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§ 45 Abs. 2 enthält eine zeitliche Schranke der Heilungsmöglichkeit. Handlungen nach Abs. 1 können in der seit dem Jahr 2003 gültigen Fassung bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrensnachgeholt werden[62]. Allerdings ist auch das Gebot der realen Fehlerheilung zu beachten, insbes. bei der praktisch besonders bedeutsamen Nachholung einer Anhörung. Denn während das Verwaltungsverfahren typischerweise ergebnisoffen ist (oder zumindest sein sollte), ist das gerichtliche Verfahren aus Sicht der Behörde oftmals nur auf die Verteidigung der bereits getroffenen Entscheidung beschränkt. Daraus folgt, dass eine reale Fehlerheilung regelmäßig nur im Verwaltungsverfahren möglich ist[63]. Demgegenüber kann eine Heilung im weiteren Sinne durch ein ergänzendes Verfahren (s.o. Rn 573) oftmals erst während eines gerichtlichen Verfahrens erfolgen, da es eine spezifische Reaktion auf die gerichtliche Feststellung eines Fehlers bildet[64].
4. Rechtsfolgen der Heilung
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Wird die Verfahrenshandlung, insbes. die Anhörung, nach dem zuvor Gesagten ordnungsgemäß nachgeholt, so tritt die Heilung mit ex-nunc-Wirkungein[65]. Tritt die Heilung ein, so bleibt ein wegen des Verfahrensfehlers eingelegter Rechtsbehelf erfolglos[66]: Die Behördenentscheidung darf wegen dieses Verfahrensfehlers nicht aufgehoben werden. Er kann aber aus anderen, insbes. inhaltlichen Gründen erfolgreich sein. Hinzuweisen ist zudem auf die besondere Bestimmung des § 45 Abs. 3, die inhaltlich in den Zusammenhang der Widerspruchsfrist – § 70 VwGO – und Vorschriften zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gehört. Nach ihr gilt die Versäumung der Rechtsbehelfsfrist als nicht verschuldet, wenn beim Verwaltungsakt die erforderliche Begründung fehlt oder die erforderliche Anhörung eines Beteiligten vor Erlass unterblieben ist und dadurch die rechtzeitige Anfechtung des Verwaltungsaktes versäumt wurde[67].
Teil III Handlungsformen der Verwaltung› § 14 Der fehlerhafte Verwaltungsakt› V. Die Unbeachtlichkeit von Verfahrens- und Formfehlern
V. Die Unbeachtlichkeit von Verfahrens- und Formfehlern
1. Zweck und Reichweite des § 46 VwVfG
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Nach § 46 kann die Aufhebung eines VA, der nicht nach § 44 nichtig ist, nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Der Bestimmung des § 46 liegt daher – ebenso wie bei § 45 (s.o. Rn 571) die Vorstellung von der rein dienenden Funktion des Verwaltungsverfahrenszugrunde.
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Auch hier ist jedoch auf den Gegentrend einer Aufwertung des Verfahrensgedankenshinzuweisen, der insbes. durch das Unionsrecht gestärkt wird. Auch hier besteht – ebenso wie auch bei § 45 VwVfG – ein Spannungsverhältnis zwischen der möglichen Unbeachtlichkeit nach § 46 VwVfG und dem Gebot einer effektiven Wahrnehmung der durch Unionsrecht begründeten Verfahrensrechte. Die Grenzen der Unbeachtlichkeit von Verfahrensverstößen in unionsrechtlich relevanten Verfahren (also solche nach den Richtlinien zur Umweltverträglichkeit über Industrie-Emissionen) hat der Europäische Gerichtshofin seiner Grundsatzentscheidung vom 7.11.2013 aufgezeigt[68]: Danach können zwar auch Verfahrensfehler unbeachtlich sein. Dies muss jedoch die Ausnahme bleiben, und dem Kläger darf nicht die Beweislast für die Auswirkungen des Verfahrensfehlers auf die Sachentscheidung aufgebürdet werden. Kriterien zur Bestimmung der Beachtlichkeit sind dabei die Schwere eines Fehlers sowie die Zielsetzungen der betreffenden Richtlinie[69]. Dies hat zu einer Neuregelung in § 4 Abs. 1a UmwRG geführt. Da sich die Judikatur des EuGH jedoch auf unionsrechtlich relevante Verfahren beschränkt, verbleibt es im Übrigen – zumindest vorläufig – bei der Regelung des § 46.
2. Anwendungsbereich des § 46 VwVfG
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Nach der lange gültigen Fassung des § 46 konnte die Aufhebung nicht begehrt werden, „wenn keine andere Entscheidung in der Sache hätte getroffen werden können“. Daraus wurde abgeleitet, dass sich der Anwendungsbereich des § 46 auf gebundene Entscheidungenbeschränkt (zum Begriff s.o. Rn 395). Mit der Neufassung des Jahres 1996 wollte der Gesetzgeber den Anwendungsbereich der Norm auf Ermessensentscheidungen ausdehnen, wenn die Behörde ohne den Fehler keine andere Entscheidung getroffen hätte[70]. Gleichwohl wird zu Recht nach wie vor angenommen, dass bei Entscheidungen mit einem Beurteilungs-, Ermessens- oder Abwägungsspielraum(s.o. Rn 396) eine Unbeachtlichkeit zumindest grundsätzlich nicht in Betracht kommt[71]. Hier ist es im Grunde kaum jemals „offensichtlich“, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat, weil Verfahrensrechte gerade dazu da sind, die Entscheidung zu beeinflussen[72]. Etwas anderes – also eine Anwendbarkeit des § 46 – ist lediglich bei einer Ermessensreduzierung auf Null anzunehmen. Denn diese steht im Ergebnis einer gebundenen Entscheidung gleich (zum Begriff s.o. Rn 218).
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Nicht zur Anwendung kommt § 46 zudem bei absoluten Verfahrensfehlern[73]. Die Absolutheit dieser zugrundeliegenden Rechte äußert sich darin, dass eine Klage bei einer Verletzung dieser Rechte selbst dann erfolgreich ist, wenn bei Einhaltung der Bestimmung das materielle Entscheidungsergebnis unverändert bliebe[74]. Von einem absoluten Verfahrensfehler sollte daher lediglich dann gesprochen werden, wenn nach der expliziten Wertung des Gesetzgebers oder Anerkennung durch die Gerichte keine Auswirkungen eines Verfahrensfehlers auf die Sachentscheidung zu prüfen sind. Dies ist etwa bei den in § 4 Abs. 1 UmwRG genannten, besonders schwerwiegenden Verfahrensverstößen der Fall[75].
3. Voraussetzungen des § 46 VwVfG
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§ 46 nennt drei Fehlerquellen:
• |
das Verfahren, |
• |
die Form oder |
• |
die örtliche Zuständigkeit. |
Verstöße gegen die sachliche oder instanzielle Zuständigkeit einer Behörde sind nicht erfasst und deshalb beachtlich; sie können aber möglicherweise nach § 45 geheilt werden (s.o. Rn 568). Auch materiell-rechtliche Fehler erfasst § 46 nicht[76]. Auch die erfassten Verstöße dürfen nicht zur Nichtigkeit geführt haben, wie sich aus dem Wortlaut des § 46 ergibt.
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Zudem muss offensichtlichsein, dass der Fehler die Sachentscheidung nicht beeinflussthat. Nach der Rechtsprechung besteht die Offensichtlichkeit dann nicht, wenn nach den Umständen des Einzelfalls die konkrete Möglichkeit besteht, dass ohne den angenommenen Verfahrensmangel die Entscheidung anders ausgefallen wäre[77]. § 46 greift allerdings nur bei Alternativlosigkeit der Sachentscheidung ein[78]. Dies ist bei gebundenen Entscheidungen dann der Fall, wenn die materiellen Voraussetzungen vorliegen[79]. Bei Entscheidungen mit einem Beurteilungs-, Ermessens- oder Abwägungsspielraum scheidet eine Unbeachtlichkeit nach § 46 hingegen regelmäßig aus; denn dann besteht in der Regel eine Entscheidungsalternative, oder ihr Fehlen ist zumindest nicht offensichtlich. Etwas anderes gilt lediglich für den besonderen Fall einer Ermessensreduzierung auf Null (s.o. Rn 583). Auch bei der Mitwirkung eines nicht mitwirkungsberechtigten Mitglieds an einer Gremiensitzung besteht die Möglichkeit einer Beeinflussung der anderen Gremienmitglieder und damit einer abweichenden Entscheidung[80].
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