472
Wird einer Behörde die sachliche Zuständigkeit zugewiesen, so wird ihr die Erledigung der ihr zugewiesenen Aufgabe übertragen. Die Erledigung der Aufgabe kann ihr zur Pflicht gemacht werden oder ihr kann Ermessen eingeräumt werden. Die Übertragung von Aufgaben ist strikt zu trennen von der Einräumung von Befugnissen, die notwendig sind, um die Aufgabe erfüllen zu können. Befugnisse sind die Mittel, die die Behörde zur Aufgabenerfüllung benötigt.
Beispiel:
Die in den allgemeinen Polizeigesetzen enthaltene Aufgabe, Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren, geben der zuständigen Behörde nicht das Recht, gegen Personen individuell einzugreifen. Dazu gibt es die polizeilichen Befugnisnormen[8].
b) Die instanzielle Zuständigkeit
473
Die instanzielle Zuständigkeit betrifft die Frage, wer in einem hierarchisch gegliederten Behördenaufbaufür die Erfüllung einer Aufgabe zuständig ist. Sie ist ein Sonderfall der sachlichen Zuständigkeit. Sie spielt dort eine Rolle, wo die Erledigung einer Verwaltungsaufgabe Behörden verschiedener Instanzen zugewiesen ist. Einen Fall der instanziellen Zuständigkeit regelt § 73 Abs. 1 S. 2 Nr 1 VwGO; grundsätzlich erlässt die nächsthöhere Behörde den Widerspruchsbescheid, soweit nicht durch Gesetz eine andere Behörde bestimmt wird. Unabhängig von der sorgfältigen Zuordnung in Einzelfall ist im praktischen Regelfall die jeweils unterste Instanz zuständig; je komplexer und schwieriger eine Aufgabe ausgestaltet ist, umso eher weist der Gesetzgeber eine Aufgabe der (sofern vorhanden) mittleren oder oberen Instanz zu (zum Behördenaufbau s.o. Rn 131 ff).
474
Problematisch ist, ob und unter welchen Voraussetzungen übergeordnete Behörden oder Aufsichtsbehörden Aufgaben und Befugnisse wahrnehmen dürfen, welche der nachgeordneten oder zu beaufsichtigenden Stelle zugewiesen sind. Diesen Fall nennt man das Selbsteintrittsrecht der übergeordneten Behörde – vertikales Selbsteintrittsrecht. Dieses Selbsteintrittsrecht ist anzuerkennen, wenn Gesetze die übergeordnete Behörde ausdrücklich dazu ermächtigen. Nicht hinreichend ist die gesetzlich eingeräumte Weisungsbefugnis der übergeordneten Behörde. Reichte dieses aus, würde die auch für das Außenverhältnis maßgebende Zuständigkeitsordnung beschränkt.
Beispiel
für ein vertikales Selbsteintrittsrecht: Das Kommunalrecht erlaubt die aufsichtliche „Ersatzvornahme“, s. § 116 BbgKVerf. Es ist deshalb der Aufsichtsbehörde erlaubt, Bauleitpläne aufzustellen, wenn die Gemeinde ihrer Pflicht nach § 1 Abs. 3 BauGB nicht nachkommt, Bauleitpläne aufzustellen, sobald und soweit es für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung erforderlich ist.
c) Die örtliche Zuständigkeit
475
Die örtlichen Zuständigkeitsvorschriften regeln den räumlichen Tätigkeitsbereicheiner Behörde. Relevant wird die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit dann, wann nach Bejahung der sachlichen Zuständigkeit auf einer instanziellen Ebene mehrere Behörden existieren. Die Abgrenzung geschieht durch die gesetzliche Bildung bestimmter Zuständigkeitsbezirke.
Beispiel:
§ 10 LOG NW: Der Ministerpräsident gibt die Bezirke der Landesmittelbehörden und der unteren Landesbehörden (…) im Gesetz- und Verordnungsblatt nachrichtlich bekannt.
476
Eine – auch für die Klausurpraxisrelevante – Regelung zur Zuständigkeit trifft § 3. Nach dessen Abs. 1 Nr. 1 ist in Angelegenheiten, die sich auf unbewegliches Vermögen oder ein ortsgebundenes Recht beziehen, diejenige Behörde zuständig, in deren Bezirk das Vermögen oder der Ort liegt[9]. Von Bedeutung ist insbes. § 3 Abs. 1 Nr. 1für das öffentliche Baurecht. Denn die Landesbauordnungen beschränken sich typischerweise auf die Zuordnung der sachlichen Zuständigkeit zu den Bauaufsichtsbehörden[10]. Deshalb ist beim Erlass eines VA nach den Landesbauordnungen (etwa einer Baugenehmigung) auf das subsidiär anwendbare VwVfG zurückzugreifen (s.o. Rn 104 f).
477
Regelungen zur Lösung von Kompetenzkonfliktenbei örtlichen Zuständigkeitsproblemen enthält § 3 Abs. 2. Wenn mehrere Behörden nebeneinander zuständig sind, spricht man von einem positiven Kompetenzkonflikt. Er wird nach dem Prioritätsprinzip gelöst. Grundsätzlich zuständig ist die Behörde, die zuerst mit der Sache befasst war. Nach § 3 Abs. 3 kann die Aufsichtsbehörde entsprechend dem Grundsatz „perpetuatio fori“ eine bisher örtlich zuständige Behörde für weiterhin zuständig erklären. § 3 Abs. 4 erklärt bei Gefahr im Verzug für unaufschiebbare Maßnahmen jede Behörde für örtlich zuständig, in deren Bezirk der Anlass für die Amtshandlung hervortritt; die handelnde Behörde muss die nach § 3 Abs. 1 Nr 1–3 örtlich zuständige Behörde unverzüglich unterrichten. In seltenen, gesetzlich bestimmten Fällen darf im Rahmen der örtlichen Zuständigkeit eine Durchbrechung der Zuständigkeitsordnung durch das Selbsteintrittsrecht der örtlich nicht primär zuständigen Behörde erfolgen; diesen Fall nennt man horizontales Selbsteintrittsrecht.
Beispiel:
Nach § 81 Abs. 2 SPolG dürfen Polizeiverwaltungsbehörden unter bestimmten Voraussetzungen auch außerhalb ihres Bezirks tätig werden.
2. Die Einhaltung von Verfahrensvorschriften
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Die Anforderungen an das Verfahren zum Erlass eines VA ergeben sich grundsätzlich aus dem VwVfG. Soweit jedoch das Fachrecht abweichende oder ergänzende Regelungen enthält, sind diese vorrangig, da das VwVfG nur subsidiär anwendbar ist (s.o. Rn 104 f). So ist etwa im Verfahren zur Erteilung einer Baugenehmigung die Nachbarbeteiligung in den Landesbauordnungen geregelt. Deshalb bedarf es insoweit keines Rückgriffs mehr auf die Beteiligungsregelungen des VwVfG[11]. Innerhalb des VwVfG sind grundsätzlich nur die Bestimmungen des nichtförmlichen Verfahrensnach §§ 10 ff einschlägig (zu den anderen Verfahrensarten im VwVfG s.o. Rn 175 ff). In der Klausurpraxisspielen die Verfahrensanforderungen im Vergleich zur materiellen Rechtmäßigkeit zwar eine eher untergeordnete Rolle. Die Grundstrukturen sollten aber bekannt sein und werden daher im Folgenden dargestellt.
a) Einleitung des Verfahrens
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Die Behörde entscheidet gemäß § 22 grundsätzlich nach pflichtgemäßem Ermessen, ob und wann sie ein Verwaltungsverfahren durchführt[12]. Das Initiativrecht steht also der Behörde zu, doch gibt es wichtige Ausnahmen. So besteht kein Ermessen, wenn die Behörde aufgrund einer Rechtsvorschrift von Amts wegen oder auf Antrag tätig werden muss (etwa nach § 35 GewO) bzw. wenn sie nur auf Antrag tätig werden darf und ein Antrag nicht vorliegt[13]. Strikt antragsbedürftig sind etwa das Baugenehmigungsverfahren sowie das immissionsschutzrechtliche Genehmigungsverfahren (§ 68 Abs. 1 BauO Berlin; § 10 Abs. 1 S. 1 BImSchG). Aber auch ein grundsätzliches Ermessen kann sich im Einzelfall auf Null reduzieren, insbes. wenn im Bereich der Eingriffsverwaltung gewichtige Rechtsgüter gefährdet sind[14].
b) Ausschluss befangener Amtsträger
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Der Ausschluss befangener Amtsträger ist für das Verwaltungsverfahren detailliert in §§ 20 und 21 geregelt[15]. Diese Bestimmungen betreffen als allgemeiner Verfahrensgrundsatz das gesamte Verwaltungsverfahren und nicht etwa nur das Stadium der eigentlichen Entscheidung. Das Verbot für öffentliche Amtsträger, an solchen Entscheidungen mitzuwirken, die ihnen selbst, ihren Angehörigen oder diesen vergleichbar verbundenen Dritten Vor- oder Nachteile bringen können, war lange vor Geltung der Verwaltungsverfahrensgesetze als Ausdruck des Neutralitätsgebots und damit als allgemeiner Grundsatz des Verwaltungsrechts anerkannt und in seinen rechtshistorischen und verfassungsrechtlichen Bezügen begründet worden[16]. In § 20sind diejenigen Fälle aufgelistet, in denen ein Amtsträger kraft Gesetzes ausgeschlossenist[17]. Selbstverständlich sind Personen, die selbst Beteiligte des Verfahrens sind, daran gehindert, in einem Verwaltungsverfahren in eigener Sache zu entscheiden (§ 20 Abs. 1 S. 1 Nr. 1). Dem Beteiligten selbst stehen seine Angehörigen gleich (§ 20 Abs. 1 S. 1 Nr. 2). Wer Angehöriger in diesem Sinne ist, wird in § 20 Abs. 5 ausf. geregelt. § 21enthält einen Auffangtatbestandfür die nicht bereits von § 20 erfassten Fälle einer Besorgnis der Befangenheit. Eine solche ist anzunehmen, wenn aufgrund objektiv feststellbarer Tatsachen für die Beteiligten bei vernünftiger Würdigung aller Umstände die Besorgnis nicht auszuschließen ist, ein bestimmter Amtsträger werde in der Sache nicht unparteiisch, unvoreingenommen oder unbefangen entscheiden[18].
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