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In der Fallbearbeitung ist daher normalerweise keine ausführliche Erörterung dieses Tatbestandsmerkmals erforderlich. Es reicht aus, dass Sie feststellend erwähnen, dass die Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs durch die Vornahme der Tathandlung beeinträchtigt ist. Die tatbestandlichen Voraussetzungen können nur dann in der Klausur interessant werden, wenn der Eingriff außerhalb des öffentlichen Straßenverkehrs stattgefunden hat oder aber zum Zeitpunkt des Eingriffs Straßenverkehr z.B. wegen der nächtlichen Uhrzeit, nicht stattfand.
Auch wenn im Tatbestand des § 315b Abs. 1 nicht von „öffentlichem“ Straßenverkehr gesprochen wird, so ergibt sich die Öffentlichkeit doch aus dem Schutzzweck der Norm.
Zum öffentlichen Straßenverkehrgehören neben den allgemeinen, dem Straßenverkehr gewidmeten Straßen, Wegen und Plätzen auch solche Verkehrsflächen, die jedermann oder nach allgemeinen Merkmalen bestimmte größere Gruppen von Verkehrsteilnehmern dauernd oder vorübergehend zur Benutzung offen stehen.[34]
Beispiel
Hierzu zählen u.a. Tankstellen, Parkplätze und Parkhäuser sowie das Firmengelände. Kein öffentlicher Verkehrsraum sind jedoch Parkhäuser außerhalb der normalen Betriebszeit sowie Kasernengelände, sofern nicht der Zugang vorübergehend für jedermann freigegeben ist.[35]
3. Konkrete Gefahr für Leib oder Leben eines anderen Menschen oder eine fremde Sache von bedeutendem Wert
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Als Taterfolgmuss durch die Tathandlung gem. § 315b Abs. 1 Nr. 1–3 Leib oder Leben eines anderen Menschen oder einer fremden Sache von bedeutendem Wert gefährdet worden sein. Im Gegensatz zu der abstrakten Gefahrfür die Sicherheit des Straßenverkehrs handelt es sich bei dieser Gefahr um eine konkrete Gefahr. Eine konkrete Gefahr kann regelmäßig bejaht werden, wenn es sogar zu einer Verletzung der genannten Rechtsgüter gekommen ist. Ansonsten gilt folgende Definition:
Eine konkrete Gefahrliegt vor, wenn die Sicherheit des Rechtsguts derart beeinträchtigt ist, dass sich das Ausbleiben eines Schadens nach objektiv nachträglicher Prognose als Zufall darstellt.[36]
Beispiel
Eine konkrete Gefahr liegt vor, wenn jemand einen schweren Betonstein von einer Brücke auf eine dicht befahrene Autobahn wirft, da es hier lediglich vom Zufall abhängt, ob der Täter damit einen schweren Unfall mit Personen- und Sachschaden herbeiführt oder nicht.
Nimmt hingegen jemand eine Manipulation an den Bremsen eines Fahrzeuges vor, die zu einer verminderten Bremsleistung führt, so kann eine konkrete Gefahr nur dann angenommen werden, wenn es infolge dieser verminderten Bremsleistung zu einem „Beinahe-Unfall“gekommen ist. Konnte hingegen der Fahrer des Fahrzeuges mit einem beherzten Durchtreten der Bremsen das Fahrzeug noch vor einer Ampel zum Stehen bringen, muss eine konkrete Gefahr abgelehnt werden.[37]
Beachten Sie, dass es sich bei der konkreten Gefahr und eine verkehrsspezifische Gefahrhandeln muss. Eine solche liegt dann vor, wenn sie auf die Wirkungsweise der für Verkehrsvorgänge typischen Fortbewegungskräfte zurückzuführen ist, also das Fahrverhalten oder die Fahrsicherheit beeinträchtigt.[38]
Beispiel
A wirft von einer Brücke große Steine auf fahrende Fahrzeuge, was zu Schäden an der Motorhaube führt. Hier hat der BGH [39] die verkehrsspezifische Gefahr bejaht, da der Schaden mit den Bewegungskräften zusammenhänge. Anders: A gibt auf ein fahrendes Fahrzeug einen Schuss ab, der aber nur zur Beschädigung des Kotflügels führt und vom Fahrer nicht bemerkt wird. Hier macht es keinen Unterschied, ob A auf ein fahrendes oder ein parkendes Fahrzeug schießt. Der Schaden steht nicht mit den Bewegungskräften in Zusammenhang.[40]
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Diese Gefahr kann zunächst für Leib und Leben eines anderen Menschen bestehen. Fraglich und umstritten ist, ob Tatbeteiligte als „andere Menschen“angesehen werden können. Die herrschende Meinungverneint die Einbeziehung eines Teilnehmers in den Schutzbereich des § 315b. § 315b enthalte einen gemeingefährlichen Straftatbestand, der die Interessen der Allgemeinheit schütze. Es könne mithin nicht Zweck dieser Norm sein, Personen zu schützen, welche zugleich wegen derselben Handlung aus dieser Norm zu bestrafen seien.[41] Eine in der Literatur vertretene Gegenauffassungverweist jedoch darauf, dass es durch das Erfordernis einer konkreten Gefährdung einer anderen Person zu einer Individualisierung des geschützten Objekts durch das Gesetz gekommen sei. Da § 315b insoweit auch den Schutz des Einzelnen verfolge, müssten auch Teilnehmer in den Schutzbereich einbezogen werden.[42]
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In diesen Fällen wird die Strafbarkeit des Täters häufig aufgrund einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdungdes Teilnehmers zu verneinen sein, so dass eine Streitentscheidung in der Klausur nicht erforderlich sein wird. Sie müssen jedoch gleichwohl die unterschiedlichen Meinungen darstellen.
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Sofern der Täter nicht Leib oder Leben eines anderen Menschen, sondern eine Sache gefährdet, muss diese fremd sein und von bedeutendem Wert.
Der Wertder Sache hängt dabei weniger vom Verkehrswert ab, sondern v.a. von dem drohenden Schaden, der anhand der Reparaturkosten ermittelt werden kann. Nach Auffassung des BGH [43] liegt dieser Wert noch immer bei 750,00 €. Nach der Gegenauffassung ist die Grenze bei ca. 1300 €anzusetzen.[44]
Fremdsind die Tatobjekte, wenn sie weder im Allein- oder Miteigentum des Täters stehen noch herrenlos sind.[45]
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Damit scheidet das eigene Fahrzeug des Täters aus.
Sofern der Täter mittels des Fahrzeugs einen ausnahmsweise von § 315b erfassten Eingriff vornimmt und dabei zugleich nur dieses Fahrzeug gefährdet, scheidet nach überwiegender Auffassung auch dieses Fahrzeug als Tatobjekt aus, da das notwendige Tatmittel nicht zugleichdas geschützte Tatobjektsein kann.[46]
Hinweis
Dieses Problem wird eher bei § 315c relevant, da hier der Eingriff immer durch das Führen eines Fahrzeugs bewirkt wird. „Durch“ dieses Führen muss dann eine Gefahr für andere Rechtsgüter u.a. auch für fremde Sachen entstehen. Hier ergibt sich schon aus dem Wortlaut, dass eine Gefahr, die „durch“ ein Fahrzeug verursacht werden muss, nicht zugleich auch eine Gefahr „für“ das Fahrzeug sein kann.
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Die konkrete Gefährdung muss „durch“eine der Tathandlungen der Nr. 1 bis 3 eingetreten sein. Dies ist der Fall, wenn
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die Tathandlung i.S.d. conditio-sine-qua-non-Formel kausalfür die eingetretene Gefahr war und |
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die konkrete Gefahr unmittelbar(objektiv zurechenbar) auf der Tathandlung beruht.[47] Dies bedeutet, dass sich die spezifische Gefährlichkeit der Tathandlung in typischer Weise in der konkreten Gefahr realisiert haben muss. |
In diesem Zusammenhang können sämtliche Fallgruppen relevant werden, die Ihnen von der objektiven Zurechnung bekannt sind, insbesondere die eigenverantwortliche Selbstgefährdung des Opfers.
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