1. Erfüllung der Tatbestandsmerkmale
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Vor dem Hintergrund des Vorrangs des Gesetzes (s.o. Rn 181 f) müssen zunächst die Tatbestandsmerkmale der Ermächtigungsgrundlage erfüllt sein. Dies gilt sowohl bei belastendenals auch bei begünstigendenVAen. Enthält der Tatbestand unbestimmte Rechtsbegriffe, so ist an dieser Stelle zu prüfen, ob ein Beurteilungsspielraumder zuständigen Behörde anzuerkennen ist[113]. Dies ist lediglich in den von Rechtsprechung und Literatur anerkannten Fallgruppen anzunehmen (s.o. Rn 197 ff).
Beispiele:
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Nach der polizeilichen Generalklausel dürfen die Polizei bzw. die Ordnungsbehörden nur dann einschreiten, wenn eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung vorliegt[114]. Die Gefahr für die öffentliche Sicherheit definiert den Tatbestand. Bei diesen unbestimmten Rechtsbegriffen besteht kein Beurteilungsspielraum[115]. |
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Nach den Landesbauordnungen ist die Baugenehmigung zu erteilen, wenn einem Bauvorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die in einem Baugenehmigungsverfahren zu prüfen sind. Den Tatbestand bilden hier die öffentlich-rechtlichen Vorschriften, welche in dem Baugenehmigungsverfahren zu prüfen sind[116]. |
2. Adressat/Richtung des Verwaltungsakts (in bestimmten Fällen)
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Bei einigen VAen kann auch problematisch sein, ob die Behörde den VA an den/die richtigen Adressaten gerichtet hat. Dies ist insbes. bei belastenden VAen im Ordnungsrechtder Fall. Denn dort kann die zuständige Behörde nicht selten zwischen verschiedenen in Betracht kommenden Adressaten wählen. Die Auswahl unter den verschiedenen möglichen Adressaten steht hier im Auswahlermessender Polizei bzw. Ordnungsbehörden. Dieses Ermessen muss pflichtgemäß ausgeübt werden (s.o. Rn 210 ff)[117].
Beispiel:
Ein Polizist stößt auf einem Volksfest auf eine Schlägerei. Hier käme in Betracht, alle an der Schlägerei Beteiligten nach Hause zu schicken (sog. Platzverweisung) oder dies auf den Hauptverantwortlichen zu beschränken. Zudem könnte er das Gelände absperren lassen, damit nicht weitere bislang Unbeteiligte hinzugezogen werden. Schließlich könnte er den Veranstalter des Festes auffordern, die Festlichkeiten einzustellen, wenn nur auf diese Weise weitere Körperverletzungen zu vermeiden sind. Hier muss nach pflichtgemäßem Ermessen entschieden werden, ob eine Maßnahme gegen alle an der Schlägerei Beteiligten erfolgt, gegen den Hauptverantwortlichen, gegen Passanten oder gegen den Festveranstalter.
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Die Richtung einer Maßnahme ist aber nur dann zu prüfen, wenn mehrere Adressatenfür einen VA in Betracht kommenund unter diesen auszuwählen ist. Bei vielen, insbes. begünstigenden VAen kommt aber lediglich ein Adressat in Frage. Dies gilt etwa für die Erteilung einer Baugenehmigung. Diese richtet sich naturgemäß an den Antragsteller. In solchen Konstellationen wäre es sogar verfehlt, auf die Prüfung des richtigen Adressaten einzugehen. Etwaige Komplikationen – bspw. ein Bauantrag für ein „fremdes“ Grundstück ohne Bevollmächtigung durch den Berechtigten – müssen hier auf andere Weise gelöst werden, etwa durch Prüfung der Wirksamkeit des Antrags oder durch einen Hinweis auf die fehlende Berechtigung.
530
Stets einzugehen ist wiederum auf die Rechtsfolge. Diese muss nach der Ermächtigungsgrundlage zulässigsein. Im Übrigen ist danach zu unterscheiden, ob die Rechtsfolge der Behörde bei Erfüllung des Tatbestands verbindlich vorgegeben ist oder ob deren Anordnung in ihrem Ermessen steht. Im ersten Falle handelt es sich um eine gebundene Entscheidung. Beispiele hierfür sind etwa die Erteilung einer Baugenehmigung (vgl. etwa § 71 Abs. 1 BauO Bln oder § 6 BImSchG). Die typische Formulierung lautet hier jeweils „ist zu erteilen“. Demgegenüber belassen die Ermessensnormendie Anordnung einer Rechtsfolge dem pflichtgemäßen Ermessen der zuständigen Behörde (etwa nach § 17 Abs. 1 ASOG Bln). Die typische Formulierung lautet hier „kann“ (zu weiteren Formulierungen s.o. Rn 208)[118]. Die Anordnung der Rechtsfolge darf hier lediglich auf Ermessensfehler überprüft werden (s.o. Rn 212 ff). Besonderheiten bestehen bei der Ermessensreduzierung auf Null. Hier besteht im Ausgangspunkt ein Ermessen; allerdings erweist sich nur eine Entscheidung als ermessenfehlerfrei, so dass die Entscheidung im Ergebnis einer gebundenen gleichsteht (s.o. Rn 218).
4. Übereinstimmung mit sonstigen Rechtsgrundsätzen
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Nach § 37 Abs. 1 muss ein VA hinreichend bestimmt sein. Der hinreichend bestimmte Inhalt eines VA ist eine materielle Rechtmäßigkeitsvoraussetzung[119]. Das Bestimmtheitsgebot ist bereits aus der Vorlesung zum Staatsrecht bekannt[120]. Hier wie dort ausreichend, aber auch erforderlich ist eine hinreichende Bestimmtheit. Der Grundsatz der Bestimmtheit gilt auch für Nebenbestimmungen[121].
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Inhaltlich hinreichend bestimmt ist ein VA dann, wenn in ihm der Wille der Behörde vollständig zum Ausdruck kommt und unzweideutig für die Beteiligten des Verfahrens erkennbar ist. Maßgebend ist der objektive Erklärungsgehalt, nicht hingegen die subjektive Bewertung durch die erlassende Behörde[122]. Das Maß an Konkretisierung ist abhängig von der Art des VA, den Umständen seines Erlasses und seinem Zweck. In sich widersprüchliche und unverständliche Angaben oder Erklärungen sind unbestimmt. Dies gilt auch, wenn auf Grund eines technischen Fehlers, zB bei Ampeln, sich widersprechende oder unverständliche Regelungen ergeben. Hinreichend ist freilich, wenn sich die Bestimmtheit des VA nur aus seiner Begründung ergibt[123]. Bezugnahmen auf dem Betroffenen bekannte Unterlagen, Pläne usw sind erlaubt. Unzulässig sind hingegen Hinweise auf Unterlagen, die sich nur bei den Akten befinden[124]. Hinweise auf technische Regelwerke, zB TA Lärm oder TA-Luft, sind erlaubt, soweit diese Regelwerke allgemein zugänglich oder dem Betroffenen bekannt gemacht sind.
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Bestimmt anzugeben ist der Adressatdes VA. Die Personenangabe kann durch Pseudonym oder Künstlernamen geschehen. Umstritten ist, ob bei Eheleuten die Bestimmtheit durch eine Angabe wie „Eheleute P.“ gegeben ist; die Rechtsprechung verlangt teilweise[125] die Angabe der Vornamen. Nicht hinreichend ist jedenfalls für Partner einer nicht ehelichen Lebensgemeinschaft die Angabe „… und Partner“.
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Zur Bestimmtheit der Regelung zählt ferner, dass der geregelte Sachverhalt und die Rechtsfolgeerkennbar sein müssen. Deshalb muss bspw. bei einem grundstücksbezogenen VA das betroffene Grundstück bezeichnet werden[126]. Hinreichend bestimmt sind Anordnungen, welche Geräuscheinwirkungen über eine bestimmte Lautstärke hinaus untersagen[127], das Gebot, einen bestimmten Immissionsrichtwert einzuhalten[128], ebenso das Verbot, bei einer Demonstration Schutzhelme oder Masken zu tragen[129]
. Nicht bestimmt ist eine Anordnung, die nicht erkennen lässt, ob ein Gebäude als Einzelanlage oder als Teil eines Ensembles unter Denkmalschutz gestellt wird[130]. Unbestimmt sind auch solche Anordnungen, die wahlweise oder einander widersprechend getroffen werden[131]. Das Mittel, welches zur Erreichung des Ziels anzuwenden ist, muss in der Verfügung nicht angegeben werden, sofern gesetzlich nichts anderes bestimmt ist oder der VA nicht auf Vollstreckung angelegt ist. Ein auf Vollstreckung angelegter VA setzt die Bestimmtheit des Mittels jedoch voraus[132].
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