1 ...8 9 10 12 13 14 ...18 Ich war zu verwirrt, um überhaupt irgendetwas zu sagen. War das Schaf jetzt doch nur gespielt gewesen? Langsam stand ich auf und machte mich auf den Heimweg. Das Shirt klebte an mir und das war unangenehm. Das Ganze war mir doch mächtig peinlich, nicht nur das Gespräch mit Lina, auch dass alle nun meinen ganz persönlichen Schwimmreifen bewundern konnten, behagte mir gar nicht. Aber ich war im Urlaub, also zog ich das T-Shirt einfach aus und warf es in den nächsten Mülleimer. So richtig gefallen hatte es mir ohnehin nicht.
Das hatte ich ja wieder einmal richtig gut hinbekommen – da konnte ich mir nur selbst gratulieren. Viel idiotischer geht es gar nicht. Ich trottete zurück zum Hotel, für heute hatte ich genug. Mein Frust hielt sich aber irgendwie in Grenzen, ich hatte auch nichts anderes erwartet. Ich war froh, dass in dem Klub um die Uhrzeit nicht mehr viel los war, denn meinen bauchfreien Caipirinha-Anblick wollte ich vor allem den Kindern ersparen. Vielleicht gab es aber an der Bar noch was? Es war ja erst knapp nach zwei. Nein, da waren schon alle Rollbalken heruntergelassen, nur neben dem Speisesaal brannte noch Licht. Diese Ecke war mir bisher noch nicht aufgefallen, das konnte auch daran liegen, dass ich bislang nur die Bar und den Speisesaal bemerkt hatte. Es war weit und breit niemand zu sehen, nur ein PC lief und eine Lampe brannte. INTERNET stand groß auf einem Plakat.
Das war doch eine Idee, das könnte ich doch noch machen. Ich könnte mich doch wieder einmal in den unendlichen Weiten des weltweiten Netzes verlieren. Nebenbei könnte ich auch nachsehen, ob Linda mir geschrieben hatte.
Neben dem PC stand ganz perfide ein Getränkeautomat und ich kratzte ein paar Münzen zusammen, um mir zwei Bier aus dem Gerät zu drücken. Warum hatte ich jetzt gleich zwei genommen? War ein Bier denn nicht auch genug? Warum musste ich denn jetzt überhaupt noch etwas Alkoholisches trinken?
Ähnliche Fragen hatten mich in letzter Zeit öfter durchzuckt, ich stand vor diesem Apparat und in mir kamen merkwürdige Erinnerungen hoch. Alle hatten mit dem Dämon Alkohol zu tun. Die EAV wusste, was Sache war. Die Macht dieses Dämons ist wahrlich groß, ich konnte auch darüber sprechen. Denn die Abende, an denen ich leicht bis mäßig illuminiert ins Bett stieg, konnte ich gar nicht mehr zählen; diejenigen, an denen ich auf dem Bett lag und zumindest ein Bein auf den Boden drücken musste, um den Drehwurm oder die Hubschrauberfahrt in meinem Kopf zu besiegen, gingen sicher auch in die Hunderte. Das waren aber wahrlich nicht die Highlights.
Zwei für mich beispielhafte Nächte fielen mir blitzartig ein und ich sah sie plastisch vor mir – zumindest das, woran ich mich noch erinnern konnte. Einmal war ich stockbetrunken nach Hause gewankt, hatte dabei eine Abkürzung durch einen Park genommen und war – die Hände tief in die Manteltaschen gesteckt – mit dem Gesicht auf den Schotterweg geklatscht. So richtig bemerkt habe ich das erst am nächsten Morgen, komischerweise haben mir alle die Geschichte vom Sturz mit den Inlineskates abgenommen. Es war doch recht einfach, wenn man als Tollpatsch durchs Leben stolperte. Nur meine Mutter war sofort dahintergekommen und hatte mir die Leviten gelesen, während mein Vater anscheinend aus Erfahrung berichten konnte, dass man bei einem solchen Nachhausemarsch niemals die Hände zu tief in die Taschen stecken dürfe.
Auch das zweite Erlebnis hatte mit meiner Mutter zu tun. Zumindest am Rande. Sie hatte mich nämlich mal um sechs Uhr früh im Blumenbeet vor der Haustür gefunden. Ich war in meinem Heimatdorf auf ein Fest gegangen, in meinem Zustand wohl gegen den Aufbau des Vordaches gekracht und hatte dann wohlig zwischen den Tulpen geschlummert. Während meine Mutter Tage brauchte, um sich vom Schock zu erholen, grinste mein Vater verstohlen – aber nur, wenn Mama nicht dabei war.
So konnte es doch nicht weitergehen, da musste sich doch was ändern, das war mir klar. Ich hatte mich ja ohnehin schon gebessert, Wodka trank ich nur mehr selten und meistens konnte ich mich sogar daran erinnern, was ich beim Fortgehen so alles von mir gegeben hatte. Ich war also auf dem richtigen Weg. Da war ich mir sicher. Ich nahm selbstzufrieden einen großen Schluck aus der einen Flasche (verdammt, schmeckte das heute wieder gut!), stellte die zweite neben den PC und startete den Browser.
Dreiundvierzig ungelesene E-Mails in nur zwei Tagen – wer vermisste mich denn da so sehr? Neununddreißig davon waren Werbemails, Spams und anderes Gerümpel, das ich sofort löschte. Die restlichen vier waren von Linda, Herbert, Moni und Sabrina. Sabrina? Welches sollte ich zuerst öffnen? Ich versuchte eine Reihung zu erstellen. Was war denn am unwichtigsten?
Herberts Mail – das würde ich zuerst lesen. Er hatte es auf meine Privatadresse geschickt, weil ihm wohl klar war, dass ich meine Firmen-Mailadresse nie wieder ansehen würde.
Lieber Klaus!
Ich habe Dein Kündigungsmail erhalten und sofort gelöscht. Denn diese Spielchen dürfen kein Grund dafür sein, dass Du meine Agentur verlässt. Findest Du mal einen Boss, der Dir das Dreifache bezahlt, dann lass ich Dich gehen, aber nicht wegen so etwas.
Didi, den Drahtzieher, habe ich wieder zum Plakatkleber zurückgestuft. Im Grunde war er nie etwas anderes. Er wird in den nächsten Monaten im Lande unterwegs sein und alle unsere Aufträge per Hand an die Wände pinseln. Das hat er verdient. Sabrina ist jetzt selbst im Urlaub, die wird auch noch ihr Fett abbekommen. Die Fotos habe ich Didi abgenommen, er hat sie ja mit einer Kamera der Firma geschossen.
Du brauchst Dir auch keine Sorgen darüber zu machen, dass viele oder gar alle diese Aktion mitbekommen haben. Ich weiß, dass sie den meisten nicht einmal aufgefallen ist.
Ich brauche Dich, meine Firma braucht Dich! Denke an die Kinder unserer Mitarbeiter, die durch Dein Ausscheiden vielleicht Hunger leiden müssen. Denn Du bist der beste Texter, den man finden kann. Also – ich zähle auf Dich.
LG Herbert
PS: Wenn Du in den nächsten Wochen lieber von zu Hause aus arbeiten möchtest, um ein wenig Gras über die Sache wachsen zu lassen, dann kannst Du das gerne tun. Eine Kündigung werde ich nicht akzeptieren! Die Käse-Trottel brauchen Deine Kreativität, und wir alle diesen Auftrag!
PPS: Schöne Grüße übrigens auch von meiner Frau. Die dauerschwätzende Ingrid, die ganz zufällig Deine Fotos entdeckt hat, meinte, dass Du eigentlich als Unterhosenmodell arbeiten solltest. (Fendrichs „Macho, Macho“ lässt grüßen!) Du weißt ja, dass sie in puncto Farben immer etwas auszusetzen hat. Sie mokierte, dass Du statt der schwarzen doch besser weiße Pants hättest anziehen sollen, das hätte, ich zitiere, „das Segel noch viel besser hervorgehoben“. Wir beide wünschen Dir noch einen schönen Urlaub. Vergiss alles, was davor geschehen ist, und komm erholt und frisch wieder.
Verdammt. Das war nicht gut. Nicht nur, dass der Typ anscheinend genau wusste, wie man mit mir reden muss; damit ich nicht kündige, hat seine Frau auch noch die Fotos von mir gesehen. Das war peinlich, einfach nur peinlich.
Es war ja irgendwie nett, dass Didi nun wieder mit Plakaten arbeiten darf, das war doch immer sein Traumjob gewesen. Und ich – der beste Texter, Mensch, der Typ konnte schleimen. Eine Entscheidung zu diesem Thema verschob ich auf die nächsten Wochen, im Urlaub hatte ich genügend Zeit, um über meine weitere Vorgehensweise nachzudenken.
Welches E-Mail sollte ich denn als Nächstes öffnen? Mir blieben Moni, Linda und Sabrina. Warum mir Sabrina wohl geschrieben hatte? Es juckte schon sehr in meinen Fingern, gleich genauer nachzulesen, aber ich hatte mich für Moni entschieden.
Lieber Klaus!
Schade, dass Du am Freitag so schnell verschwunden bist. Ich hätte mich wirklich gern mit Dir unterhalten und betrunken. Habe aber soeben erfahren, was Dir auf der Eröffnung widerfahren ist, und verstehe, dass Du schnellstens das Weite gesucht hast. Didi wirst du wohl die Eier abschneiden – das habe ich übrigens auch mit Ralph, dem Arsch, vor. Vielleicht könnten wir uns ja zusammentun und diesen Schnitt gemeinsam setzen. Gestern hat mich der Idiot übrigens angerufen und gefragt, ob ich die gemeinsam von uns angeschafften, sauteuren und äußerst raren Bob-Marley-Live-CDs noch brauchen würde, er hätte sie gern und würde sie auch bezahlen. Nach einem Augenblick des Überlegens und Zögerns sagte ich zu, ich würde sie ihm an seine neue Adresse schicken. Er klang richtig erleichtert. Weißt Du, was ich dann gemacht habe? Ich habe alle seine CDs (es sind sicher an die zweihundert) auf dem Boden verstreut und wollte zuerst meine Stilettos anziehen, aber bei der Suche danach habe ich seine Steigeisen oder Schneeschuhe oder was auch immer das ist, gefunden, über meine Turnschuhe gestülpt und bin dann auf den CDs herumgetrampelt. Für jeden Sonntagnachmittag einen Tritt, für jede Tantra-Qual (es war eine Qual, weil der Sex mit Ralph nicht nur überhaupt nicht gut, sondern auch überhaupt nicht Tantra war) eine geborstene Scheibe, für jede Lüge ein splitterndes mindestens 15 €-Geräusch. Es hat richtig gutgetan. Du glaubst ja gar nicht, wie schwer sich manche CDs zerstören lassen, die wollen überhaupt nicht kaputtgehen, da kannst du mit voller 55 kg-Wucht draufspringen, da verstauchst du dir vorher den Knöchel. Ich habe dann alle Teile, die ich von Bob Marley finden konnte, sorgsam in ein Kuvert gesteckt und an ihn geschickt. (Diese CDs habe ich mir schon vor Tagen auf den PC überspielt, das wollte er nie, für ihn war es Blasphemie, wenn man CDs auf einen Computer spielt. Das könne man einem kreativen Produkt doch nicht antun, das wäre das Schlimmste überhaupt, bla, bla, bla.)
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