Beispiel:
Die Baugenehmigung erlaubt, ein ihr entsprechendes Haus zu nutzen; eine nachträgliche Änderung der Sach- und Rechtslage führt nicht dazu, dass dieses Nutzungsrecht entfällt.
640
Eine Gefährdung des öffentlichen Interessesliegt vor, wenn der Bestand des VA das öffentliche Interesse konkret gefährdet[92]. Die Gefährdung öffentlicher Interessen und die Änderung der Tatsachen müssen in einem Zusammenhang stehen. Die Behörde darf nur das öffentliche Interesse berücksichtigen, dessen Wahrung zu ihrem Aufgabenbereich gehört. Diese Begrenzung ergibt sich daraus, dass die Befugnis der Behörde bei einem Widerruf nicht weitergehen kann als beim Erlass eines VA. Nicht entscheidend ist, ob der Begünstigte von dem VA schon Gebrauch gemacht hat. Hat er von dem VA schon Gebrauch gemacht, ist dieser Umstand bei der Ermessensentscheidung zu berücksichtigen.
641
Nach § 49 Abs. 2 Nr 4ist der Widerruf erlaubt, wenn die Behörde auf Grund einer geänderten Rechtsvorschrift berechtigt wäre, den VA nicht zu erlassen, sobald der Begünstigte von der Vergünstigung noch keinen Gebrauch gemacht oder auf Grund des VA noch keine Leistungen empfangen hat und wenn ohne den Widerruf das öffentliche Interesse gefährdet würde. Nr 4 erfasst die nachträgliche Änderung der Rechtslageim Gegensatz zu Nr 3, die die nachträgliche Änderung der Sachlage (Tatsachenlage) zum Gegenstand hat. Um keine Änderung der Rechtslage handelt es sich, wenn sich lediglich die Rechtsprechung ändert[93]. Anders als bei Nr 3 muss hinzukommen, dass der Begünstigte von der Vergünstigung noch keinen Gebrauch gemacht oder auf Grund des VA noch keine Leistungen empfangen hat. Schließlich muss – ebenso wie bei Nr 3 – ohne den Widerruf das öffentliche Interesse gefährdet sein (s.o. Rn 640).
642
Nach § 49 Abs. 2 Nr 5ist schließlich ein Widerruf des VA erlaubt, um schwere Nachteile für das Gemeinwohlzu verhüten oder zu beseitigen. „Schwere Nachteile für das Gemeinwohl“ liegen vor, wenn besondere, erhebliche, überragende Interessen der Allgemeinheit den Widerruf des VA gebieten. Als Auffangtatbestand ist Nr 5 eng auszulegen[94]. Eine bloße Beeinträchtigung des öffentlichen Interesses ist daher nicht ausreichend.
4. Widerrufsgründe nach § 49 Abs. 3 VwVfG
643
Die Vorschrift des § 49 Abs. 3 enthält besondere Widerrufsgründe für begünstigende VAe, die eine Geldleistung oder eine teilbare Sachleistung zum Gegenstand haben. Mit dieser Ersetzung des vormaligen § 44a BHO (s.o. Rn 635) sollten die Widerrufsmöglichkeitennach Abs. 2 erweitertwerden. Daraus folgt einerseits, dass auch bei den von Abs. 3 erfassten VAen ein Rückgriff auf die Widerrufsgründe des Abs. 2 nicht schlechthin ausgeschlossen werden soll; andererseits wäre ein solcher Rückgriff praktisch wenig bedeutsam, da nach Abs. 2 lediglich mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden kann[95].
644
§ 49 Abs. 3 S. 1 erlaubt es der zuständigen Behörde, einen rechtmäßigen VA, der eine einmalige oder laufende Geldleistung oder teilbare Sachleistungzur Erfüllung eines bestimmten Zweckes gewährt[96] oder hierfür Voraussetzung ist, zu widerrufen. Die Norm hat ersichtlich die Subventionzum Gegenstand und dient der Korrektur fehlgeschlagener Subventionsverhältnisse. Die Widerrufsmöglichkeit gilt mit Wirkung für die Vergangenheit(darin liegt ein Unterschied zu Abs. 2); die Unanfechtbarkeit des VA ist bedeutungslos; der Widerruf kann den VA ganz oder teilweise betreffen. Voraussetzung für den rechtmäßigen Widerruf ist das Vorliegen eines der beiden Fälle:
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entweder: wenn die Leistung nicht alsbald nach der Erbringung oder nicht mehr für den in dem VA bestimmten Zweck verwendetwird[97]; |
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oder: wenn mit dem VA eine Auflageverbunden ist und der Begünstigte diese nicht oder nicht innerhalb einer ihm gesetzten Frist erfüllt hat. |
5. Ausübung des Widerrufs
645
Liegt ein Widerrufsgrund nach Abs. 2 oder Abs. 3 vor, so steht der Widerruf grundsätzlich im Ermessender zuständigen Behörde („ kann “). Das Ermessen kann jedoch in zweierlei Hinsicht eingeschränktsein: Zum einen kann bei Vorliegen eines Widerrufsgrundes der Widerruf als Regelfolge angezeigt sein. Dies ist etwa bei einer Zweckverfehlung bei einem geldwerten VA nach Abs. 3 Nr 1 der Fall: Hier folgt aus den haushaltsrechtlichen Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und der Sparsamkeit, dass der Widerruf im Regelfall erfolgen muss[98]. Umgekehrt kann in bestimmten Konstellationen der Widerruf die ultima ratio bilden: Dies ist etwa bei einem Planfeststellungsbeschluss der Fall, wenn als weniger intensive Maßnahmen nachträgliche Schutzauflagen in Betracht kommen[99]. Zudem kann der Widerruf nur innerhalb eines Jahresausgeübt werden. §§ 49 Abs. 2 S. 2 und Abs. 3 S. 2 verweisen hier jeweils auf § 48 Abs. 4 (s.o. Rn 626 ff). § 49 Abs. 5 trifft eine Regelung zur zuständigen Behörde, welche § 48 Abs. 5 entspricht (s.o. Rn 629).
6. Rechtsfolgen des Widerrufs
646
Nach § 49 Abs. 4 wird der widerrufene VA mit dem Wirksamwerden des Widerrufs unwirksam, es sei denn, die Behörde bestimmt einen späteren Zeitpunkt. § 49 Abs. 4 ergänzt §§ 43 Abs. 2 und 49 Abs. 1–3. Dabei kann ein sonstiger begünstigender VA nach Abs. 2 nur mit Wirkung für die Zukunftwiderrufen werden. Im Unterschied dazu kommt bei einem geldwerten VA nach Abs. 3 auch ein Widerruf mit Wirkung für die Vergangenheitin Betracht. Eine solche ex-tunc-Wirkung ist auch erforderlich, wenn die Behörde geldwerte und ähnliche Leistungen zurückfordern möchte. Denn wenn sie in diesen Fällen lediglich mit einer ex-nunc-Wirkung widerriefe, würde der VA einen Grund bilden, die erlangte Leistung zu behalten. Zum Ausdruck kommt dieses Erfordernis einer ex-tunc-Wirkung in § 49a Abs. 1 S. 2: Danach sind erbrachte Leistungen nur dann zu erstatten, wenn der VA mit Wirkung für die Vergangenheit aufgehoben wurde (dazu ausf. Rn 919).
647
Nach § 49 Abs. 6 steht demjenigen, der vom Widerruf eines VA betroffen ist, unter bestimmten Voraussetzungen ein Ersatz des Vermögensnachteilszu. Ein Ersatz des Vermögensnachteils wird nur gewährt in den Fällen des § 49 Abs. 2 Nrn 3–5. Die Nrn 1 und 2 des § 49 Abs. 2 sind bewusst nicht aufgenommen worden, weil in diesen Fällen der Begünstigte des VA mit einem Widerruf rechnen musste, Nr 1, bzw der Widerruf durch sein Verhalten bedingt war, Nr 2. Der Begünstigte muss ferner auf den Bestand des VA vertraut haben; sein Vertrauen muss schutzwürdig sein – insoweit gilt § 48 Abs. 3 S. 3–5 entsprechend; auf die insoweit gemachten Ausführungen ist zu verweisen (s.o. Rn 622 ff).
648
Nach § 49 Abs. 6 S. 3 ist für Streitigkeiten über die Entschädigung der ordentliche Rechtsweggegeben. Die gesetzgeberische Entscheidung beruht auf folgendem Umstand: Es ist möglich, dass es sich bei dem Anspruch nach § 49 Abs. 6 um einen Anspruch aus Enteignung oder aus Aufopferung handelt, für die Art. 14 Abs. 3 S. 4 GG den Rechtsweg zu den Zivilgerichten vorschreibt (dazu Rn 1017). An dieser Rechtswegregelung kann das VwVfG nichts ändern; als einfaches Gesetz ist es an die Aussagen des Grundgesetzes gebunden. § 49 Abs. 6 hat deshalb klarstellende Bedeutung.
Teil III Handlungsformen der Verwaltung› § 15 Die behördliche Aufhebung von Verwaltungsakten› VIII. Aufhebung unionsrechtswidriger Verwaltungsakte
VIII. Aufhebung unionsrechtswidriger Verwaltungsakte
1. Reichweite des Effektivitätsprinzips
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