Teil III Handlungsformen der Verwaltung› § 16 Die Vollstreckung von Verwaltungsakten› I. Grundlagen
I. Grundlagen
1. Wesen der Verwaltungsvollstreckung
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Auch Ansprüche auf dem Gebiet des Verwaltungsrechts müssen ggf. zwangsweise durchgesetzt werden. Ebenso wie bei privatrechtlichen Ansprüchen bedarf es dafür eines Vollstreckungstitels. Den praktischen Regelfall bildet im Privatrecht die Erlangung eines gerichtlichen Vollstreckungstitels. Auch bei Ansprüchen auf dem Gebiet des Verwaltungsrechts muss teilweise eine gerichtliche Entscheidung erstritten werden, um zur Vollstreckung übergehen zu können. Dies gilt insbes. für Ansprüche aus einem öffentlich-rechtlichen Vertrag (vgl. Fall 20und s.u. Rn 799 ff). Bei der Vollstreckung eines VA wird die öffentliche Hand allerdings privilegiert: Unter bestimmten Voraussetzungen darf die öffentliche Verwaltung solche Ansprüche selbst mit Zwang durchsetzen, also ohne Einschaltung der Gerichte. Diese beträchtliche Erleichterung bei der Durchsetzbarkeit von Ansprüchen beruht auf der Idealvorstellung, dass die öffentliche Verwaltung regelmäßig in Einklang mit den gesetzlichen Bestimmungen handelt (Art. 20 Abs. 3 GG, s.o. Rn 181 f) und daher eine etwaige nachträgliche gerichtliche Überprüfung ausreichend ist[1].
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Die Erleichterung bei der Durchsetzung von Ansprüchen beschränkt sich aber auf VAe. Der VA weist damit auch eine Titulierungsfunktion auf (s.o. Rn 282). Allerdings kommen nur VAe mit befehlendem Regelungsgehaltin Betracht[2]. Nicht vollstreckungsfähig im dargelegten Sinne sind also gestaltende und feststellende VAe (zu den Begriffen s.o. Rn 370 ff). Gestaltende VAe bewirken unmittelbar eine Veränderung der Rechtslage und müssen daher nicht mehr vollstreckt werden („kein Vollstreckungsbedarf“). Und feststellende VAe beschränken sich von vornherein auf eine feststellende Wirkung und zielen daher auf keine Vollstreckung ab („kein Vollstreckungswille“).
2. Rechtsgrundlagen der Verwaltungsvollstreckung
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Gesetzlich geregelt ist die Verwaltungsvollstreckung für den Bund im Verwaltungs-Vollstreckungsgesetz (VwVG)und durch das Gesetz über den unmittelbaren Zwang bei Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Bundes (UZwG)[3]. Die Vollstreckungsverfahren der Länder richten sich nach dem jeweiligen Landesvollstreckungsgesetz[4]. Diese enthalten oftmals Abweichungen von den Regelungen des VwVG des Bundes, stimmen aber regelmäßig in den Strukturen mit diesem überein. Einige Bundesländer verweisen sogar dynamisch auf die Vorschriften des VwVG[5]. Daher wird im Folgenden auf die Regelungen des VwVG eingegangen.
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Zum Teil gibt es die allgemeinen Verwaltungsvollstreckungsgesetze verdrängende Sonderregelungen. So enthalten Polizeigesetze einiger Bundesländer die Figur der unmittelbaren Ausführung, die ebenfalls dem Vollstreckungsrecht zuzuordnen ist (dazu sogleich Rn 709)[6]. Aber auch das sonstige Fachrecht enthält teilweise spezielle Regelungen zur Verwaltungsvollstreckung.
Beispiel:
Nach § 58 AufenthG wird die Ausreisepflicht eines Ausländers durch die Abschiebung vollzogen, wenn die freiwillige Erfüllung der Ausreisepflicht nicht gesichert oder aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung eine Überwachung der Ausreise erforderlich erscheint.
3. Arten der Vollstreckung
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Das VwVfG des Bundes unterscheidet zwischen der Vollstreckung von Geldforderungennach §§ 1 ff VwVG (s.u. II.) und der Erzwingung von Handlungen, Duldungen oder Unterlassungennach §§ 6 ff VwVG (s.u. III.). Letztere können wiederum eingeteilt werden in das „gestreckte Vollstreckungsverfahren“ und in den sofortigen Vollzug. Das gestreckte Vollstreckungsverfahrenknüpft an einen VA als Ausgangspunkt an und bildet den Regelfall. Der sofortige Vollzuggestattet unter qualifizierten Anforderungen die Vollziehung ohne vorausgehenden VA.
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Lösung Fall 20 ( Rn 676):
Nein. Der Bescheid ist ein VA; es handelt sich nicht um eine schlichte Aufforderung, wie die Rechtsmittelbelehrung zeigt. Die Verpflichtung des A zur Zahlung ist durch einen öffentlich-rechtlichen Vertrag festgestellt. Auf diese Weise festgestellte Verpflichtungen können nicht durch VA vollstreckt werden. Die Behörde muss gegen A eine allgemeine Leistungsklage vor dem Verwaltungsgericht erheben.
Teil III Handlungsformen der Verwaltung› § 16 Die Vollstreckung von Verwaltungsakten› II. Die Vollstreckung von Geldforderungen
II. Die Vollstreckung von Geldforderungen
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Nach § 3 Abs. 2, 3 VwVG wird die Vollstreckung von öffentlich-rechtlichen Geldforderungen (Steuern, Gebühren, Beiträge, Sonderabgaben) durch eine Vollstreckungsanordnungeingeleitet. Folgende Voraussetzungen müssen vorliegen:
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Leistungsbescheid(das ist derjenige VA, der eine öffentlich-rechtliche Geldleistungspflicht zum Gegenstand hat), |
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Fälligkeitder Leistung, |
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Ablauf einer Frist von einer Woche seit Bekanntgabedes Leistungsbescheids bzw seit Eintritt der Fälligkeit, |
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vor Anordnung der Vollstreckung „soll“ der Schuldner mit einer Zahlungsfrist von einer weiteren Woche besonders gemahntwerden. |
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Auf der Grundlage der Vollstreckungsanordnung kann entweder die Behörde selbst durch ihren Vollstreckungsbeamten oder im Auftrag der Behörde eine Vollstreckungsbehörde oder das Vollstreckungsgericht die Vollstreckung vornehmen. Vollstreckungsanordnung und Vollstreckungsauftrag sind keine VAe[7]. Die Vollstreckung läuft nach Vorschriften der Abgabenordnungab; diese Vorschriften lehnen sich wiederum an Regelungen der Zivilprozessordnung an. Die Vollstreckung ist unterschiedlich in Abhängigkeit davon, ob in bewegliche Sachen, Grundstücke oder Forderungen vollstreckt wird. Einzelheiten werden hier nicht dargestellt[8].
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Der Rechtsschutz gegen Vollstreckungsmaßnahmen ist zunächst abzugrenzen vom Rechtsschutz gegen den Leistungsbescheid. Da es sich bei diesem um einen belastenden VA handelt, ist nach allgemeinen Grundsätzen die Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1, 1. Alt. VwGO statthaft[9], ggf. nach Durchführung eines Vorverfahrens. Zu beachten ist, dass diese Rechtsbehelfe gemäß § 80 Abs. 2 S. 1 Nr 1 VwGOkeine aufschiebende Wirkung entfalten[10]. Daher bedarf es im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes eines Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 S. 1, 1. Alt. VwGO, dem gemäß § 80 Abs. 6 VwGO grundsätzlich ein Antrag bei der Behörde auf Aussetzung der Vollziehung vorauszugehen hat[11].
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Für den Rechtsschutz gegen Vollstreckungsmaßnahmengibt es keine spezielle Regelung. Eindeutig ist, dass die Sachpfändung durch eine Verwaltungsbehörde einen VA darstellt[12]; gegen den VA ist mit Hilfe des Widerspruchs und erforderlichenfalls der Anfechtungsklage vorzugehen. Vollstreckt der Gerichtsvollzieher oder ein ordentliches Gericht, sind die Rechtsbehelfe der ZPO einschlägig.
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Im Zusammenhang mit der Vollstreckung wegen Geldforderungen ist umstritten, auf welchem Wege der Vollstreckungsschuldner solche Einwendungengegen die zu vollstreckende Forderung geltend machen kann, die nach Erlass des VAentstanden sind.
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