchmal, ja manchmal, kommt so etwas wie Dank. Aber mache dich nicht abhängig vom Dank, das ist schon wieder wie ein Organ denken. Schwer, sehr schwer. Aber machbar.“
So, jetzt bin ich schon mitten drin. Aber angefangen hatte es anders.
„Dieses Herz bringt mich noch um!“ stieß sie frustriert wie zu sich und rieb die rot erfrorenen Hände vorsichtig gegeneinander. „Jemand hat mich in sein Herz gelassen. Und heute habe ich die pure Eiseskälte erlebt.“ Ich sah sie ungläubig an.
Es war endlich warm geworden, am 5. März 2018, deutlich über 5 Grad Plus waren es. Sie jedoch kam mit warmer Wollmütze und einem warmen Wollmantel in die Bar herein und bibberte, als wäre sie direkt aus Nordsibirien gekommen. Sie bestellte mit heller Stimme – die mir sehr gefiel - einen sehr heißen Kaffee. Noch eine Viertelstunde später hatte sie Ohrenwärmer an, rieb sich immer wieder die Nase, immer mit der linken Hand, sagte zu mir, sie leide an der rechten Hand an Erfrierungen.
„Ich habe Angst!“ stieß sie hervor, an mich gerichtet.
„Es ist immer schwer einzuschätzen“, warf ich ein. „Kann man ein im Grunde gutes Herz retten? Oder sollte man sich selbst vergeben, weil man es nicht kann? Weil man für die Aufgabe nicht gut genug war.“ Ich wollte einen guten Einstieg finden und gab mich freundlich. Sie hatte wache große Augen, mag ich. Sie hatte einen Körper, genau in der Mitte von etwas Sport und etwas Rundungen. Wenn das Oberstübchen noch passte – wunderbar.
„Mir sind dort drei Finger erfroren, ich hatte dort den Handschuh noch nicht an.“ Sie zog ihn aus, die drei Finger Mittelfinger, Ringfinger und der kleine Finger hatten blaurote Farbe und sie hatten auch schon Blasen geworfen. „Die interessante Frage im Leben ist nicht die, ob etwas möglich ist oder nicht“, sagte sie. „Sondern die weitaus bessere und wichtigere Frage ist die, hast du alles gegeben? Ich wette, wenn du eine Umfrage machst unter 10.000 Leuten, die etwas nicht geschafft haben, dann werden 9980 davon zugeben, dass sie nicht alles gegeben haben. Man hat immer was Wichtigeres zu tun und anderes BlaBla. Erst, wenn du alles gibst, wirst du feststellen, ob da noch mehr geht oder nicht. Ich denke, viele, die was auch immer geschafft haben, haben erst wenig gegeben und hatten Misserfolg. Normal. Aber die Erfolgreichen haben dann MEHR gegeben, immer mehr sich gesteigert bis – ja, bis dann das Unmögliche doch möglich wurde. Und wir sollten uns dahin steigern, alles zu geben. Denn erst, wenn du alles gegeben hast, hast du inneren Frieden: - es ging eben nicht. Erst DANN!“
Ich war verdutzt. Was versuchte diese Frau schönzureden?
Ich musste nachhaken: „Was hat man Ihnen angetan?“, fragte ich. „Wer war das?“
„Sagte ich schon, das Herz...“
„Aber Sie müssen damit zum Arzt. Es darf nicht absterben. Sonst kriegst du eine Sepsis, Blutvergiftung. Die ist tödlich!“
„Nein“, sie winkte nonchalant ab. „Au! Das tut weh. Das Herz kann auch wieder heilen… Es wird geheilt werden, sobald ich wieder im Herzen bin. Da drin gibt es jemanden… Man muss schon etwas Einsatz bringen, wenn man in ein Herz hinein gelassen wird… Besonders als Frau. Männer sind so: ich verstehe die Struktur, Rest wird schon passen, eine Frau muss es sich erglauben, erweisen, halt erarbeiten. Das ist so weil Frauen mehr emotionales Wissen haben, und mehr Wissen führt zu mehr Zweifeln.“ Sie machte eine Pause. „Er hat beim Sex eine Kette nachgezeichnet, eine Art Perlenkette. Das ist, wenn ein Mann in einer Linie auf eher kürzerer Strecke ganz viele Küsse gibt, sie quasi in einer Linie gibt. Eher nicht abweichen, man will ja nicht die ganze Fläche küssen. Eine längere Kette von einzelnen Küssen. Am Hals, am Bauch, an den Oberschenkeln, nicht die ganzen Oberschenkel lang. Aber ein Stück. Am Oberschenkel hat er sogar zärtlich reingebissen. Aber am Hals, ich habe mitgezählt, 6 Küsse – der Hammer!“
Oh Gott! Meine Alarmglocken schrillten, nein, brüllten auf 182! Ich habe schon zu oft Frauen erlebt, die sich einen Beziehungsalptraum schönreden. Hatte es einen schönen Anfang gegeben – vom Mann inszeniert, er hat ihr nach dem Mund geredet – und danach, was war danach gekommen? Ich musste mehr herausfinden. Sie würde sich verraten, sie würde Hinweise auf den Mann – den Täter – geben. Es war besser, sie reden zu lassen, ihr zuzuhören. Und wenn ich ihr vielleicht helfen könnte, das wäre ein extrem guter Einstieg! Sie erzählte mir eines der verrücktesten Geschichten, die ich je gehört habe. Unglaubliches erzählte sie. Und ich bin immer noch auf der Suche nach dem Bruch in ihrer Logik – hilft mir da jemand?
Der sonnig-klare kalte Tag, an dem sie die Herztür gefunden hat, fing ganz normal an. Sie aß in der Frühe ihre Haferflocken, dem Tryptophan wegen. Tryptophan ist eine Vorstufe des Glückshormons Serotonin und ist eine essentielle Aminosäure, d.h. sie muss durch die Nahrung zugeführt werden. Ist viel drin in Haferflocken, Kakao, Cashew-Kerne, Walnüssen und Eiern, etwas in Fleisch. Man kann sie auch in der Apotheke kaufen, und selbst Wikipedia sagt, der Bedarf ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Sie arbeitete bei Schulz Öle. Die pressen natürliche Öle aus aller Arten von Samen, Kernen und Pflanzen. Sie war Assistentin der Geschäftsleitung, in einigen Firmen bessere Sekretärin, hier vertraut auch mit Intima des Geschäftsbetriebs. Und der Job war ein Sprungbrett, denn Schulz Öle wollte demnächst ein Verkaufsbüro in Paris eröffnen - eine Vertrauensposition. Und die Frau neben mir in dieser Bar konnte gut Französisch.
Es war jener Tag, als der Juniorchef von seiner Managerposition aus wasweißichwo zurückkam. Der hatte jahrelang nichts mit der Firma zu tun, wenig Zeit, außer für besondere Familienfeiern auf dem Familiengut weiter draußen. Wo Hanna, so hieß sie, natürlich nie dabei war.
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