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Für die Polizeibeamten als „Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft“ (vgl §§ 161, 163 StPO) gilt, dass eine spezielle Jugendpolizeiim JGG nicht vorgesehen ist. Jedoch gibt es bei manchen Polizeibehörden spezialisierte Abteilungen (Jugenddezernate) bzw Jugendsachbearbeiter[97]. Wichtig ist eine solche Spezialisierung etwa deshalb, weil die Vernehmung Jugendlicher ein besonderes „Fingerspitzengefühl“ verlangt (vgl dazu § 70c I JGG); so ist zB die besondere Suggestibilität junger Menschen zu berücksichtigen[98]. In der Praxis wird die größere Beeindruckbarkeit Jugendlicher nicht selten sogar ausgenutzt, um durch Druck Geständnisse zu erzielen[99]. Ein Bedarf an Weckung von Problembewusstsein und an spezieller Ausbildung für die Jugendsachbearbeiter der Polizei kann nach alledem gar nicht zweifelhaft sein[100]. Heute weist man die Aufgabe der Vernehmung von Kindern und Jugendlichen vor allem weiblichen Polizeibeamten zu.
Der besonderen Schutzbedürftigkeit jugendlicher Beschuldigter kommt es entgegen, dass nun § 136 IV StPO bei der ersten Vernehmung in Verfahren wegen eines vorsätzlich begangenen Tötungsdelikts oder bei Beschuldigten mit psychischen Handicaps die Aufzeichnung der Vernehmung in Bild und Tonfür den Regelfall vorsieht; und in anderen Verfahren ist gem. § 70c II S. 1 JGG diese Aufzeichnung immerhin zulässig. Eine Aufzeichnung der Vernehmung in Bild und Ton verlangt § 70c II S. 2 JGG für den Fall, dass die Mitwirkung eines Verteidigers im Verfahren notwendig, ein solcher aber bei der nichtrichterlichen Vernehmung nicht anwesend ist[101].
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Eine besondere Rolle im Umgang mit straffälligen Jugendlichen sehen einige neuere Diversionsrichtlinien für die Polizei vor[102]. Die Polizeibeamten sollen bei ihren Ermittlungen nicht nur Diversionsaspekte im Auge behalten, sondern sogar erzieherisch initiativ werden, nämlich erzieherische Maßnahmen anregenoder Ermahnungen aussprechen. Diese können dann von der Staatsanwaltschaft zur Begründung einer Einstellung des Verfahrens gem. § 45 II JGG genutzt werden[103]. Freilich bestehen gegen die Ausweitung der polizeilichen Aufgaben hin zur Anregung oder Durchführung von erzieherischen Maßnahmen Bedenken, da mit „Polizeidiversion“ der von Gesetzes wegen zuständigen Staatsanwaltschaft vorgegriffen und uU die Rechtsposition der Jugendlichen durch einen von der Polizei (indirekt) ausgeübten Druck gefährdet wird[104].
Für den Umgang der Polizei mit tatverdächtigen Jugendlichen bestehen in den Polizeilichen Dienstvorschriften(PDV) Spezialregelungen[105]. Auf diese wird bei der folgenden Behandlung der Rechtsstellung von Erziehungsberechtigten und gesetzlichem Vertreter noch eingegangen werden.
Teil III Jugendgerichtsverfassung, Beteiligte und Verfahren› § 6 Jugendgerichtsverfassung und Verfahrensbeteiligte› IV. Erziehungsberechtigte und gesetzlicher Vertreter
IV. Erziehungsberechtigte und gesetzlicher Vertreter
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Die Rechtsfolgen des Jugendstrafrechts beinhalten einen Eingriff in das Erziehungsrecht der Eltern[106]. Zu erinnern ist insbesondere an Art. 6 II GG: „Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft“. Rein pragmatisch spricht für eine nachdrückliche Respektierung der Elternrechte, dass die erzieherischen Ziele des Jugendstrafrechts am ehesten verwirklichbar sind, wenn die Eltern die Aktivitäten der Justiz bezüglich ihres Kindes unterstützen. Angesichts dieser Ausgangslage erkennt § 67 JGG die Eltern und den gesetzlichen Vertreter des Beschuldigten als Prozessbeteiligte mit selbstständigen prozessualen Rechten und Pflichtenan[107]. Bei mehreren Erziehungsberechtigten kann jeder die genannten Rechte wahrnehmen, aber es reicht aus, wenn jeweils einer als Prozessbeteiligter zur Verfügung steht (§ 67 V JGG). – Dies gilt natürlich nur für den jugendlichen Beschuldigten, der noch der elterlichen Personensorge unterliegt, nicht aber für den schon 18-Jährigen als Volljährigen (vgl auch § 109 JGG).
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Durch § 67 JGG wird eine Reihe prozessualer Rechte des Beschuldigten auf die Erziehungsberechtigten ausgedehnt:
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Recht auf Gehör (§ 67 I); einschl. Recht auf das letzte Wort (Schlussvortrag gem. § 258 II 2. Hs. StPO); |
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Recht, Fragen und Anträge zu stellen (§ 67 I); |
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Recht, bei Untersuchungshandlungen anwesend zu sein (§ 67 III S. 1 – 2), soweit dies dem Wohl des Jugendlichen dient und die Anwesenheit das Strafverfahren nicht beeinträchtigt; hilfsweise ist einer anderen für den Schutz der Interessen des Jugendlichen geeigneten volljährigen Person die Anwesenheit zu gestatten (§ 67 III S. 3); |
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Recht zur Wahl eines Verteidigers (§ 67 II JGG iVm § 137 II StPO); |
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Recht auf Einlegung von Rechtsmitteln (§ 67 II; vgl § 55 II, III JGG). |
Mitteilungenan den Beschuldigten sollen auch an den Erziehungsberechtigten und den gesetzlichen Vertreter gerichtet werden (§ 67a I JGG). Ihnen ist auch die gem. § 70a JGG dem Jugendlichen zu gebende Unterrichtung über das Strafverfahren und über seine Verfahrensrechte zu übermitteln (§ 67a II, V JGG). Unterbleibt diese Übermittlung aus den in § 67a III JGG niedergelegten Gründen, ist gem. § 67a IV JGG eine andere für den Schutz der Interessen des Jugendlichen geeignete volljährige Person zu unterrichten.
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Obwohl das nicht unmittelbar aus § 67 I JGG zu erschließen ist[108], geht die hM dahin, dass die Erziehungsberechtigten ein Recht auf Anwesenheit auch bei der polizeilichen Vernehmungdes jugendlichen Beschuldigten haben[109]. Für eine derartige Rechtsposition spricht auch der neue § 2 I S. 2 JGG, der die „Beachtung des elterlichen Erziehungsrechts“ im Verfahren einfordert. Die aktuelle PDV 382 von 1995 sieht dementsprechend in Nr 3.6.4 u. 3.6.5 ein Anwesenheitsrechtder Erziehungsberechtigten und des gesetzlichen Vertreters vor. Zudem verpflichtet die PDV (Nr 3.6.3) die Polizei grundsätzlich zur Mitteilung einer bevorstehenden Vernehmung an Erziehungsberechtigte und gesetzliche Vertreter[110]. Unverkennbar ist freilich, dass die Einbeziehung der Erziehungsberechtigten praktische Schwierigkeiten in der Durchführung der Vernehmung und letztlich auch eine verringerte Geständnisquote mit sich bringen kann. Deshalb nutzt die Polizei gerne auch weiterhin gegebene Möglichkeiten zur Vernehmung der jugendlichen Beschuldigten ohne Anwesenheit von Erziehungsberechtigten; etwa erlaubt die einschränkende Regelung in PDV 382 Nr 3.6.3 eine Rücksichtnahme auf „kriminaltaktische Erwägungen“.
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Aus § 67 I JGG lässt sich ein Recht auf Anwesenheit des Erziehungsberechtigten des Beschuldigten bei im Vorverfahren durchgeführten Untersuchungshandlungen, etwa staatsanwaltlichen oder richterlichen Zeugenvernehmungen, ableiten; insoweit gilt die Benachrichtigungspflicht des § 168c V StPO[111]. Besondere Bedeutung hat das Recht auf Anwesenheit in der Hauptverhandlung. Der Vorsitzende soll Erziehungsberechtigte und gesetzliche Vertreter daher zur Hauptverhandlung laden lassen (§ 50 II JGG); dies ist schon deshalb ratsam, weil eine Nichtbeachtung von § 50 II S. 1 JGG einen Verstoß gegen die Aufklärungspflicht des Gerichts darstellen kann[112]. Bleiben geladene Erziehungspersonen – was häufig der Fall ist[113] – unentschuldigt fern, kann gem. § 50 II S. 2 JGG iVm § 51 I StPO wie gegen ferngebliebene Zeugen vorgegangen werden (Ordnungsgeld, Ordnungshaft, zwangsweise Vorführung, Auferlegung der entstandenen Kosten).
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