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(6) Zunächst einmal ausgestanden erscheint – zumindest der hM zufolge – die Datenschutzproblematik: Ursprünglich hatte das SGB VIII die Jugendgerichtshelfer ermutigt, die für die Jugendhilfe geltenden Datenschutzbestimmungen der §§ 61 ff SGB VIII auch im Bereich der Jugendgerichtshilfe anzuwenden. Man gewann in der Folge den Eindruck, dass diese von Einzelnen nachgerade als Hebel genutzt wurden, um sich nach Kräften der Zusammenarbeit mit der repressiven Institution Justiz zu entziehen. Inzwischen ist gesetzgeberisch durch §§ 62 III Nr 2c, 52 SGB VIII freilich geklärt, dass Daten auch ohne Mitwirkung des Betroffenen von Jugendhilfeinstitutionen erhoben werden dürfen, soweit es um die Erfüllung der Verpflichtungen des Jugendamtes nach dem JGG geht. Grundsätzlich aber sind die Datenschutzvorschriften der §§ 61 ff SGB VIII zu beachten[82]. Etwa dürfen personenbezogene Daten, die einem Mitarbeiter des Jugendhilfeträgers zu Jugendhilfezwecken anvertraut worden sind, gem. § 65 SGB VIII nur unter sehr engen Voraussetzungen für das Fällen strafrechtlicher Entscheidungen weitergegeben werden[83].
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Die zentrale Reformüberlegung betrifft eine Auflösung des Rollenkonfliktsder JGH. Insoweit hat man immer wieder eine Stärkung der Jugendhilfekomponente zulasten des Gerichtshilfeanteils vorgeschlagen. Etwa wollte man den Jugendgerichtshelfer zum „Sozialanwalt“ des jugendlichen Straftäters machen, was zugleich die Zuerkennung eines Zeugnisverweigerungsrechts vor Gericht beinhalten würde[84]. Der Nachteil dieser Lösung liegt auf der Hand, nämlich eine Relativierung der täterorientiert-ermittelnden Leistungen, auf die sich Richter und Staatsanwaltschaft für ihre Entscheidungen aber stützen müssen. Insoweit konsequent erscheint von daher das weitergehende Postulat einer Aufspaltung der JGH, nämlich eine organisatorische Trennung des Bereichs der Jugendhilfe von ermittelnder und überwachender Gerichtshilfe/Bewährungshilfe[85]. Zu befürchten wäre aber bei dieser Lösung ein weitgehender Abschied der Jugendhilfe aus dem Bereich des Strafverfahrens. Angesichts einer Deckung der justiziellen Bedürfnisse nach sozialpädagogischer Zuarbeit durch die ermittelnde Gerichts-/Bewährungshilfe könnte die Beteiligung der unterstützenden und erziehenden Jugendhilfe im Strafverfahren aus der Sicht von Staatsanwaltschaft und Gericht letztlich überflüssig werden. Insgesamt wäre so mit einer erheblichen Einbuße an helfender Straftäterbetreuung zu rechnen[86]. Daher sollte es trotz aller damit verbundenen Probleme bei der Institution der janusköpfigen Jugendgerichtshilfe bleiben.
3. Kriminologische Befunde
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In neuerer Zeit hat man auch der Tätigkeit der JGH in der kriminologischen Forschungvermehrt Aufmerksamkeit geschenkt. Die Ergebnisse sind teils recht irritierend: Wie schon angesprochen, wurde vielfach die JGH nicht herangezogen, trotz der Verpflichtung aus § 38 III JGG aF. In der Untersuchung von Heinz/Hügel fanden sich in der Hälfte der untersuchten Akten keinerlei Hinweise auf eine JGH-Beteiligung; in den Fällen einer Einstellung nach § 45 JGG fehlte die JGH fast völlig[87]. Irritierend ist auch, dass bei JGH-Beteiligung die Sanktionierungsvorschläge der JGH vielfach eingriffsintensiver und schwerer waren als die gerichtliche Entscheidung[88]. Hier scheint sich eine gelegentliche Überidentifizierung der Jugendgerichtshelfer mit der „strafenden Justiz“ anzudeuten[89]. Erkennbar war auch, dass die sozialpädagogische Einschätzung durch die JGH nur sehr bedingt die Sanktionsentscheidung des Gerichts beeinflusste[90].
Teil III Jugendgerichtsverfassung, Beteiligte und Verfahren› § 6 Jugendgerichtsverfassung und Verfahrensbeteiligte› III. Jugendstaatsanwalt und Jugendpolizei
III. Jugendstaatsanwalt und Jugendpolizei
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Gemäß § 36 JGG sind bei den Staatsanwaltschaften Jugendstaatsanwältezu bestellen. Damit haben diese grundsätzlich alle Verfahren, die zur Zuständigkeit der Jugendgerichte gehören, zu bearbeiten; hinzu kommen alle Jugendschutzsachen[91]. Nach herkömmlicher Meinung ist § 36 JGG bloße Ordnungsvorschrift, weshalb beim Auftreten eines nicht zum Jugendstaatsanwalt bestellten Staatsanwalts vor dem Jugendgericht die Entscheidung dennoch als nicht revisibel angesehen wird[92]. Dagegen erheben sich zunehmend Bedenken und man geht in diesem Sinne vom möglichen Vorliegen eines relativen Revisionsgrundes iSv § 337 StPO aus[93]; für diese Ansicht spricht, dass gem. § 37 JGG Jugendstaatsanwälte – nicht anders als die Jugendrichter – erzieherisch befähigt und in der Jugenderziehung erfahrensein sollen. Auch diese Vorschrift berücksichtigt die besonderen Anforderungen, die ein am Erziehungsgedanken orientiertes Täterstrafrecht an die Beteiligten stellt. Freilich wird in der Praxis § 37 bezüglich der Staatsanwälte gewiss nicht weniger vernachlässigt als bezüglich der Jugendrichter[94]. Immerhin gibt das „Gesetz zur Stärkung der Rechte von Opfern sexuellen Missbrauchs (StORMG)“[95] durch § 36 I S. 2 JGG vor, dass Richter auf Probe und Beamte auf Probe im ersten Jahr nach ihrer Ernennung nicht zum Jugendstaatsanwalt bestellt werden sollen. Überdies verlangt § 36 II S. 1 JGG, dass Amtsanwälten jugendstaatsanwaltliche Aufgaben nur dann übertragen werden dürfen, wenn sie für diese hinlänglich qualifiziert sind, was einen Verweis auf die in § 37 JGG angesprochenen Anforderungen bedeutet.
Gemäß RL zu § 36 soll der zuständige Staatsanwalt möglichst auch die Anklage im betreffenden Verfahren vertreten. Diese Richtlinie behandelt eine Fragestellung, die letztlich eine Parallele zum „Gerichtsgeher“-Problem bei der JGH darstellt; freilich enthält das Gesetz für die JGH immerhin eine Sollvorschrift, die den für den Jugendlichen Zuständigen auch zur Wahrnehmung des Gerichtstermins verpflichtet (§ 38 IV S. 2 JGG). Für die Staatsanwaltschaft gibt es keine gesetzliche Regelung dieser Art; im Übrigen ist aus der Praxis bekannt, dass sogar Referendare als Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft in Jugendstrafsachen eingesetzt wurden[96]. Insoweit enthält die neue Rechtslage nun einschränkende Regelungen: § 36 II S. 3-4 JGG fordert nicht nur die Aufsicht eines Jugendstaatsanwalts über das Handeln des Referendars ein, sondern zudem das Anwesendsein des Staatsanwalts in der fraglichen Sitzung des Jugendgerichts.
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Die Stellung des Staatsanwaltsim Jugendstrafverfahren ist einerseits zurückgenommen, andererseits aber auch einflussreich. Eine Zurücknahme der Position des Jugendstaatsanwalts wird darin deutlich, dass er gem. § 78 II S. 1 JGG im Vereinfachten Jugendverfahren nicht verpflichtet ist, an der Verhandlung teilzunehmen und dass dann gem. § 78 II S. 2 JGG seine Zustimmung zu einer Einstellung des Verfahrens nicht erforderlich ist. Zudem ist er – anders als im Allgemeinen Strafrecht gem. § 451 StPO – nicht für die Vollstreckung zuständig; gem. § 82 JGG hat der Jugendrichter die Aufgabe des Vollstreckungsleiters inne.
Eine durchaus starke Stellung hat der Jugendstaatsanwalt im Vorverfahren. Rein faktisch kann der Staatsanwalt durch zügiges Vorgehen bewirken, dass das Verfahren bald zu einem Abschluss kommt. Das Ernstnehmen des Beschleunigungsgrundsatzeserscheint unter erzieherischen Aspekten wichtig. Denn bei vorliegenden Erziehungsbedürfnissen schwächt jedes Zögern die Effizienzpotenziale einer Intervention; angesichts von sich entwickelnden Rationalisierungs- und Verdrängungsstrategien behindert lange Verfahrensdauer auch den Effekt von ahndender Sanktionierung (vgl Rn 22). Besonders große Handlungsspielräume im Sinne erzieherischen Vorgehens gibt § 45 JGG dem Jugendstaatsanwalt. Er hat im Rahmen des „formlosen Erziehungsverfahrens“ (Diversion; vgl unten Rn 172 ff) weitergehende Möglichkeiten zur Einstellung des Verfahrensals der Staatsanwalt nach Allgemeinem Strafrecht. Wichtig ist im Vorverfahren auch die Aufgabe des Jugendstaatsanwalts, Kontakte herzustellen, nämlich zu den Eltern, der JGH, der Suchtberatung etc. Ein frühzeitiges Gespräch iSv § 44 JGG (Vernehmung des Beschuldigten bei zu erwartender Jugendstrafe) kann eine Basis für sachangemessene Entscheidungen ergeben; etwa lässt sich so uU die Reifefrage iSv § 3 JGG oder iSv § 105 JGG vorklären und eine Entscheidung über die Notwendigkeit einer sachverständigen Begutachtung nach § 43 II JGG oder § 73 JGG treffen (RL 1 zu § 44).
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