Beispiele:
• |
Für den ersten Ausnahmefall ist bspw. auf die §§ 130, 172 ff AO[2] oder auf §§ 44 ff SGB X (Sa. Ergänzungsband Nr 410) hinzuweisen[3]. |
• |
Für den zweiten Fall sind zu nennen: § 15 GastG für die Gaststättenerlaubnis[4]; § 17 AtG für atomrechtliche Genehmigungen; § 45 WaffG (Sa. I Nr 820) für waffenrechtliche Erlaubnisse[5]; § 14 BBG für beamtenrechtliche Ernennungen[6]. |
596
Auch dann, wenn in einem Gesetz den §§ 48, 49 entsprechende Spezialregelungen fehlen, können die §§ 48, 49 im Einzelfall verdrängt sein. Das ist der Fall, wenn eine klare Zielsetzung des Spezialgesetzes dahin festgestellt werden kann, auf der Grundlage des § 1 die Vorschriften der §§ 48, 49 nicht zur Anwendung gelangen zu lassen.
Beispiel:
Die Rücknahme einer Aufenthaltsberechtigung nach dem (jetzt abgelösten) Ausländergesetz[7].
Demgegenüber kommt jedoch neben dem Bundesvertriebenen- und Flüchtlingsgesetz (BVFG) § 48 ergänzend zur Anwendung[8]
. Auch die Straßenverkehrszulassung-Ordnung enthält keine Sonderregelungen[9]. Schließlich kommt auch bei Planfeststellungsbeschlüssen eine Aufhebung nach § 48 als ultima ratio in Betracht, sofern nicht nachträgliche Schutzauflagen ausreichend sind[10].
2. Teilweise Modifizierung durch das Unionsrecht
597
Keine echte Verdrängung, aber doch eine erhebliche Modifizierung der Regelungen des § 48 bewirkt das Unionsrecht. Das Effektivitätsprinzip verlangt nach allgemeinen Grundsätzen, dass die Vorgaben des Unionsrechts bei der Anwendung des nationalen Rechts nicht praktisch unmöglich gemacht oder unzumutbar erschwert wird (s.o. Rn 53). Relevant wird dies insbes. bei der Aufhebung eines unionsrechtswidrigen Beihilfebescheids: Der Anwendungsvorrang in Verbindung mit dem Effektivitätsprinzip verlangt hier die unionsrechtskonforme Auslegung flexibler Bestimmungen und führt zu einer Verdrängung entgegenstehenden innerstaatlichen Rechts (dazu ausf. Rn 649 ff)[11].
Teil III Handlungsformen der Verwaltung› § 15 Die behördliche Aufhebung von Verwaltungsakten› III. Grundstrukturen der §§ 48, 49 VwVfG
III. Grundstrukturen der §§ 48, 49 VwVfG
598
Die §§ 48, 49 unterscheiden vier Grundfälleder Aufhebung eines VA; Ausgangspunkt für diese Grundfälle ist die Wirkung des VA für den Betroffenen:
• |
die Rücknahme eines rechtswidrigen belastenden VA, § 48 Abs. 1 S. 1; |
• |
die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden VA, § 48 Abs. 1 S. 2; |
• |
den Widerruf eines rechtmäßigen belastenden VA, § 49 Abs. 1; |
• |
den Widerruf eines rechtmäßigen begünstigenden VA, § 49 Abs. 2, 3. |
599
Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeitbeziehen sich auf den ursprünglich erlassenen VA[12]. Tritt die Rechtswidrigkeit später ein, wirkt sie aber auf den Zeitpunkt des Erlasses des VA zurück, so handelt es sich um den Fall eines ursprünglich rechtswidrigen VA[13]. Die Rücknahme eines VA dient der Korrektur eines ursprünglichen Fehlers. Der Widerruf eines VA dient der Anpassung an eine veränderte Sach- oder Rechtslage; teilweise geht es auch einfach darum, den Fortbestand eines VA wegen mangelnden Interesses zu beseitigen[14].
600
Abweichendes gilt bei Dauerverwaltungsakten, wie etwa einem Versorgungsfestsetzungsbescheid (zum Begriff des Dauer-VA s.o. Rn 381). Ändern sich hier nachträglich die Umstände und wird ein zunächst rechtmäßiger VA rechtswidrig, so kommt ab Eintritt der Rechtswidrigkeit die Bestimmung des § 48 zur Anwendung[15]
. Hingegen ist bei Planfeststellungsbeschlüssen, welche oftmals die Errichtung und den Betrieb größerer Infrastruktureinrichtungen (wie etwa Flughäfen) zum Gegenstand haben, der Zeitpunkt des Erlasses maßgebend[16].
601
Rücknahme und Widerruf betreffen nicht nur einen vollständigen VA, sondern können sich auch auf Teile eines VAbeziehen. Voraussetzung ist die sachliche Teilbarkeit eines VA (dazu bereits Rn 564und Rn 570).
Beispiele:
Ein Leistungsbescheid in bestimmter Höhe wird um einen bestimmten Betrag widerrufen. Eine Baugenehmigung für den Bau eines zehngeschossigen Hauses wird zurückgenommen; es dürfen nur fünf Geschosse gebaut werden.
602
Bei Dauer-VAen können Rücknahme und Widerruf zeitlich beschränktsein. Die Aufhebung kann den gesamten Geltungszeitraum des VA betreffen; sie wirkt dann ex tunc. Sie kann aber auch erst ab einem bestimmten Zeitpunkt wirksam werden; die Aufhebung wirkt dann ex nunc.
Beispiel:
Ein Leistungsbescheid, der eine monatliche Leistung festsetzt (zB BAföG), kann vollständig für die Vergangenheit und die Zukunft zurückgenommen werden, aber auch ab einem bestimmten Zeitpunkt nur für die Zukunft widerrufen werden (Student S gewinnt den Jack-Pot im Lotto[17]).
603
Umstritten ist, ob auch ein unwirksamer, insbes. nichtiger VAaufgehoben werden kann. Zwar entfaltet ein unwirksamer VA gemäß § 43 Abs. 2 und 3 keine Wirksamkeit mehr (s.o. Rn 455). Eine Aufhebung mit der ihr immanenten Gestaltungswirkung ist daher eigentlich nicht erforderlich. Im Interesse der Rechtssicherheit ist die Behörde jedoch gehalten, den mit dem unwirksamen VA verbundenen Rechtsschein zu beseitigen. §§ 48, 49 sind daher auf diese Fälle analog anzuwenden[18]. Zu beachten ist auch, dass ein rechtswidriger VA geheilt werden kann; liegt eine Heilungvor, entfällt die Rücknahme. Widerrufen werden kann ein VA auch dann, wenn er rechtswidrigist; die Rücknahmegründe erweitern die Widerrufsmöglichkeiten[19]
. Im Falle eines Widerrufs kann deshalb die Frage, ob der VA rechtmäßig oder rechtswidrig ist, unentschieden bleiben – jedenfalls bei nicht begünstigenden VAen[20].
604
Rücknahme und Widerruf sind selbst VAe[21]. Die sachliche Zuständigkeitfür die Rücknahme und den Widerruf richtet sich zunächst nach dem jeweiligen Fachrecht[22]
. Trifft dieses keine Regelung, so ist diejenige Behörde sachlich zuständig, die zum Zeitpunkt der Aufhebung auch für den Erlass des originären VA zuständig wäre[23]
. Die örtliche Zuständigkeit bestimmt sich nach § 3, auf den sowohl § 48 Abs. 5 als auch § 49 Abs. 5 verweisen.
605
Der Erlass dieser VAe bildet den Endpunkt eines neuen Verwaltungsverfahrensi.S.d. § 9[24]. Rücknahme und Widerruf müssen selbst rechtmäßig sein – also den formellen Anforderungen eines VA genügen und materiell-rechtlich von den §§ 48 oder 49 gedeckt sein. §§ 48, 49 sind materiell-rechtliche Ermächtigungsgrundlagen[25]
; als Annexmaterie zum Erlass eines VA haben sie ihre Stellung im VwVfG gefunden. Rechtswidrige Rücknahmen oder Widerrufe können nach § 43 Abs. 2 wirksam werden, unterliegen aber wie jeder VA dem Widerspruch und der Anfechtungsklage. Stellt ein Gericht die Rechtswidrigkeit eines Widerrufs oder einer Rücknahme fest und hebt es den Bescheid auf, gilt der ursprüngliche VA weiter[26].
Читать дальше