Franz Josef Zeßner-Spitzenberg
Vergessen und Erinnern
Studien
zur Theologie und Praxis der Seelsorge
94
Herausgegeben von
Erich Garhammer und Hans Hobelsberger
in Verbindung mit
Martina Blasberg-Kuhnke und Johann Pock
Franz Josef Zeßner-Spitzenberg
Vergessen und Erinnern
Menschen mit Demenz feiern
Gottesdienst im Pflegeheim
echter
Dieses Buch ist eine gekürzte Fassung der Dissertation mit gleichem Titel, die am Institut für Liturgiewissenschaft der Karl Franzens Universität Graz bei Univ. Prof. Dr. Basilius J. Groen im Herbst 2014 abgeschlossen wurde. Der volle Text mit Anhang ist frei verfügbar unter:
http://unipub.uni-graz.at/obvugrhs/content/titleinfo/308647
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Die Veröffentlichung wurde möglich durch die finanzielle Unterstützung des CS Instituts für Gerontologie und Palliative Care der CS Caritas Socialis, Wien, und der Universität Graz. |
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© 2016 Echter Verlag GmbH, Würzburg
www.echter.de
ISBN |
978-3-429-03839-7 (Print) |
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978-3-429-04820-4 (PDF) |
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978-3-429-06237-8 (ePub) |
eBook-Herstellung und Auslieferung:
Brockhaus Commission, Kornwestheim
www.brocom.de
Der Herr horchte auf
Und man schrieb von ihm ein Buch,
das alle in Erinnerung hält .
Denn seht,
der Tag kommt,
er brennt wie ein Ofen .
(Maleachi 3)
Der Tag kommt
Ein Buch vor Gott ist zu schreiben, ein Buch des Gedenkens. Namenlose werden genannt, an Vergessene wird erinnert. Erinnerung ist ein leichtes Spiel vergesslicher Alten. Vergangene Lieder werden neu entdeckt. Es ist alles leserlich . Und Er, wird Er es lesen? Wird Er sich erinnern an uns, arme Menschen? |
Werden unsere Tränen, unsere Ängste, unsere schweren Stunden, unsere schlaflosen Nächte Ihm erinnerlich sein? Der Tag wird kommen, so schaute ein Prophet. Feuer verbrennt wie Altpapier, die Last, die wir tragen. Aus der Asche steigt Heilung auf wie ein Vogel . |
Joop Roeland 1
1Text auf dem Sterbebild des Autors Joop Roeland, + am 18.3.2010. Veröffentlicht in Fragmente, Zeitschrift der Gemeinde der Wiener Ruprechtskirche (2006). URL: http://www.ruprechtskirche.at/new/index.php?id=72#TagKommt(Eingesehen am 19.6.2014).
Vorwort von Agnes Zeßner
Eine komische Idee, dass die Frau das Vorwort schreiben will, sagt der Autor. Stimmt! Aber immerhin bin ich die erste (und oftmalige) Leserin dieser Arbeit. Ich habe ihre Entstehung miterlebt und kenne sie daher gut, warum sollte ich es also nicht versuchen. Vielleicht fürchtet unser Autor, zu sehr gelobt zu werden und das noch von der eigenen Ehefrau. Ja, wenn das jemand Fremder macht, eine Fachmannfrau, (die das Buch womöglich gar nicht gelesen hat, aus Zeitmangel versteht sich,) das ginge gerade noch. Ich wische diesen Einwand vom Tisch und mache mich aus purer Freude über das Gelungene fröhlich ans Werk.
Spätestens jetzt wird jede gemerkt haben, dass ich weder Wissenschafterin noch vom Fach bin, daher war meine wichtigste Forderung: „Schreib bitte so, dass es jede lesen kann. Es interessieren sich auch Menschen, die nicht studiert haben, für dieses Thema.“ Soweit ich beurteilen kann, hat sich der Autor mit Erfolg bemüht, diese Vorgabe zu erfüllen.
Ja, das Thema, dieses Thema, Demenz nämlich, ist eigentlich ein Schwieriges, oft Trauriges, Unangenehmes, jedenfalls eines, bei dem es einem schon schwer fallen kann, länger zu verweilen. Obwohl in dieser Arbeit nichts verharmlost oder beschönigt wird, lädt sie auf ungewöhnliche, unaufdringliche Art zu genau diesem Verweilen ein. ‚Türen‘ in verschiedene Richtungen werden geöffnet und ‚Gedanken(-aus-)flüge‘ aller Art gestattet, die es uns nicht nur beim Lesen, sondern auch im Alltag erleichtern, durchzuhalten. Wie schnell kommen wir ‚(Noch-)Gesunden‘ im Umgang mit Menschen, die an Demenz leiden, an unsere Grenzen? Wie langweilig und eintönig können Begegnungen mit Menschen verlaufen, die sich nicht (mehr) äußern können? Wie herausfordernd und mühsam kann ihre Pflege sein?
Da brauchen wir diese ‚Türen‘, durch die Seele und Geist in die Bereiche von Poesie und Musik, Prosa, bildender und darstellender Kunst eintreten können. Auch von dort kommt nämlich Hilfe bei der Deutung von Erlebtem, Trost und Stärkung in schwierigen Situationen. Ich schreibe diese Sätze als glaubender Mensch, der dankbar für alle Zugänge ist, die letztendlich unser Leben auf Gott hin öffnen.
„…und endlich deine Hoffnung, den Bodensatz des Kommunionweins einsam auszusaufen, der fatal schmeckte […] aber welche Himmel dann nach dem Trank des Bodensatzes in alle deine Glieder zogen…. Wahrlich jedesmal wieder will ich in Exk(l)amationen verfallen – aber warum macht mir und vielleicht Euch dieses schulmeisterlich vergnügte Herz so viel Freude? – ach es muss daran liegen, dass wir selber sie nie so voll bekommen, weil der Gedanke der Erden-Eitelkeit auf uns liegt und unseren Athem drückt und weil wir die schwarze Gottesacker-Erde unter den Rasen- und Blumenstücken schon gesehen haben, auf denen das Meisterlein sein Leben verhüpft!“
Diese Stelle aus dem Leben des vergnügten Schulmeisterlein Maria Wuz in Auental von Jean Paul hat mich beim ersten Lesen gepackt. Warum?
Hier wird sehr treffend der Zustand der Vorfreude geschildert. Seiner unmenschlichen Schule gerade entwachsen, malt sich das ‚Schulmeisterlein‘ seine künftigen Aufgaben aus. Unter anderem wird das Austrinken des Kommunionweines dazugehören. Aber nur selten, nämlich wenn der Kirchenpatron zugegen ist und statt des üblichen Weins, „… der Christi Trank am Kreuz nicht unglücklich nachbildete, Christi Thränen aus seinem Keller setzte“, wird Wuz diesen Hochgenuss haben.
Alles ist Zukunft, Verheißung und pure, durch nichts getrübte Freude. Durch sie wird die Gegenwart bereichert und verzaubert. Dass dieser Zustand weder für Jean Paul selbst, noch für die Leser so leicht zu erreichen ist, legt die unmittelbar folgende Bemerkung nahe. Trotzdem wirken diese Zeilen wie eine Einladung, sich dem Reichtum des Lebens zu überlassen und daraus Hoffnung für eine Zukunft zu schöpfen, die eigentlich die Gegenwart ist.
Diese Gegenwart, die den von Demenz betroffenen Menschen trotz aller Verluste bleibt, zu bergen und zu gestalten, ist das Anliegen dieses Buches.
Inhalt
Einleitung
I. Demenz als theologische Frage
1. Demenz
2. Demenz als Kritik an Engführungen im ‚heutigen‘ Menschenbild
2.1. Sein in der Begegnung (Dominik Becker)
2.2. Autonomie und Fürsorge (Walter Schaupp)
2.3. Einseitigkeiten einer „hyperkognitiven Gesellschaft“ (Stephen Post)
2.4. Die Seele Mensch (Doris Nauer)
2.5. Identität und Fragment (Henning Luther)
3. Erinnern und Vergessen als theologische und biblische Kategorien
3.1. Die Vielschichtigkeit des Phänomens Erinnerung
3.2. Erinnerung als „Theologische Basiskategorie“ (Johann Baptist Metz)
3.3. Schöpfen aus dem Schatz des Vergessens (Paul Ricœur): gegen ein reines Defizit-Modell von Demenz
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