bb) Regelbeispiele für nicht schutzwürdiges Vertrauen
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§ 48 Abs. 2 S. 3 enthält Beispiele, wann Vertrauen nicht schutzwürdig ist. Die in S. 3 genannten Ausschlusstatbestände sind nicht abschließend. Zwar fehlt es im Unterschied zur Regelung in Abs. 2 S. 2 am Zusatz „ in der Regel “. Maßgebende Kriterien sind jedoch auch hier die Betätigung des Vertrauens und dessen Schutzwürdigkeit nach Abs. 2 S. 1[44]. Der Vertrauensschutz entfällt bspw. dann, wenn ein Begünstigter einen VA mit dem Ziel anficht, eine größere Begünstigung zu erhalten[45]. Nach § 48 Abs. 2 S. 4 ist der VA in den Fällen des S. 3 in der Regel mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Eine Ausnahme von dieser Regel darf für Nr 3 angenommen werden; es kann auf den Zeitpunkt der Kenntnis der Rechtswidrigkeit des VA abgestellt werden.
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Nach Nr 1entfällt Vertrauensschutz für den Begünstigten, wenn er den VA durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkthat. Die Norm ist verfassungsrechtlich unbedenklich[46]. „Erwirken“ fordert ein zweck- und zielgerichtetes Handeln, das auf den Erlass eines VA gerichtet ist[47]. Hinreichend ist, dass der Begünstigte durch Anstiftung oder Beihilfe den Erlass des VA erwirkt hat. Arglist liegt bereits dann vor, wenn sich der Betreffende der Unrichtigkeit bewusst ist oder sie zumindest für möglich hält, jedoch billigend in Kauf nimmt[48]. Das Merkmale des Erwirkens beinhaltet eine Kausalität: Die Täuschung muss kausalnicht für den Erlass des VA, sondern für seine Fehlerhaftigkeitgewesen sein[49]. Wenn sich eine durch Nr 1 erfasste Handlung zwar auf die Willensbildung der Behörde, nicht aber auf die Rechtmäßigkeit des VA ausgewirkt hat, ist Nr 1 unanwendbar.
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Nach Nr 2entfällt ein Vertrauenstatbestand ferner, wenn der Begünstigte den VA durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständigwaren. Auf ein Verschulden kommt es dabei nicht an[50]
. Die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der Angaben müssen für den Erlass des VA kausal sein[51]. Geringfügige Unstimmigkeiten sind bedeutungslos. Zur Kausalität muss hinzutreten, dass die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der Angaben für den Erlass des VA von wesentlicher Bedeutung sind. Davon ist auszugehen, wenn die Behörde bei Kenntnis der vollständigen Angaben den VA nicht erlassen hätte. Im Hinblick auf das Erwirken gilt das zu Nr 1 Gesagte.
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Ein Vertrauenstatbestand entfällt nach Nr 3schließlich dann, wenn der Begünstigte die Rechtswidrigkeit des VA kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Es kommt auf den Zeitpunkt des Erlasses des VA an; bei VAen mit Dauerwirkung kann auch ein späterer Zeitpunkt in Betracht kommen. Grobe Fahrlässigkeit ist wie in § 277 BGB zu interpretieren: Die im Verkehr erforderliche Sorgfalt muss in besonders schwerem Maße verletzt werden[52]. Die Rechtswidrigkeit des VA muss sich auf Grund einer Parallelwertung in der Laiensphäre ergeben. Davon ist zB auszugehen, wenn ein deutlich überhöhter Geldbetrag gewährt wird. Ob grobe Fahrlässigkeit anzunehmen ist, ist nach den Fähigkeiten des Betroffenen zu beurteilen: Ein promovierter Diplom-Volkswirt handelt deshalb eher grob fahrlässig als ein „Normalbürger“[53]; bei einem Volljuristen grobe Fahrlässigkeit zu verneinen, ist wohl nur schwer möglich. Die Behörde ist beweispflichtig für das Vorliegen der Voraussetzungen der Nr 3[54].
cc) Regelbeispiele für schutzwürdiges Vertrauen
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Ein Vertrauenstatbestand ist nach § 48 Abs. 2 S. 2 in der Regel vorhanden, wenn der Begünstigte gewährte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Vom Leistungsverbrauchist in der Regel bei geringfügigen Leistungen grundsätzlich auszugehen[55]. Eine von S. 2 erfasste Vermögensdisposition liegt bspw. beim Abschluss eines Exportvertrags im Hinblick auf Subventionen oder bei der Übernahme von Abzahlungsverpflichtungen vor[56]. Ein Leistungsverbrauch fehlt, wenn eine Geldleistung zur Schuldentilgung oder zur Zahlung von Anschaffungen verwendet wird, die wertmäßig im Vermögen des Begünstigten noch vorhanden sind[57]. Leistungsverbrauch und Vermögensdisposition müssen in ursächlichem Zusammenhangmit dem Vertrauen in den Bestand des VA stehen. Vermögensdisposition i.S.d. Gesetzes ist jedes Verhalten, welches Auswirkungen auf den Vermögensstand hat; dazu zählen auch Unterlassungen. Es ist im Einzelfall möglich, dass auch im Falle des Verbrauchs von Leistungen das Vertrauen entfällt; das öffentliche Interesse an der Rücknahme eines VA kann im Einzelfall das private Interesse am Bestand des VA überwiegen.
Beispiel:
Die unter einem „Widerrufsvorbehalt“ gewährte Subvention bewirkt einen Verlust des Vertrauensschutzes. Allerdings muss der Widerrufsvorbehalt seinerseits rechtmäßig sein (s.o. Rn 429).
3. Der sonstige begünstigende Verwaltungsakt
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§ 48 Abs. 3 behandelt die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden VA, der nicht unter Abs. 2 fällt.
Beispielsfälle:
alle Erlaubnisse, wie zB eine Fahrerlaubnis; die Feststellung der Staatsangehörigkeit; die Zurückstellung vom Wehrdienst; die Zulassung eines Schülers zu einer Ausbildungsstufe[58]; die Anerkennung als Asylbewerber; die Baugenehmigung; die unteilbare Sachleistung; die Jagderlaubnis[59].
b) Auswirkungen des Vertrauensschutzes
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Auch bei sonstigen begünstigenden VAen kann schutzwürdiges Vertrauen in einem Spannungsverhältnis zur Aufhebung eines rechtswidrigen VA stehen. Dies wird in § 48 Abs. 3 S. 1 und 2 explizit vom Gesetzgeber anerkannt. Während sich das schutzwürdige Vertrauen bei geldwerten VAen nach § 48 Abs. 2 als Bestandsschutz ausgestaltet (der VA darf nicht zurückgenommen werden, s.o. Rn 612), gewährt er bei den sonstigen VAen Vermögensschutz: Der VA darf zurückgenommen werden; allerdings ist der Betroffene auf Antrag zu entschädigen (dazu sogleich Rn 622 ff)[60].
c) Die Rücknahmeentscheidung
621
Die Rücknahme nach § 48 Abs. 3 erfolgt nach pflichtgemäßem Ermessender zuständigen Behörde[61]. Fraglich erscheint, ob schutzwürdiges Vertrauen nicht erst bei der Entschädigung, sondern bereits bei der Ermessenentscheidung über die Rücknahme berücksichtigt werden darf[62]. Hier widerspräche es einerseits zwar der Wertung des Gesetzgebers, wenn der von ihm beabsichtigte Vermögensschutz ohne Weiteres in einen Bestandsschutz umgewandelt würde. Es wäre andererseits aber nur schwerlich mit dem rechtsstaatlichen Fundament des Vertrauensschutzesvereinbar, ihn an dieser Stelle schlechthin auszublenden. Allerdings ist das Gewicht des Vertrauensschutzes in der vorzunehmenden Abwägung gegenüber der Rücknahme nach Abs. 2 vermindert und vermag nur bei besonderer Begründung das öffentliche Interesse an der Aufhebung eines rechtswidrigen VA zu überwiegen[63]. Dies ist etwa der Fall, wenn der Betroffene durch die Rücknahme einen immateriellen Schaden erleiden würde, vor dem ihn gerade der Bestand des VA geschützt hat: Ein solcher Schaden wäre unersetzbar, sodass der Betroffene überhaupt nicht geschützt wäre; in diesem Fall überschritte die Rücknahme des VA die Grenzen zulässiger Ermessensausübung[64].
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