c) Der unmittelbare Zwang
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Die Anwendung unmittelbaren Zwangs erlaubt § 12 VwVG. Er ist zulässig, wenn die Ersatzvornahme oder das Zwangsgeld nicht zum Ziel führen oder untunlich sind. Die Begriffsbestimmung für den unmittelbaren Zwang enthält § 2 UZwG. Nach § 2 Abs. 2 UZwG ist körperliche Gewalt jede unmittelbare körperliche Einwirkung auf Personen oder Sachen; nach § 2 Abs. 3 UZwG sind Hilfsmittel der körperlichen Gewalt insbes. Fesseln, Wasserwerfer, technische Sperren, Diensthunde, Dienstpferde und Dienstfahrzeuge; nach § 2 Abs. 4 UZwG sind Waffen dienstlich zugelassene Hieb- und Schusswaffen, Reizstoffe und Explosivmittel. Ein Beispielfür eine Einwirkung auf Sachen bildet die Versiegelung von Geschäftsräumen zur Vollstreckung einer Gewerbeuntersagung[32].
Beispiele:
das Aufbrechen einer Wohnung[33]; die Auflösung einer Demonstration mit Schlagstöcken, Wasserwerfern[34]; der Einsatz von Reizstoffen; der Einsatz von Schusswaffen gegen Geiselnehmer; die Versiegelung einer baulichen Anlage[35].
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Weil der unmittelbare Zwang das schärfste Zwangsmittel ist, kommt er nur als letzte Möglichkeitin Betracht. §§ 8 ff UZwG enthalten spezielle Vorschriften für die Fesselung von Personen, den Schusswaffengebrauch und den Einsatz von Explosivmitteln. Daneben ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten.
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Der unmittelbare Zwang ist von der Ersatzvornahme abzugrenzen. Unmittelbarer Zwang liegt vor, wenn die Behörde selbst tätig wird; bei der Ersatzvornahme handelt ein Dritter im Auftrag der Behörde. Teilweise ist, wie dargestellt, die Ersatzvornahme durch die „Selbstvornahme“ erweitert worden. In diesem Fall ist die Abgrenzung wie folgt vorzunehmen: Ersatzvornahme/Selbstvornahme liegt vor, wenn die Behörde an Stelle des Pflichtigen eine ihm obliegende vertretbare Handlung durchführt; unmittelbarer Zwang ist anzunehmen, wenn die Behörde durch ihr Handeln ein bestimmtes Verhalten des Pflichtigen erreichen will.
2. Das „gestreckte“ Vollstreckungsverfahren
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Die Anwendung von Zwangsmitteln darf nur unter Beachtung strenger Verfahrensvorschriften erfolgen. Das sog. gestreckte Vollstreckungsverfahren erfolgt auf Basis eines vollstreckungsfähigen VAund ist durch drei Phasen gekennzeichnet:
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Androhung, |
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Festsetzung und |
• |
Anwendung des Zwangsmittels. |
a) Vollstreckungsfähiger Verwaltungsakt als Ausgangspunkt
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Die allgemeinen Voraussetzungen für das gestreckte Vollstreckungsverfahren sind in § 6 Abs. 1 VwVG geregelt. Auch hier kommt eine Vollstreckung nur bei einem VA mit befehlendem Regelungsgehaltin Betracht (s.o. Rn 679). Darüber hinaus muss der Grundverwaltungsakt unanfechtbarsein, oder es muss die aufschiebende Wirkungeines Rechtsbehelfs kraft Gesetzes oder infolge der Anordnung des sofortigen Vollzugs entfallen. Die Unanfechtbarkeit richtet sich nach den allgemeinen Grundätzen zum Eintritt der formellen Bestandskraft[36], das Entfallen der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 2 VwGO[37].
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Für die Vollstreckung nach § 6 Abs. 1 VwVG ist ausreichend, aber auch erforderlich, dass der VA wirksamist. Auch rechtswidrige, aber rechtswirksame VAe bilden daher eine tragfähige Vollstreckungsgrundlage. Diese Erkenntnis ist darauf zurückzuführen, dass im gestreckten Vollstreckungsverfahren gegen den Grundverwaltungsakt gesonderte Rechtsbehelfe zur Verfügung stehen[38]. Etwas anderes gilt jedoch dann, wenn das Gebot effektiven Rechtsschutzes auch eine Überprüfung der Rechtmäßigkeit erfordert[39]. Für Prüfungsarbeitenhat dies zur Folge, dass neben der Bekanntgabe nach § 41 (s.o. Rn 435 ff) inzident die etwaige Unwirksamkeit nach § 44 (s.o. Rn 546 ff) zu prüfen ist.
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Nach § 13 Abs. 1 VwVG müssen die Zwangsmittel, wenn sie nicht sofort angewendet werden können, schriftlich angedroht werden. Die Androhung hat den Zweck, auf die Folgen der Nichterfüllung der titulierten Pflichten hinzuweisen. Für die Erfüllung der Verpflichtung ist eine Frist zu bestimmen, innerhalb der der Vollzug dem Pflichtigen billigerweise zugemutet werden kann. Nach § 13 Abs. 2 VwVG darf die Androhung mit dem Grund-VA verbunden werden. Nach § 13 Abs. 3 VwVG muss sich die Androhung auf ein bestimmtes Zwangsmittel beziehen; unzulässig ist die gleichzeitige Androhung mehrerer Zwangsmittel und die Androhung, mit der sich die Vollzugsbehörde die Wahl zwischen mehreren Zwangsmitteln vorbehält. Wenn ein Zwangsgeld angedroht wird, muss die Höhe des Zwangsgelds bestimmt sein[40]; die Androhung der Ersatzvornahme muss mit einem Kostenvoranschlag verbunden sein, § 13 Abs. 4, 5 VwVG. Ihrer Rechtsnatur nach ist die Androhung selbst ein VA[41].
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Die zweite Phase des Zwangsverfahrens bildet die Festsetzung des Zwangsmittels nach § 14 VwVG. Mit ihr soll verdeutlicht werden, dass die Voraussetzungen des Zwangsmittels nunmehr vorliegen und dieses alsbald zur Anwendung kommt[42]. Die Festsetzung ist ein selbstständiger VA, der als solcher dem Betroffenen bekannt zu geben ist[43], weil die Festsetzung Konkretisierungs-, Warn- und Schutzfunktion besitzt[44]. Wird die Verpflichtung innerhalb der Frist, die in der Androhung bestimmt ist, nicht erfüllt, so setzt die Vollzugsbehörde das Zwangsmittel fest. Die Festsetzung entfällt bei sofortigem Vollzug. Die Androhung des Zwangsmittels und ihre Festsetzung müssen einander inhaltlich entsprechen. Eine von der Androhung abweichende Festsetzung ist daher rechtswidrig.
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Die Anwendung des Zwangsmittels nach § 15 Abs. 1 VwVG bildet die dritte Stufe des Zwangsverfahrens. Mit ihr gelangt das Zwangsmittel zur Ausführung. Richtigerweise handelt es sich mangels Regelungswirkung um einen Realakt[45]. Ein Widerstand des Pflichtigen kann mit Gewalt gebrochen werden. Die Polizei hat auf Verlangen der Vollzugsbehörde Vollzugshilfe zu leisten (zum Begriff s.o. Rn 484). Allerdings kann es erforderlich sein, dass gegenüber Dritten eine Duldungsverfügung erlassen werden muss, insbes. um etwaige Vollstreckungshindernisse zu beseitigen[46].
e) Verhältnis der Stufen zueinander
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Da im gestreckten Vollstreckungsverfahren grundsätzlich gegen jede Stufe gesonderter Rechtsschutz erlangt werden kann, reicht jeweils die Wirksamkeit– in Abgrenzung zur Rechtmäßigkeit – der jeweiligen Vorstufeaus, um auf die nachfolgenden Stufen überzugehen. Es wird also – anders ausgedrückt – nicht auf jeder Stufe die vollständige Rechtmäßigkeit auch der vorausgegangenen Stufen überprüft. Dies gilt nicht nur für die Grundverfügung als Basis der Vollstreckung, sondern auch für die folgenden Stufen[47]. Innerhalb der einzelnen Stufen sowie beim Übergang auf die nächste Stufe ist stets der Verhältnismäßigkeitsgrundsatzzu beachten. Dies gilt insbes. im Falle des Einlenkens des Pflichtigen, das weitere Vollstreckungsmaßnahmen entbehrlich macht. Darüber hinaus sind nachträglich eingetretene Vollstreckungshindernisse zu berücksichtigen. Deshalb steht etwa der Eintritt einer Baugenehmigungsfiktion der Fortsetzung der Vollstreckung einer Beseitigungsanordnung entgegen[48]. Schließlich müssen die allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen nach § 6 Abs. 1 VwVG (s.o. Rn 700 f) auch zum Zeitpunkt der jeweiligen Vollstreckungshandlung noch vorliegen.
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