c) Der Untersuchungsgrundsatz
481
Gemäß § 24 Abs. 1 S. 1 ermittelt die Behörde den Sachverhalt von Amts wegen. An das Vorbringen und die Beweisanträge der Beteiligten (§ 24 Abs. 1 S. 2) ist sie nicht gebunden. Den Umfang der Beweismittel (Auskünfte, Anhörungen, Zeugen, Sachverständige, Akten, Urkunden und Augenschein) bestimmt die Behörde nach pflichtgemäßem Ermessen; die Beteiligten haben hierbei nur mitzuwirken (§ 26 Abs. 2)[19]. Insbes. in technisch komplexen Verfahren kann es zudem erforderlich sein, wissenschaftlichen und technischen Sachverstand hinzuzuziehen[20].
d) Die Beteiligung anderer Behörden
482
Eng verwoben mit der Aufklärung des Sachverhalts ist die Beteiligung anderer Behörden. Eine Vielzahl von Normen sieht die Mitwirkung anderer Behörden an der Entscheidungsfindung vor. Bei den Arten der Beteiligunganderer Behörden ist zu unterscheiden zwischen nicht konsensabhängigen (Stellungnahme, Anhörung, Benehmen) und solchen, die eine Willensübereinstimmung erfordern (Zustimmung, Einvernehmen)[21]. Entsprechende Anforderungen ergeben sich regelmäßig aus den Materien des Besonderen Verwaltungsrechts.
Beispiele:
§ 36 BauGB, § 9 Abs. 2 BFStrG.
483
Das VwVfGenthält in Rahmen des nicht-förmlichen Verfahrens nur wenige Aussagen. Die ausführlichste Regelung des § 73 Abs. 2 und 3abezieht sich auf das – im Rahmen dieses Lehrbuchs nicht schwerpunktmäßig behandelte – Planfeststellungsverfahren (s.o. Rn 177)[22]. Eine indirekte Aussage zu Behördenbeteiligung trifft zudem § 58 Abs. 2: Wird anstelle eines VA, bei dessen Erlass die Genehmigung, die Zustimmung oder das Einvernehmen einer anderen Behörde erforderlich ist, ein öffentlich-rechtlicher Vertrag geschlossen, so wird der Vertrag erst wirksam, wenn die andere Behörde in der erforderlichen Form mitgewirkt hat (dazu ausf. Rn 764 f). Diese Bestimmung ordnet die Mitwirkung einer anderen Behörde aber nicht an, sondern setzt sie voraus[23].
484
Von der Mitwirkungsberechtigung nach dem zuvor Gesagten zu unterscheiden ist die Mitwirkungsverpflichtung im Rahmen der Amtshilfe. Darunter versteht man die ergänzende Hilfe durch Auskünfte, die Überlassung von Akten und Ähnliches. Geregelt ist die Amtshilfe in §§ 4-8[24]. Im Zuge der Fortentwicklung des Europäischen Verwaltungsverbunds (s.o. Rn 166) wurden in Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie im Jahre 2009 in §§ 8a-8e auch Bestimmungen zur europäischen Verwaltungszusammenarbeitin das Gesetz aufgenommen[25].
Von der Amtshilfe ihrerseits zu unterscheiden ist die im Ordnungsrecht angesiedelte Vollzugshilfe: Dabei handelt es sich um eine originäre Aufgabe der Polizei, die in der Anwendung unmittelbaren Zwangs auf Ersuchen anderer Behörden besteht[26]. Unmittelbarer Zwang ist die Einwirkung auf Personen oder Sachen durch körperliche Gewalt, durch Hilfsmittel der körperlichen Gewalt und durch Waffen[27], während die Amtshilfe gleichsam „von Schreibtisch zu Schreibtisch“ erfolgt.
e) Die Beteiligung Betroffener
485
Die Beteiligung des von einer behördlichen Entscheidung Betroffenen am Verwaltungsverfahren ist für das VwVfG besonders wichtig. Die Wichtigkeit gelangt darin zum Ausdruck, dass § 13 Abs. 1 Nr 1 den Antragsteller und den Antragsgegner an die Spitze derjenigen setzt, die das Gesetz als Beteiligte betrachtet. Es sind im Wesentlichen drei Gründe, die für die Betroffenenbeteiligungsprechen: Die Legitimationswirkung durch die möglichst frühzeitige Beteiligung des vom Verfahrensausgang Betroffenen; der Schutz vor vollendeten Tatsachen, der ein wichtiges Element des in Art. 19 Abs. 4 GG gewährleisteten Prinzips des effektiven Rechtsschutzes ist; die ausgleichende Wirkung, die sich daraus ergibt, dass möglichst frühzeitig alle potenziell Betroffenen am Verwaltungsverfahren beteiligt werden.
aa) Beteiligten- und Handlungsfähigkeit
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Voraussetzung für eine jede Beteiligung im Verwaltungsverfahren sind die Beteiligten- und die Handlungsfähigkeit[28]. Die Beteiligtenfähigkeitals Fähigkeit, in einem Verwaltungsverfahren beteiligt zu sein, ist in § 11 geregelt und bildet die Parallele zur bereits aus dem Privatrecht bekannten Rechtsfähigkeit. Zudem enthält § 11 Nr. 3 eine bereichsspezifische Regelung für das Verwaltungsverfahren und spricht auch Behörden die Beteiligtenfähigkeit zu. Demgegenüber umschreibt die in § 12 normierte Handlungsfähigkeitdie Fähigkeit, Verfahrenshandlungen vornehmen zu können. Sie knüpft grundsätzlich an die – ebenfalls bereits aus dem Privatrecht bekannte – Geschäftsfähigkeitan und sieht zudem in Abs. 1 Nr. 4 eine bereichsspezifische Ergänzung für Behörden vor: Danach handeln Behörden durch ihre Leiter, Vertreter oder Beauftragte.
bb) Kreis der zu Beteiligenden
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Die Beteiligtenstellung Dritter nach § 13 und die damit verbundenen Verfahrensrechte knüpfen nach § 13 Abs. 2 S. 1 an die Betroffenheit in rechtlichen Interessenan. Die damit verbundene Betroffenheit im engeren Sinneist zu unterscheiden von der Betroffenheit im weiteren Sinne, bei welcher eine Betroffenheit in eigenen, auch anderen als rechtlichen Interessen ausreichend ist. Eine solche ist etwa – außerhalb des nicht-förmlichen Verfahrens – im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens anzutreffen (vgl. § 73 Abs. 4 S. 3). Schließlich finden im Zuge der zunehmenden Europäisierung des Verwaltungsverfahrens (s.o. Rn 49) zunehmend Vorschriften zur Beteiligung der „betroffenen Öffentlichkeit“ Verbreitung, etwa im Rahmen des Verfahrens zur Umweltverträglichkeitsprüfung nach § 18 Abs. 1 S. 2 UVPG. Zu dieser betroffenen Öffentlichkeit zählen insbes. die anerkannten Umweltvereinigungen[29]. Zur Abgrenzung von der nicht betroffenen Öffentlichkeit muss eine Person oder Vereinigung zumindest entfernt von einem Vorhaben berührt sein; schlicht daran „interessiert“ zu sein, genügt auch insoweit nicht[30].
488
Bei der Beteiligung Dritter, die vom Gesetzgeber als „Hinzuziehung“ umschrieben wird, ist nach § 13 Abs. 2 weiter zu unterscheiden zwischen der notwendigen Hinzuziehung nach Abs. 2 S. 2 und der einfachen Hinzuziehung nach Abs. 2 S. 1. Eine notwendige Hinzuziehung nach § 13 Abs. 2 S. 2liegt nur dann vor, wenn der Ausgang des Verfahrens eine rechtsgestaltende Wirkung für einen Dritten aufweist. Eine solche rechtsgestaltende Wirkung liegt dann vor, wenn ein Recht des Dritten unmittelbar begründet, geändert oder aufgehoben wird[31]. Liegen diese Voraussetzungen vor, so muss die zuständige Behörde den Dritten auf dessen Antrag hinzuziehen; sie hat also kein Ermessen[32].
Beispiel:
Auf Anregung eines Konkurrenten soll eine erteilte Gewerbeerlaubnis aufgehoben werden, weil der Inhaber nicht mehr die nach der GewO erforderliche Zuverlässigkeit aufweist. Dringt dieser Antrag durch, so entfaltet die Entscheidung für den Inhaber der Erlaubnis rechtsgestaltende Wirkung. Denn die Genehmigung würde aufhoben. Der Inhaber der Erlaubnis ist daher notwendig hinzuzuziehen.
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Die einfache Hinzuziehungist in § 13 Abs. 2 S. 1geregelt. Sie setzt die Berührung in rechtlichen Interessen voraus. Rechtliche Interessen sind solche, die dem Dritten durch eine Rechtsnorm im individuellen (eigenen) Interesse eingeräumt worden sind[33]. Liegen diese Voraussetzungen vor, so liegt die Hinzuziehung des Dritten nach dem Wortlaut im Ermessen der Behörde („kann“). Die einfache Hinzuziehung wird deshalb oftmals auch als fakultativeHinzuziehung bezeichnet. Allerdings kann sich nach allgemeinen Grundsätzen das Hinzuziehungsermessen auf Null reduzieren (zur Ermessenreduzierung auf Null s.o. Rn 218). Das ist insbes. dann anzunehmen, wenn Grundrechte des Dritten in nicht unerheblicher Weise tangiert sind. In einer solchen Konstellation kann – in Abgrenzung zur notwendigen Beteiligung nach § 13 Abs. 2 S. 2 – von einer obligatorischenBeteiligung gesprochen werden[34].
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