„Warum kannst du nicht schlafen? Also, wenn du es mir erzählen willst, leg los. Musst aber nicht.“ „Das ist nicht so einfach. Oder doch? Ich meine … Also.“ Sie blickte traurig zu Boden.
„Mein Mann hat mich vor zwei Monaten verlassen. Einfach so. Von einem Tag auf den anderen. Ohne Vorwarnung. Ich weiß auch nicht, warum er das getan hat, was ihm nicht gepasst hat. Er hat nicht mit mir gesprochen. Er hat überhaupt nicht mehr mit mir gesprochen. Ist in der Früh aufgestanden, hat seine Sachen gepackt und ist einfach gegangen. Nur vom Kleinen hat er sich verabschiedet. Seither kann ich nicht mehr schlafen.“ Sie weinte und auch ich blickte betreten zu Boden und räusperte mich.
„Es tut weh, es tut einfach nur weh. Ich blicke meinen Sohn an und sehe ihn, meinen Mann. Oder besser Ex-Mann.“ Jetzt schluchzte sie laut. Das Einzige, was mir jetzt einfiel, war, meinen Arm um sie zu legen, da sie sich neben mich gesetzt hatte. „Das tut mir leid“, stammelte ich. Was soll man in so einem Moment sagen? Wie kann man einem Menschen in diesem Augenblick helfen? Hilft gemeinsames Schweigen? Zuhören? Zustimmen? Den anderen ausreden lassen? Ablenken?
„Dieser Arsch! Dieser verdammte Arsch! Vor drei Monaten noch hat er diesen Urlaub gebucht und wollte wohl jetzt allein – oder mit seiner neuen Flamme – hierher. Aber das gönne ich ihm nicht, das nicht. Also hab ich den Kleinen eingepackt und wir sind jetzt im Urlaub.“ „Du meinst, er hat eine andere?“, flüsterte ich. „Ja was denn sonst? Gibt ja keine andere Erklärung! Kann nur so sein!“
Wir saßen nun schweigend nebeneinander, sie weinte leise. Nach einigen Minuten stand sie auf, wischte die Tränen ab. „Danke dafür, dass du mir zugehört hast. Das hat gutgetan. Ich muss jetzt aber nach meinem Sohn schauen. Komm so gegen zehn Uhr vorbei, dann folgt die zweite Behandlung!“ Ich nickte. „Bis später!“
Ich blieb sitzen, es war erst sechs Uhr. Rick und seine Gespielinnen zu wecken, machte jetzt überhaupt keinen Sinn. Leider hatte ich meinen iPod nicht dabei, da hätte ich Musik hören können. Sarahs Schicksal ging mir nicht aus dem Kopf. Ich spazierte zum Strand, wo schon erste Morgenjogger ihre Runden drehten. „Sex ist eine Schlacht, Liebe ist Krieg!“, singt die Band Rammstein – ob das stimmt? Wenn ich an Sarah dachte, dann vielleicht. Ich selbst konnte das ja nicht einmal beurteilen …
Gegen acht warf ich Rick aus dem Bett; die Mädels hatten ihn schon in der Nacht allein gelassen; dass er sich nicht freute, war mir vollkommen egal. Sollte er sich nur ärgern. Ich machte ihm auch klar, dass dies der letzte derartige Freundschaftsdienst gewesen war. Er durfte also nicht mehr damit rechnen, dass ich mein Bett räumte. Auch das gefiel ihm nicht unbedingt, aber ich glaube, dass er verstand.
Nach dem Frühstück, das im mit mindestens dreihundert Dezibel von brüllenden, kreischenden, singenden und weinenden Kindern beschallten Saal eingenommen wurde, ging ich mit klopfendem Herzen zu Sarah, die mich nett und freundlich lächelnd begrüßte. Auch diese Behandlung rief bei mir die gestrige Reaktion hervor, was mir diesmal noch deutlich peinlicher war. Gott sei es gedankt, dass ich eine halbe Stunde liegen durfte. Aber auch das war gar nicht so leicht.
„Entschuldige bitte meine Beichte heute Morgen. Ich wollte dich nicht mit meinen Problemen belasten.“ Sie hatte sich neben mich gesetzt. „Du hast mich nicht damit belastet, ich hab es dir erstens angeboten und zweitens tut es gut, wenn man über seine Sorgen sprechen kann. Da gibt es doch dieses alte Sprichwort: ‚Geteiltes Leid ist halbe Freud!‘ oder so ähnlich.“ Sie lachte. „Du bist nett, wirklich nett, Klaus. Mich wundert ja, dass deine Freundin dich mit Rick in Urlaub fahren lässt.“ Ich räusperte mich, das erinnerte mich an meine Mutter. „Ich habe keine Freundin“, krächzte ich. „Au, ach so, entschuldige!“ „Da gibt’s nichts zu entschuldigen, konntest ja nicht wissen.“ Die restlichen Minuten schwiegen wir.
Als ich ging, fragte ich sie, ob sie heute Abend mit mir an der Bar was trinken wolle, so quasi als Wiedergutmachung für die entgangene Urlaubszeit. Sie sagte zu, was mich sehr freute. Außerdem fiel mir auf, dass ich es zum ersten Mal in meinem Leben gewagt hatte, eine Frau ohne die Hilfe von Rick um ein Date zu fragen. Mit stolzgeschwellter Brust schritt ich durch die Halle. „Herr Böhmer! Klaus Böhmer!“, rief jemand. Ich brauchte eine halbe Ewigkeit, bis ich merkte, dass ich gemeint war. Die Rezeptionstussi wachtelte mit einem antiken Telefonhörer. „Ihre Mutter ist in der Leitung! Können Sie mal kommen?“
Ging es noch lauter? Vielleicht sollte sie das über den Lautsprecher verkünden! Ich sah das verschmitzte Grinsen der anderen Touristen, das mitleidige Nicken der Junggebliebenen.
„Hallo?!“
„Klaus! Was fällt dir ein, dich nicht zu melden! Dein Vater und ich sind vor Sorge beinahe umgekommen. Wieso sagst du denn nicht Bescheid? Du hattest es doch versprochen! Nur Sorgen muss man sich um dich machen! Was glaubst, wie viele Euro ich vertelefoniert habe, nur um dich überhaupt mal zu finden.“
„Aber Mama, ich habe es vergessen. Wirklich. Es war so viel los in den letzten Tagen, da habe ich mal die Ruhe gebraucht. Es ist alles in Ordnung, nichts passiert.“
„Lässt Rick dich wohl in Ruhe den Urlaub genießen? Cremst du dich wohl jeden Tag öfter ein? Mindestens einen 15er-Lichtschutzfaktor, hörst du?“
„Ja, Mama. Alles in Ordnung“, raunzte ich genervt in den Hörer, „es wollen jetzt noch andere Leute telefonieren!“ An der Rezeption wartete niemand, auch die Lobby war menschenleer.
„Mein Schatz, du meldest dich jetzt jeden Tag. Wir müssen wissen, ob es dir gut geht. Ja?“ „Nein, Mama. Ich werde mich melden, aber sicher nicht jeden Tag. Bis bald!“ Wütend warf ich den Hörer zurück. „Die spinnt doch, ich bin doch nicht zwölf und bei einem Jungschar-Ausflug!“
Ich stampfte ins Zimmer, die Tür krachte ins Schloss. „Das gibt’s doch nicht, was stellt die sich denn vor?“ Voller Wut schlüpfte ich in meine Laufschuhe und rannte los. Ich muss zugeben, dass es diesmal besser ging als beim letzten Mal. Ich schaffte schon sieben Minuten am Stück, bevor ich japsend auf einen Liegestuhl plumpste. Aber ich habe mich während dieser Minuten so wohlgefühlt – abgesehen von den Schmerzen in den Muskeln, Gelenken, Beinen und Füßen –, dass ich mir geschworen habe, ab nun so oft wie möglich zu laufen.
Den Nachmittag verbrachte ich entspannt am Strand – mit einem Männer-Magazin in der Hand und meinen iPod-Stöpseln im Ohr. Steve, der mehrmals an mir vorbeigeschlendert war, blieb heute überraschend still. Er konnte mir auch keine Erfolgsmeldung liefern. Es stand nun wirklich 3:1 für Rick. Als ich ihm das mitteilte, war er sichtlich betrübt.
Der Abend kam näher, meine Aufregung stieg. Sarah wollte mit mir was trinken! Mit mir! Ich konnte es kaum glauben. Ich meine, sie war natürlich kein Topmodel, aber wer wollte schon so ein verhungertes Gör? Sie alle hatten wunderbare Beine, bei deren Anblick einem heiß werden konnte, aber war das das Wichtigste? Ein kurzer Blick in mein Magazin zeigte mir – manchmal schon …
Aber Sarah war nicht nur nett, sie sah auch verdammt gut aus. Ihre schulterlangen brünetten Haare hatte sie zusammengebunden, ihre Augen strahlten Güte aus und ihr Lächeln war bezaubernd. Ihr Körper war genau passend, alles wunderbar angeordnet, an den richtigen Stellen verteilt – so stellte ich mir eine Frau vor. Oh Gott, hatte ich mich verliebt? „Nein, das darf nicht passieren. Sie ist nur nett, weil ich Idiot meinen Rücken auf den Sonnengrill gelegt habe, mehr nicht. Und heute Abend werde ich mich dafür bedanken – mit Gratisgetränken an der All-inclusive-Bar. Mehr nicht.“
Ich begann um 18 Uhr mit den Vorbereitungen, duschte mich zweimal, um auch den letzten Schweißgeruch loszuwerden, und schwitzte dann im dampfenden Bad. Das schönste T-Shirt, das ich mithatte, nahm ich zur Hand. Ich sprühte mich mit Deo ein, bis der Duft auch noch ins Badezimmer der Nachbarn gestiegen war. Schon um acht Uhr saß ich nach einem hinuntergeschlungenen Souvláki an der Bar und wartete. Ich war ja nicht so nervös, trotzdem gönnte ich mir mal drei Bierchen, damit die Anfangsunruhe ein wenig verging.
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