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Die Rechtswidrigkeit des VA hat seine Aufhebbarkeitzur Folge. Die Aufhebung kann entweder die Behörde selbst vornehmen oder durch den Bürger erzwungen werden: mit Hilfe eines Widerspruchs, oder, falls der Widerspruch erfolglos bleibt, mit Hilfe der Anfechtungsklagenach § 42 Abs. 1 VwGO durch das Verwaltungsgericht. Man spricht vom rechtswidrigen VA deshalb auch als von einem anfechtbaren VA; dieser Sprachgebrauch ist sachlich unzutreffend, weil auch rechtmäßige VAe anfechtbar sind. Nur hat die Anfechtungsklage keinen Erfolg.
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Ebenso wie ein VA nur teilnichtig sein kann, s. § 44 Abs. 4, kann ein VA auch nur teilweise rechtswidrigsein; an diesen Umstand knüpft § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO an, wenn dort die Rede davon ist, dass das Gericht den angegriffenen VA aufhebt, „soweit“ er rechtswidrig ist[45]. Voraussetzung dafür, nur einen Teil eines VA für rechtswidrig zu erklären, ist, dass der verbleibende Teil des VA noch einen selbstständigen Sinn behält. Ferner muss die Behörde befugt sein, den verbleibenden Teil allein zu erlassen. Handelt es sich um einen VA, der auf einer Norm basiert, die der Behörde Ermessen oder einen Beurteilungsspielraum zuspricht, dann muss der verbleibende Teil-VA dem Behördenwillen entsprechen.
Teil III Handlungsformen der Verwaltung› § 14 Der fehlerhafte Verwaltungsakt› IV. Die Heilung eines rechtswidrigen Verwaltungsakts
IV. Die Heilung eines rechtswidrigen Verwaltungsakts
1. Zweck und Reichweite des § 45 VwVfG
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Die Verletzung von Verfahrens- und Formvorschriften, die den VA nicht nichtig macht, ist nach § 45 Abs. 1 in fünf Fällenheilbar[46]. Die größte praktische Bedeutung liegt in der Heilung eines Anhörungsfehlersnach § 45 Abs. 1 Nr 3. Erfolgt das Nachholen rechtmäßig, entfällt der Fehler des VA. § 45 Abs. 1 basiert auf der Idee, dass VAe, die ausschließlich in ihrer Entstehung Mängel aufweisen, in der Sache rechtmäßig sein können und deshalb nicht von vornherein zur Gänze rechtswidrig sein sollen. Sanktionslose Vorschriften fördern allerdings die Neigung, ihre Anwendung aus vermeintlichen Gründen der Verwaltungseffizienz wie der Praktikabilität, Flexibilität, Beschleunigung und Vereinfachung des Verfahrens zu vernachlässigen[47]. Die Existenz sanktionsloser Verfahrensvorschriften wird mit dem Hinweis gerechtfertigt, das Verfahrensrecht habe gegenüber dem materiellen Recht nur eine dienende Funktion[48]. Das Verwaltungsverfahren unterliegt jedoch einem Bedeutungswandel. Immer stärker setzt sich die Erkenntnis durch, dass das Verfahrenzwar keinen Selbstzweck, aber doch einen gewissen Eigenwertaufweist (s.o. Rn 170)[49]. Nochmals verstärkt wird diese Entwicklung durch die Einflüsse des Unionsrechts, das ebenfalls eine Aufwertung des Verfahrensgedankens fordert[50].
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All dies steht einer allzu großzügigen Auslegung der Heilungsmöglichkeiten entgegen. Bereits nach dem Wortlaut des § 45 Abs. 1 ist eine Heilung ausgeschlossen, wenn ein Verfahrensfehler zur Nichtigkeit führt (s.o. Rn 548 ff). Zudem gilt das Gebot der realen Fehlerheilung: Der Betroffene ist durch die Heilung so zu stellen, wie er bei einem korrekten Ausgangsverfahren gestanden hätte. Dies bedeutet für die praktisch besonders bedeutsame Heilung eines Anhörungsfehlers, dass die Behörde das Vorbringen erkennbar zum Anlass nehmen muss, ihre Entscheidung kritisch zu überdenken[51]
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2. Heilungsmöglichkeiten im Einzelnen
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Die Heilung nach § 45 kann wichtige Gruppen von Verfahrensfehlern kompensieren, doch erfasst sie auch nur diese. Die Aufzählung ist nach der Konzeption des Gesetzes abschließend(„unbeachtlich, wenn“) und kann daher zumindest grundsätzlich nicht auf weitere Verfahrensfehler erstreckt werden[52]. Nicht im Gesetz genannt ist zwar die Heilung der fehlerhaften Nichtbeteiligung von Umweltvereinigungen (s.o. Rn 508). Hier ist nach der Rechtsprechung allerdings grundsätzlich eine Heilung analog § 45 Abs. 1 Nr 3 möglich[53]. Jenseits der Regelung liegt eine Heilung durch ein sog. „ergänzendes Verfahren“. Dieses Instrument wurde im Planungsrecht entwickelt und dient ebenfalls der nachträglichen Behebung von Verfahrensfehlern. Es kann daher als Heilung i.w.S. bezeichnet werden[54].
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Grundsätzlich heilbar ist zunächst gemäß § 45 Abs. 1 Nr 1das Fehlen eines Antragsbei einem antragsbedingten VA. Das Nachholen des Antrags ist möglich bis zum Abschluss der letzten gerichtlichen Tatsacheninstanz. Er kann ausdrücklich oder konkludent gestellt werden. Der Antrag kann deshalb konkludent in der Klageschrift gegen den erlassenen VA gesehen werden[55]. Nr 1 verdrängt Antragsfristen, zB zur Erlangung von Subventionen, die Ausschlussfristen sind, nicht. Die Versäumung einer solchen Frist ist nach Nr 1 nicht heilbar.
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Auch die erforderliche Begründung eines VAkann gemäß § 45 Abs. 1 Nr 2nachgeholt werden (ebenso wie für die nachfolgenden Tatbestände, jedoch nur innerhalb einer bestimmten Frist; dazu im Folgenden). Heilung tritt nur ein, wenn die nachträglich gegebene Begründung den Voraussetzungen des § 39 entspricht. Kein unmittelbarer Anwendungsfall der Nr 2 liegt vor, wenn eine Begründung, die den verfahrensrechtlichen Anforderungen des § 39 genügt, die zutreffenden Rechtsgründe verfehlt, die die getroffene Entscheidung sachlich rechtfertigen (sog. „Nachschieben von Gründen“)[56].
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Weiterhin kann die nach § 28 gebotene Anhörung eines Beteiligtengemäß § 45 Abs. 1 Nr 3nachgeholt werden[57]. Das Nachholen führt freilich nur dann zur Heilung des VA, wenn die Funktion der Anhörung noch erreichbar ist. Wird die Anhörung erst im gerichtlichen Verfahren nachgeholt, so kann der Zweck der Anhörung grds. nicht mehr erfüllt werden[58]. In der Einlegung des Widerspruchs liegt die Nachholung der Anhörung jedoch nicht; läge in dem Gebrauchmachen von diesem Rechtsbehelf bereits die Heilung, liefe § 45 Abs. 1 Nr 3 leer. Ebenso wenig liegt in der Widerspruchsbegründung eine Fehlerheilung[59].
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Auch die fehlende Mitwirkung eines Ausschusseskann gemäß § 45 Abs. 1 Nr 4nachgeholt werden; dieses gilt auch für solche Beschlüsse von Ausschüssen, die rechtswidrig sind[60]. Eine Heilung entfällt, wenn nach einer spezialgesetzlichen Regelung der Zweck der Mitwirkung nur durch vorherige Mitwirkung zu erreichen ist.
Beispiel:
Nach § 69 Abs. 1 BPersVG (Sa. I Nr 240) kann eine Maßnahme, die der Mitbestimmung des Personalrates unterliegt, nur mit seiner Zustimmung getroffen werden; aus der Gesamtregelung des § 69 BPersVG, insbes. seinem Abs. 5, ergibt sich, dass die Zustimmung vor Erlass der Maßnahme erteilt sein muss.
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Das zur fehlenden Mitwirkung eines Ausschusses Gesagte gilt schließlich entsprechend für die Heilung der mangelnden Mitwirkung einer anderen Behörde. § 45 Abs. 1 Nr 5 erfasst die Mitwirkung im Rahmen des Erlasses eines mehrstufigen VA. Die Heilung entfällt, wenn nach einer spezialgesetzlichen Regelung der Zweck der Mitwirkung nur durch vorherige Mitwirkung erreicht werden kann;
Beispiel:
Nach § 36 BauGB benötigt die Baugenehmigungsbehörde für den Erlass bestimmter Baugenehmigungen das Einvernehmen der Gemeinde; Einvernehmen bedeutet Willensübereinstimmung; aus dem Wortlaut der Norm ergibt sich, dass die Willensübereinstimmung vor Erlass der Baugenehmigung hergestellt sein muss; eine Heilung nach § 45 Abs. 1 Nr 5 entfällt deshalb, wenn das gemeindliche Einvernehmen nicht erteilt worden ist[61].
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