Franz Werfel - Franz Werfel - Die vierzig Tage des Musa Dagh

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Franz Werfel - Die vierzig Tage des Musa Dagh: краткое содержание, описание и аннотация

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Franz Werfels Roman «Die vierzig Tage des Musa Dagh» schildert mit höchstmöglicher Authentizität das Schicksal einer armenischen Familie während des Völkermords in Armenien von 1915 bis 1916. Werfels bewegende Erzählung ist mehr als ein Gesellschaftsepos. Wie kaum einem anderen Autor gelingt es Werfel in diesem Roman, das Menschsein an sich in seinem Facettenreichtum darzustellen.
Dieses E-Book enthält eine vollständige Ausgabe des Werkes «Die vierzig Tage des Musa Dagh» von Franz Werfel.

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Titelseite Franz Werfel Die vierzig Tage des Musa Dagh Roman

ERSTES BUCH: Das Nahende ERSTES BUCH: Das Nahende »Wie lange noch, o Herr, Du Heiliger und Wahrhaftiger, richtest Du nicht und rächest unser Blut an den Bewohnern der Erde?« Offenbarung Johannis 6, 10

Erstes Kapitel: Teskeré

Zweites Kapitel: Konak – Hamam – Selamlik

Drittes Kapitel: Die Notabeln von Yoghonoluk

Viertes Kapitel: Das erste Ereignis

Fünftes Kapitel: Zwischenspiel der Götter

Sechstes Kapitel: Die große Versammlung

Siebentes Kapitel: Das Begräbnis der Glocken

ZWEITES BUCH: Die Kämpfe der Schwachen

Erstes Kapitel: Unsere Wohnung ist die Bergeshöhe

Zweites Kapitel: Die Taten der Knaben

Drittes Kapitel: Die Prozession des Feuers

Viertes Kapitel: Satos Wege

DRITTES BUCH: Untergang – Rettung – Untergang

Erstes Kapitel: Zwischenspiel der Götter

Zweites Kapitel: Stephans Aufbruch und Heimkehr

Drittes Kapitel: Der Schmerz

Viertes Kapitel: Zerfall und Versuchung

Fünftes Kapitel: Die Altarflamme

Sechstes Kapitel: Die Schrift im Nebel

Siebentes Kapitel: Dem Unerklärlichen in uns und über uns

Nachbemerkung des Autors

Franz Werfel

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Roman

ERSTES BUCH: Das Nahende

»Wie lange noch, o Herr, Du Heiliger und Wahrhaftiger,

richtest Du nicht

und rächest unser Blut an den Bewohnern der Erde?«

Offenbarung Johannis 6, 10

Erstes Kapitel: Teskeré

»Wie komme ich hierher?«

Gabriel Bagradian spricht diese einsamen Worte wirklich vor sich hin, ohne es zu wissen. Sie bringen auch nicht eine Frage zum Ausdruck, sondern etwas Unbestimmtes, ein feierliches Erstaunen, das ihn ganz und gar erfüllt. Es mag in der durchglänzten Frühe des Märzsonntags seinen Grund haben, in dem syrischen Frühling, der von den Hängen des Musa Dagh herab die Herden roter Riesenanemonen bis in die ungeordnete Ebene von Antiochia vorwärtstreibt. Überall quillt das holde Blut aus den Weidenflächen und erstickt das zurückhaltende Weiß der großen Narzissen, deren Zeit ebenfalls gekommen ist. Ein unsichtbar goldenes Dröhnen scheint den Berg einzuhüllen. Sind es die ausgeschwärmten Immenvölker aus den Bienenstöcken von Kebussije oder wird in dieser durchsichtigsten und durchhörbarsten Stunde die Brandung des Mittelmeers vernehmlich, die den nackten Rücken des Musa Dagh weit dahinten benagt? Der holprige Weg läuft zwischen verfallenen Mauern aufwärts. Wo sie unvermittelt als unordentliche Steinhaufen enden, verengt er sich zu einem Hirtenpfad. Der Vorberg ist erstiegen. Gabriel Bagradian wendet sich um. Seine große Gestalt in dem Touristenanzug aus flockigem Homespun streckt sich lauschend. Er rückt den Fez ein wenig aus der feuchten Stirn. Seine Augen stehen auseinander. Sie sind etwas heller, aber um nichts kleiner als Armenieraugen im allgemeinen.

Nun sieht Gabriel, woher er kommt: Das Haus leuchtet mit seinen grellen Mauern und dem flachen Dach zwischen den Eukalyptusbäumen des Parks. Auch die Stallungen und das Wirtschaftsgebäude blinken in der sonntäglichen Morgensonne. Obgleich zwischen Bagradian und dem Anwesen schon mehr als eine halbe Wegstunde Entfernung liegt, scheint es immer noch so nahe, als sei es seinem Herrn auf dem Fuße gefolgt. Doch auch die Kirche von Yoghonoluk weiter unten im Tal grüßt ihn deutlich mit ihrer großen Kuppel und dem spitzhütigen Seitentürmchen. Diese massig ernste Kirche und die Villa Bagradian gehören zusammen. Gabriels Großvater, der sagenhafte Stifter und Wohltäter, hat beide vor fünfzig Jahren erbaut. Unter den armenischen Bauern und Handwerkern ist es wohl Sitte, nach den Wanderfahrten des Erwerbs aus der Fremde, ja selbst aus Amerika in die Heimatnester zurückzukehren; die reichgewordenen Großbürger aber halten es anders. Sie setzen ihre Prunkvillen an die Küste von Cannes, in die Gärten von Heliopolis oder zumindest auf die Hänge des Libanon in der Umgebung von Beirût. Von dergleichen Emporkömmlingen unterschied sich der alte Awetis Bagradian beträchtlich. Er, der Begründer jenes bekannten Stambuler Welthauses, das in Paris, London und New York Niederlassungen besaß, residierte, soweit es seine Zeit und seine Geschäfte zuließen, Jahr für Jahr in der Villa oberhalb der Ortschaft Yoghonoluk am Musa Dagh. Doch nicht nur Yoghonoluk, auch die übrigen sechs armenischen Dörfer des Bezirkes von Suedja hatten den reichen Segen seiner königlichen Gegenwart genossen. Wenn man von den Kirchen und Schulbauten, von der Berufung amerikanischer Missionslehrer absieht, so genügt es, auf das Geschenk hinzuweisen, das der Bevölkerung trotz aller Ereignisse bis auf den heutigen Tag im Gedächtnis geblieben ist: jene Schiffsladung von Singer-Nähmaschinen, die Awetis Bagradian nach einem besonders glücklichen Geschäftsjahr an fünfzig bedürftige Familien der Dörfer verteilen ließ.

Gabriel – er wendet den lauschenden Blick noch immer von der Villa nicht ab – hat den Großvater gekannt. Er wurde ja unten in dem Hause geboren und hat so manchen langen Kindheitsmonat dort verbracht. Bis zu seinem zwölften Jahr. Und doch, dieses frühere Leben, das einst das seinige war, berührt ihn unwirklich bis zur Schmerzhaftigkeit. Es gleicht einem vorgeburtlichen Dasein, dessen Erinnerungen mit unwillkommenen Schauern die Seele ritzen. Hat er den Großvater tatsächlich gekannt oder ihn nur in einem Knabenbuch gelesen oder abgebildet gesehen? Ein kleiner Mann mit weißem Spitzbart in einem langen, gelb-schwarz gestreiften Seidenrock. Der goldene Kneifer hängt an einer Kette auf die Brust herab. Mit roten Schuhen geht er durch das Gras des Gartens. Alle Menschen verbeugen sich tief. Zierliche Greisenfinger berühren die Wange des Kindes. War es so, oder ist es nur eine leere Träumerei? Mit dem Großvater ergeht es Gabriel Bagradian ähnlich wie mit dem Musa Dagh. Als er vor einigen Wochen den Kindheitsberg zum erstenmal wiedersah, die dunkelnde Kammlinie gegen den Abendhimmel, da durchflutete ihn eine unbeschreibliche Empfindung, schreckhaft und angenehm zugleich. Ihre Tiefe ließ sich nicht ergrübeln. Er gab es sofort auf. War es der erste Atemzug einer Ahnung? Waren es die dreiundzwanzig Jahre?

Dreiundzwanzig Jahre Europa, Paris! Dreiundzwanzig Jahre der völligen Assimilation! Sie gelten doppelt und dreifach. Sie löschen alles aus. Nach dem Tode des Alten flieht die Familie, vom Lokalpatriotismus des Oberhauptes erlöst, diesen orientalischen Winkel. Der Hauptsitz der Firma bleibt nach wie vor in Stambul. Doch Gabriels Eltern leben mit ihren beiden Söhnen jetzt in Paris. Der Bruder, auch er heißt Awetis, um fünfzehn Jahre älter als Gabriel, verschwindet aber rasch. Als Mitchef des Importhauses kehrt er in die Türkei zurück. Nicht zu Unrecht trägt er den Vornamen des Großvaters. Ihn zieht es nicht nach Europa. Er ist ein einsamkeitssüchtiger Sonderling. Die Villa in Yoghonoluk kommt nach mehrjähriger Verlassenheit durch ihn wieder zu Ehren. Seine einzige Liebhaberei ist die Jagd, und von Yoghonoluk aus unternimmt er seine Weidfahrten ins Taurusgebirge und in den Hauran. Gabriel, der von dem Bruder kaum etwas weiß, geht in Paris aufs Gymnasium und studiert an der Sorbonne. Niemand zwingt ihm den kaufmännischen Beruf auf, zu dem er, eine wunderliche Ausnahme seines Stammes, nicht im geringsten taugt. Er darf als Gelehrter und Schöngeist leben, als Archäologe, Kunsthistoriker, Philosoph, und empfängt im übrigen eine Jahresrente, die ihn zum freien, ja wohlhabenden Mann macht. Sehr jung noch heiratet er Juliette. Diese Ehe bringt eine tiefere Wandlung. Die Französin zieht ihn auf ihre Seite. Nun ist Gabriel Franzose mehr denn je. Armenier ist er nur mehr im akademischen Sinn gewissermaßen.

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