Beispiel:
Im Verfahren zur Erteilung einer Baugenehmigung kann der in seinem Eigentum betroffene Nachbar unabhängig vom Vorliegen einer konkret nachbarschützenden Rechtsnorm auch seine Betroffenheit im Verwaltungsverfahren geltend machen[35].
490
Die Diskussion zur Verfahrensstellung der Beteiligten konzentriert sich häufig auf deren Mitwirkungsrechte (dazu nachf. Rn 491 ff). Allerdings darf nicht vergessen werden, dass ihnen auch gewisse Mitwirkungslastenobliegen[36]. Zum Ausdruck kommt dies bereits in der Pflicht zur Mitwirkung bei der Ermittlung des Sachverhalts nach § 26 Abs. 2. Besonders stark ausgeprägt sind die Mitwirkungslasten dann, wenn ein nicht fristgerechtes Vorbringen eines Beteiligten zum Ausschluss des Vorbringens führt. Ein solcher Ausschluss wird als Präklusionbezeichnet.
Zu unterscheiden sind die formelle und die materielle Präklusion: Bei der formellenPräklusion darf das Verfahren nach Ablauf der Frist fortgesetzt werden. Erfolgt zu einem späteren Zeitpunkt ein inhaltlich für die Entscheidung relevanter Vortrag, so ist er gleichwohl zu berücksichtigen. Im Gegensatz dazu wird bei der materiellenPräklusion der Inhalt ausgeschlossen: Späterer Vortrag bleibt unberücksichtigt, sofern keine Ausnahme vorliegt. Dies gilt insbes. für nachfolgende gerichtliche Verfahren. Die materielle Präklusion ist häufig in den komplexen Verwaltungsverfahren des Umwelt- und Planungsrechts anzutreffen[37]. Hier hat der EuGH die unionsrechtlichen Grenzen einer zulässigen materiellen Präklusion aufgezeigt[38]. Die materielle Präklusion ist teilweise aber auch in den zum klassischen Examensstoff gehörenden Kernmaterien des Besonderen Verwaltungsrechts anzutreffen.
Beispiel:
Nach § 70 Abs. 1 S. 3 BauO Bln sind alle benachrichtigten Nachbarn mit ihren nicht fristgerecht vorgebrachten Einwendungen ausgeschlossen. Dabei handelt es sich um eine materielle Präklusion[39].
dd) Die Anhörung Beteiligter
491
Die bedeutsamste Rechtsfolge der Beteiligtenstellung ist das Recht auf Anhörung[40]. Es folgt zwar nicht bereits aus Art. 103 Abs. 1 GG, da dieses grundrechtsgleiche Recht auf die Anhörung „vor Gericht“ begrenzt ist; es ist jedoch anerkannt, dass das Anhörungsrecht im Verwaltungsverfahren im Rechtstaatsprinzipverankert ist[41]. § 28 Abs. 1 stellt fest, dass dann, wenn ein VA erlassen wird, der in Rechte eines Beteiligten eingreift, dem Beteiligten Gelegenheit zu geben ist, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern[42]. Daraus könnte geschlossen werden, ein Anhörungsrecht existiere nur im Falle des Erlasses eines belastendenVA. Allerdings kann es auch beim begünstigendenVA geboten sein, den Adressaten vor der endgültigen Entscheidung anzuhören. Dieses ist insbes. deshalb der Fall, weil ein Zurückbleiben hinter dem Antrag für den Antragsteller eine Belastung darstellt; deshalb kann es für das Anhörungsrecht nicht darauf ankommen, ob der zu erlassende VA ein begünstigender oder belastender ist[43]. Nur wenn die Behörde dem Antrag in vollem Umfang entsprechen und dem begünstigenden VA auch keine einschränkende Nebenbestimmung hinzufügen möchte, kommt § 28 nicht zur Anwendung[44].
492
Weder der Grundsatz des rechtlichen Gehörs noch § 28 gewähren mehr als die Gelegenheit zur Stellungnahme[45]. Die betroffene Person muss aber in die Lage versetzt werden, vor dem Erlass der Entscheidung sachdienlich Stellung zu nehmen[46]
. Es besteht deshalb für die Behörde keine Verpflichtung, den Einzelnen mit allen erlaubten Mitteln dazu zu bringen, sich zu äußern. Denkbar ist freilich, dass eine Fürsorgepflicht der Behörde für den schweigenden Beteiligten besteht, die bis zur Bestellung eines verantwortlichen Vertreters von Amts wegen gehen kann (vgl. § 16).
493
Für den Zeitpunkt der Anhörungfehlt eine gesetzliche Aussage. Als allgemeiner Grundsatz gilt jedoch, dass die Anhörung zu einem Zeitpunkt stattzufinden hat, in dem eine reale Chance auf Einflussnahme besteht[47]. Die Anhörung muss deshalb in der Regel im Vorbereitungsstadium der Entscheidung durchgeführt werden. Wenn sich im Laufe der Durchführung des Verwaltungsverfahrens eine weitere Anhörung als notwendig erweist, so muss diese durchgeführt werden. Eine solche Notwendigkeit liegt vor, wenn sich für die Rechtsstellung des Beteiligten erhebliche Veränderungen ergeben. Die Anhörung darf zudem erst dann vorgenommen werden, wenn dem Anzuhörenden bekannt ist, zu welchen Tatsachen er gehört werden soll; diese Tatsachen müssen ihm rechtzeitig mitgeteilt werden.
494
Über die Form der Anhörunggibt es keine allgemein geltenden Grundsätze. Es ist aber davon auszugehen, dass die dargestellten Funktionen der Anhörung die Behörde dazu zwingen, sich einen persönlichen Eindruck vom Betroffenen und dessen Argumenten zu verschaffen; in diesen Fällen reicht Schriftlichkeit nicht. Nach § 14 kann sich der Beteiligte in allen Phasen des Verfahrens eines Rechtsbeistands bedienen. Daneben bleibt der eigene Sachvortrag des Anzuhörenden möglich.
495
Notwendiger Inhalt und Reichweite der Anhörungrichten sich nach dem Einzelfall und nach den jeweils zur Anwendung gelangenden Rechtsnormen. § 28 Abs. 1 spricht von „erheblichen Tatsachen“. Bei verfassungskonformer Auslegung ist eine Tatsache „unerheblich“ iSv § 28, wenn auf Grund der Rechtslage nahezu ausgeschlossen ist, dass ein bestimmter Aspekt für das Verfahrensergebnis Bedeutung erlangt. Fehlt es an dieser Eindeutigkeit, muss die Behörde jede Ausführung zur Kenntnis nehmen. – Obwohl in § 28 Abs. 1 von einer Tatsachenanhörung die Rede ist, kann im Einzelfall ein Rechtsgespräch notwendig sein[48]. Das ist insbes. der Fall, wenn es um die Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe, um die Zuordnung unterschiedlicher am Verfahren beteiligter Belange oder um die Erörterung milderer Mittel im Bereich des Verhältnismäßigkeitsprinzips geht. Es kann dann dem Einzelnen nicht verboten sein, Rechts- und Tatsachenaspekte und deren Bedeutung füreinander vorzutragen.
496
Ausnahmen vom Anhörungsgebotergeben sich aus § 28 Abs. 2 und 3. Nicht zuletzt wegen der verfassungsrechtlichen Verankerung des Anhörungsrechts sind die Ausnahmetatbestände allerdings eng auszulegen[49]. Eine Ausnahme vom Anhörungsgebot muss insbes. bei grundrechtskonstituierenden oder -einschränkenden Verwaltungsverfahren entfallen. Nach § 28 Abs. 2 kann von einer Anhörung abgesehen werden, „wenn sie nach den Umständen des Einzelfalls nicht geboten ist“. Die Nrn. 1-5 führen solche Umstände auf. Die Aufzählung ist nicht abschließend („insbesondere“). Es soll der Behörde vielmehr ermöglicht werden, auch in vergleichbaren Fällen von einer Anhörung abzusehen. Die Ausnahmetatbestände lassen sich in zwei Gruppentrennen: Die Nrn. 1, 2 und 5setzen beim Gesichtspunkt „Zeitablauf“ und „Gefahr im Verzug“[50]
an, die Nrn. 3 und 4an fehlendem Interesse oder geringer Bedeutung der Anhörung. Ist ein Tatbestand erfüllt, so muss das noch nicht zum Ausschluss der Anhörung führen. Die Behörde hat zu prüfen, ob ein Ausnahmetatbestand vorliegt und ob nicht doch im Einzelfall eine Anhörung geboten ist.
ee) Die Beratung und Information Beteiligter
497
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